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Händeringend gesucht

Erzieherinnen fehlen überall, mit verkürzter Ausbildung soll die Lücke geschlossen werden. Die Bundesländer gehen verschiedene Wege, manche sind nicht unumstritten

Gezielt wird nach Quereinsteiger*Innen für den Erzieherberuf gesucht. Aber reicht das? Foto: Amelie Losier

Von Joachim Göres

Michael Gröling ist 37 Jahre alt und gelernter Koch. Vor drei Jahren hat er eine neue Ausbildung in Göttingen begonnen: 2017 machte er den Abschluss als Sozialassistent, im kommenden Jahr wird er mit der Erzieher­ausbildung fertig. „Ursprünglich wollte ich danach in die Jugendarbeit, doch der Umgang mit den Drei- bis Sechsjährigen im Kindergarten während unserer Praxisphasen macht mir superviel Spaß, deswegen werde ich mir eine Stelle in einer Kita suchen“, sagt der zweifache Familienvater.

Quereinsteiger wie er werden derzeit bundesweit händeringend gesucht, denn bis 2025 fehlen laut nationalem Bildungsbericht 300.000 Erzieher*Innen in Deutschland. Die insgesamt vierjährige Ausbildung, die auch Gröling absolviert, ist für viele potenzielle Berufsumsteiger vor allem aus finanziellen Gründen abschreckend. Deswegen bieten immer mehr Kommunen und Bundesländer verkürzte Ausbildungen für Quereinsteiger an.

Die Stadt Stuttgart versucht seit 2012, gezielt Quereinsteiger für den Beruf der Erzieherin zu werben, um den Bedarf – derzeit sind 200 Stellen für pädagogische Mitarbeiter in der Landeshauptstadt offen – besser decken zu können. Es werden sowohl verwandte Berufe wie Heilerziehungspfleger als auch Personen aus fachfremden Berufen angesprochen.

Auch die „Führung einer Familie“ wird als Voraussetzung für die dreijährige praxisintegrierte Ausbildung anerkannt – drei Tage in der Fachschule wechseln sich mit zwei Tagen in der Kita ab. 2012 begannen 50 Quereinsteiger mit der Ausbildung, in diesem Jahr sind es schon 90 Personen zwischen 17 und 50 Jahren. „Die Inhalte in nur drei Jahren praktisch und theoretisch zu vermitteln, das ist schon eine anspruchsvolle Aufgabe. Bislang haben wir aber mit den Absolventen positive Erfahrungen gemacht“, sagt Andrea Haag, Leiterin des Stuttgarter Jugendamtes.

Laut Bildungsbericht fehlen bis 2025 bundesweit 300.000 Erzieher*Innen

Allen wird ein unbefristeter Arbeitsplatz in Stuttgarter Kindereinrichtungen garantiert, 75 Prozent nehmen dieses Angebot an. In einer teuren Stadt wie Stuttgart spielt der Lohn eine nicht unwichtige Rolle: Im ersten Ausbildungsjahr verdient man 1.140 Euro brutto, im dritten Jahr sind es 1.303 Euro – während vielerorts angehende Erzieherinnen noch Schulgeld zahlen müssen.

Zu lange Ausbildungszeiten, hohe Abbruchquoten, keine Azubivergütung, nach erfolgreichem Abschluss häufig Abwanderung auf Stellen in der Kinder- und Jugendhilfe und in Bundesländer mit einer besserer Bezahlung – mit diesem Dilemma haben viele Kindergärten in Mecklenburg-Vorpommern zu tun. Als Konsequenz gibt es seit 2017 an fünf beruflichen Schulen im Land eine neue Ausbildung: Innerhalb von drei Jahren kann man mit der mittleren Reife „Staatlich anerkannte(r) Erzieher(in) für 0- bis 10-Jährige“ werden. Die sehr praktisch ausgerichtete Ausbildung ist nur in Mecklenburg-Vorpommern anerkannt, qualifiziert für eine Tätigkeit in Kindertagesstätten, Krippen, Kindergärten und Horten und wird vor allem von Quereinsteigern absolviert.

„Aufgrund der Ausbildungsvergütung ist die Resonanz sehr positiv“, so das Fazit nach einem Jahr Modellphase von Andreas Wellmann, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindetages Mecklenburg-Vorpommern. Kritiker sprechen dagegen von einem Etikettenschwindel: Das Modell ähnele eher der Ausbildung zur Sozialassistentin. Den bundesweit geltenden Titel „Staatlich anerkannte Erzieherin“ kann man nur mit einer Anschlussausbildung erlangen.

Zumindest der Name ist vielversprechend: das „Gute-Kita-Gesetz“. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) will dadurch bis 2022 rund 5,5 Milliarden Euro in die Kitas fließen lassen, obwohl der Bund eigentlich nicht zuständig ist. So sollen die Öffnungszeiten der Kitas verlängert, mehr Fachkräfte eingestellt, die Räume und das Kita-Essen verbessert oder die pädagogischen Angebote erweitert werden. Doch es gibt auch Kritik an dem Gesetz – zum einen, dass das Bundesgeld nur befristet fließen soll; zum anderen, dass keine bundesweit einheitlichen Qualitätsstandards vorgesehen sind.

In Niedersachsen will man mehr Quereinsteiger aus Berufen wie Krankenpfleger, Heilerziehungspfleger, Logopäden und Ergotherapeuten durch die Erhöhung der Anrechnungszeiten aus der ersten Ausbildung gewinnen. Außerdem will Niedersachsen die Kosten der Ausbildung bei privaten Trägern künftig übernehmen und mehr Teilzeitausbildungsplätze schaffen.

Berlin hat gerade als erstes Bundesland komplett die Kitagebühren abgeschafft, was die Nachfrage nach einem Kitaplatz noch verstärken dürfte. Einen Rechtsanspruch darauf gibt es bundesweit seit 2013 für Kinder ab einem Jahr, den viele Kommunen aber nicht erfüllen. Bei den unter Dreijährigen gehen bundesweit 33 Prozent in die Kita, bei den Drei- bis Fünfjährigen liegt der Anteil bei 93 Prozent.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) plädiert für 500 Euro mehr Gehalt für Erzieherinnen und will so das Interesse an diesem Beruf steigern. Das monatliche Einstiegsgehalt liegt im Schnitt bei 2.600 Euro brutto. Michael Gröling findet Giffeys Forderung gut – wichtiger wäre für ihn etwas anderes, um mehr Berufserfahrenen den Einstieg in den Erzieherberuf zu ermöglichen: „Während der Ausbildung zum Sozialassistenten bekam ich kein Geld, weil ich als über 30-Jähriger keinen Anspruch auf Schüler-BAföG hatte. Diese Altersgrenze müsste aufgehoben werden. In der jetzigen Ausbildung zum Erzieher habe ich Anspruch auf Meister-BAföG, was finanziell eine große Erleichterung ist – allerdings habe ich von dieser Möglichkeit nur zufällig erfahren. Für das Meister-BAföG müsste viel mehr geworben werden.“