„Unteilbar“ und andere Großdemos: Nötig wie Brot

Demos wie #unteilbar bieten keine politischen Lösungen. Aber sie geben Kraft, zeigen Macht und können die öffentliche Meinung kippen.

Brot, Butter, Messer

Brot ist gut. Ein Aufstrich macht es noch besser. Also auch: Her mit dem Aufstrich! Und so mancher verlangt gleich die ganze Bäckerei Foto: dpa

Es ist einfacher, die Demokratie zu verteidigen, solange es sie noch gibt. Und es ist auch leichter, Rechtsradikalismus und Populismus zu bekämpfen, solange sie nicht an der Macht sind. Denn sind sie es erst, dann etablieren sie ein Klima der Einschüchterung und der Polarisierung, sie trumpfen dann auf, und ihre Antipoden sind, umgekehrt, demoralisiert. Man blicke nur nach Ungarn, nach Polen, nach Italien oder auch nach Österreich.

Deshalb ist die #unteilbar-Demonstration am Samstag in Berlin, zu der mehrere Zehntausend Menschen erwartet werden, wichtig. Weil damit Zigtausende ein deutliches Zeichen senden, dass sie sich gegen eine Politik des Ressentiments, der gesellschaftlichen Spaltung und des Antipluralismus stellen.

Nörgler mögen einwenden, dass Demonstrationen nichts erreichen, nur die ohnehin Überzeugten anziehen und die anderen bestenfalls kaltlassen. Aber das ist nicht wahr. Große Demonstrationen haben eine Botschaft, nicht zufällig spricht man gerne davon, dass sie „ein unübersehbares Zeichen“ setzen. Sie sind eine Botschaft an jene, die teilnehmen oder mit ihren Zielen sympathisieren: Wir sind viele. Du fühlst dich gerade vielleicht etwas ohnmächtig, aber dafür gibt es keinen Grund.

Kurzum: Sie geben Kraft. Und Demonstrationen wirken auf die öffentliche Meinung. Diskursiv wird gegenwärtig ein Klima hergestellt, das den Eindruck erweckt, die Themen der AfD beherrschten alles, Xenophobie und Rassismus seien hegemonial. Diese öffentliche Meinung kann aber auch in eine andere Richtung kippen. Und die „unübersehbaren Zeichen“ können dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Eine dritte Funktion, die Demonstrationen haben können: Sie können die Mächtigen unter Druck setzen – oder politische Gegner insofern einschüchtern, als sie ihnen zeigen, dass sie sehr viele Gegner haben. Der Rechtspopulismus ist nicht an der Macht, nicht in der Regierung. Natürlich wird eine mächtige Demo die ureigene populistische Fantasie bestätigen, eine verfolgte Minderheit zu sein; stets bedroht, dass man ihr das Wort verbietet.

Der Rechtspopulist fühlt sich gerne verfolgt und zieht daraus Kraft. Er leidet nicht an Paranoia, er genießt sie. Eine herrschende Elite, so seine Behauptung, stelle ihm nach. Wetten, er wird auch behaupten, das Establishment demonstriere gegen ihn?

Klare Kante gegen die Verrohung

Man muss diese Ambivalenz aushalten, aber man soll vor ihr auch nicht die Augen verschließen: Demonstrationen wie die heutige sind im Grunde keine Protestakte gegen die Regierung, sie sind Protestakte gegen ein gesellschaftliches Klima und Protestakte gegen die Opposition. Sie sind in gewissem Sinne sogar Manifestationen für das Bestehende: für die Verteidigung der pluralistischen Demokratie, die Verteidigung von Menschenrechten, von zivilisatorischen Standards. Für den Geist eines Europas der offenen Gesellschaften, das unter Druck geraten ist.

Eine solche Manifestation ist heute so nötig wie ein Bissen Brot, aber zugleich würde sie zu kurz greifen, wenn es bei ihr bliebe. Der Rechtsradikalismus findet seinen Humus in dem Gefühl bestimmter sozialer Milieus (manche nennen sie „die Abgehängten“, aber es betrifft genauso die Teile der unteren wie der klassischen Mittelschicht), dass ihnen die Felle davonschwimmen: dass sie keine Stimme haben, dass sie keine politische Vertretung haben, dass eine Kaste des Polit­establishments alles untereinander ausmacht.

Der rechte Populismus ist eine Revolte gegen ein reales Problem, aber eine Revolte in perversen Formen, wie das Pierre Bourdieu einmal nannte. Wirklich besiegen wird man ihn nur können, wenn sich die Minderheiten, die er umgarnt, nicht mehr als Vergessene vorkommen.

Es braucht eben zweierlei: politische Alternativen, die auch den Verbitterten wieder Hoffnung anbieten; und eine Revolte gegen die perverse Revolte, klare Kante gegen die Verrohung.

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Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

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