Kommentar Stickoxid-Grenzwerte: Abwarten und Volksverdummung

Merkel will Diesel-Fahrverbote per Gesetz erschweren. Vor der Landtagswahl in Hessen ist dieses Manöver so durchsichtig wie absurd.

Eine Straßenkreuzung von oben

Verwirrung auf der Straße, auch um die Abgaswerte Foto: imago/FlorianGaertner/photothek

Die Verzweiflung über die drohenden Diesel-Fahrverbote scheint in der Bundesregierung dramatische Ausmaße angenommen zu haben. Anders ist der jüngste Vorschlag der Bundeskanzlerin nicht zu verstehen. Statt endlich durch wirksamen Maßnahmen dafür zu sorgen, dass die EU-Grenzwerte für giftige Stickoxide in allen deutschen Städten eingehalten werden, will Merkel nun lieber gesetzlich festlegen, dass die Grenzwerte nicht mehr gelten. Bis zu einer Überschreitung um satte 25 Prozent sollen Fahrverbote künftig als unverhältnismäßig gelten.

Dieses Manöver ist so durchsichtig wie absurd. Kurz vor der Hessen-Wahl – wo die in Frankfurt drohenden Fahrverbote sich zu einem echten Problem für die untätige Regierung entwickeln – soll der Eindruck erweckt werden, dass die Union den Diesel-Fahrern zur Seite springt. Faktisch ändern wird sich durch die geplante Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes allerdings vermutlich nichts.

Denn über die Fahrverbote entscheidet in Deutschland ohnehin nicht mehr die Politik, sondern die Gerichte – und zwar auf der Grundlage jener verbindlichen EU-Grenzwerte, die sich durch unverbindliche Empfehlungen des Bundes in nationalen Gesetzen natürlich nicht außer Kraft setzen lassen.

Und das Argument der Bundesregierung, dass die Grenzwerte in den Städten mit Überschreitungen von weniger als 25 Prozent auch durch andere Maßnahmen, etwa die Nachrüstung von Bussen und kommunalen Fahrzeugen, erreicht werden kann, haben die Gerichte auch bisher schon berücksichtigt – und verworfen. Fahrverbote sind stets damit begründet worden, dass eine Einhaltung der Grenzwerte auf anderen Wegen eben nicht erreichbar ist.

Die einzige Maßnahme, die neben Fahrverboten wirklich helfen würde, ist eine Hardware-Nachrüstung dreckiger Diesel. Die Hersteller dazu zu verpflichten, traut sich die Regierung aber weiterhin nicht. Stattdessen setzt sie auf Abwarten und Volksverdummung – und damit auf die gleiche Strategie, die bisher schon krachend gescheitert ist.

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Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.

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