Personalwechsel im Sachverständigenrat: Streit um neuen Wirtschaftsweisen

Achim Truger soll künftig die Sicht der Arbeitnehmer gegen die marktgläubige Ratsmehrheit vertreten. Schon jetzt hat er mit Gegenwind zu kämpfen.

Fünf Menschen sitzen an einem Tisch

Peter Bofinger (2. v. r.) war mit den Analysen seiner Kollegen oft nicht einverstanden Foto: imago/IPON

BERLIN taz | Neue Mitglieder des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung werden zum 1. März eines Jahres berufen. Dennoch wusste das wirtschaftsnahe Handelsblatt schon am vergangenen Samstag, wen die Gewerkschaften im kommenden Jahr in das fünfköpfige Beratergremium entsenden wollen, das mit seinen jährlichen Gutachten öffentlichkeitswirksam die Lage der deutschen Wirtschaft beurteilt. Die Wahl fiel auf den Berliner Ökonomen Achim Truger. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bestätigte der taz die Personalie jetzt.

Die Arbeitnehmervertreter haben – ebenso wie die Arbeitgeber – das informelle Vorschlagsrecht für ein Mitglied, das dem Rat für fünf Jahre angehört. Die Wiederwahl ist möglich. Die restlichen Weisen bestellt die Bundesregierung. Die geplante Nominierung Trugers ist relevant, weil der Gewerkschaftsvertreter in den vergangenen Jahren als Gegengewicht innerhalb des Gremiums wirkte. Die Wirtschaftsweisen befürworten im Allgemeinen Steuererleichterungen und wenden sich gegen Umverteilung von oben nach unten.

Der Würzburger Wirtschaftsprofessor Peter Bofinger, der die Gewerkschaften bisher im Gremium vertritt, steht anders als seine Kollegen für eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik, das heißt zum Beispiel für höhere Löhne und Staatsausgaben. Er befürwortete im Gegensatz zu seinen Kollegen die Einführung des Mindestlohns und sieht zu starre Schuldenbremsen kritisch.

Die Rolle des Querdenkers soll künftig Achim Truger übernehmen. Der Experte für öffentliche Finanzen lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin und teilt Bofingers wirtschaftspolitische Überzeugungen. Der 49-Jährige bringt den richtigen Stallgeruch mit.

Von 1999 bis 2012 leitete er das Refe­ra­t Steuer- und Finanz­po­li­tik im Wirtschaftsforschungsinstitut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Dort lobt man ihn als „kompetent und extrem fleißig“. Er genieße hohes Ansehen unter den Kollegen, sei ziemlich humorvoll und ein „hochqualifizierter Wissenschaftler“, teilte ein Sprecher der taz mit.

Als Leichtgewicht beschimpft

Die Linkspartei begrüßt die Nominierung Trugers. Er sei einer der wenigen Ökonomen in Deutschland, „die realitätsnahe Volkswirtschaft betreiben und die wirtschaftspolitische Bilanz der Agenda 2010 sowie der Kürzungspolitik in der Eurozone kritisch begleiten“, sagte Fabio De Masi, finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag.

Der Düsseldorfer Wirtschaftsprofessor Justus Haucap bezeichnete Truger dagegen herablassend als „wissenschaftliches Leichtgewicht, der kaum auf Augenhöhe mit den anderen vier Mitgliedern diskutieren kann“. Trugers potenzielle künftige Kollegin im Weisenrat, Isabel Schnabel, äußerte sich zurückhaltender, aber ähnlich. „Die wissenschaftliche Qualifikation muss an oberster Stelle stehen, ansonsten kann der Sachverständigenrat seinem Qualitätsanspruch nicht gerecht werden“, schrieb Schnabel bei Twitter. Veröffentlichungen in angesehenen internationalen Fachzeitschriften könnten diese Qualifikation am besten belegen.Sowohl Bofinger als auch sein möglicher Nachfolger haben weit weniger Artikel in Fachzeitschriften veröffentlicht als die anderen vier Mitglieder.

Schnabel gab ihren Kommentar kurz vor Beginn der Schweigeperiode am 1. Oktober ab – wäre die Personalie später bekannt geworden, hätte die Ökonomin sich nicht mehr äußern können. Die Weisen geloben Stillschweigen, bis sie ihr gemeinsames jährliche Gutachten am 7. November an die Bundesregierung übergeben.

Fest steht: Das frühzeitige Bekanntwerden der Personalie erlaubte nicht nur Schnabel ihren Twitter-Kommentar. Es ermöglicht auch Trugers Kritikern, bis zu einer möglichen Berufung durch die Bundesregierung monatelang dessen Eignung infrage zu stellen. Zum Vergleich: Peter Bofingers Berufung wurde 2004 nur wenige Tage vor der Verkündung durch die Bundesregierung bekannt. Das entspricht auch eher den Konventionen.

Warum keine Frau?

Denn die Nominierung eines Wirtschaftsweisen durch die Gewerkschaften beruht auf Tradition und nicht auf einem rechtlichen Anspruch. Offiziell ernennt der Bundespräsident die Ratsmitglieder auf Vorschlag der Bundesregierung. Deshalb wirkt es ungünstig, wenn eine Personalie vorzeitig bekannt wird. Truger selbst wollte sich gegenüber der taz mit Hinweis auf das laufende Verfahren zu seiner Nominierung nicht äußern.

Eine Frage bleibt offen – auch weil der DGB sich nicht weiter zur Personalwahl äußern möchte: Warum haben die Gewerkschaften für den Posten nicht eine Frau nominiert? Mit Ausnahme von Isabel Schnabel sind in dem fünfköpfigen Gremium nur Männer vertreten.

Eine mögliche Antwort: Die Wirtschaftswissenschaft ist noch immer stark von Männern dominiert. Im Ökonomenranking der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sind unter 101 Personen nur acht Frauen. Die Auswahl ist gering, und keine der acht Wissenschaftlerinnen scheint inhaltlich und politisch ins Profil der Gewerkschaften zu passen. Achim Truger wird in dem Ranking allerdings gar nicht genannt.

Nun ist er es aber, der in die Fußstapfen von Peter Bofinger treten muss – und die sind groß. Bofinger wurde von seinen Mitstreitern zwar recht explizit vorgeworfen, er verstehe nichts von Ökonomie. In der Öffentlichkeit ist er aber – wohl auch wegen seiner abweichenden Sichtweise – das bekannteste Gesicht der Wirtschaftsweisen.

Die Gutachten der Sachverständigen sind oft einseitig formuliert

Das Gremium steht selbst in der Kritik, weil dessen Prognosen und Bewertungen häufig unzutreffend sind. Sogar Kanzlerin Merkel – stets öffentlich um Diplomatie bemüht – watschte die Weisen 2014 ab, als diese eine konjunkturelle Dämpfung durch den Mindestlohn zu erkennen glaubten, der zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht eingeführt war. Der SPD-Finanzexperte Joachim Poß warf den Ökonomen damals eine „marktradikale Ideologie“ vor.

Obwohl die Wirtschaftsweisen konkurrierende Sichtweisen berücksichtigen sollten, wirken die Gutachten einseitig auf die Interessen der Wirtschaft fixiert. Im Gutachten des vergangenen Jahres glaubten die Spitzen-Ökonomen einen „immer intensiveren Ungleichheitsdiskurs“ zu erkennen und versuchten auf 15 Seiten nachzuweisen, dass die Ungleichheit in Deutschland nicht zunehme.

Ohne Bofinger, der eine andere Meinung äußerte, wäre diese Analyse unwidersprochen geblieben. Im Gespräch mit dem Handelsblatt gab Achim Truger sich allerdings zuversichtlich, dass sich die Sondervoten reduzieren lassen. „Minderheitsvoten gibt es ja nur, wenn man sich gar nicht einigen kann“, sagte der Ökonom. Das klingt versöhnlich.

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