Kolumne German Angst: Das linksextreme Grundgesetz

Warum wollen einige die Wirklichkeit so drehen, dass die antirassistische Zivilgesellschaft das Problem ist? Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren.

Demo-Transparent, auf dem steht: "Der braune Mob aus Chemnitz grüßt Berlin"

Brennendes Thema der Linken: Ein rechter Diskurs, der Mainstream geworden ist Foto: ap

Tragen die Grünen Schuld am wachsenden Rechtsradikalismus? In dem Artikel „Das Bürgertum unter sich“ im neuen deutschland konstruiert Ingar Solty zwei Pole, die am fatalen Istzustand der Gesellschaft ein Interesse hätten: das „rechtsradikalisierte“ (AfD) und das „linksliberale“ (grüne) Bürgertum. Solty meint, die „wachsende Arbeiter- und Erwerbslosenbasis der AfD“, Ex-Linke und -SPDlerInnen, würden eine bürgerliche Partei wie die Grünen nie wählen. Und „von daher müssen sich die Grünen im Gegensatz zur LINKEN (oder der SPD) die Frage nicht stellen, wie sie AfD-Wähler zurückgewinnen“. Damit wäre dann ja, Hessen-Wahl hin oder her, die zukünftige Bündnispolitik klar. Die Linken: zum Bündnis mit AfD­lerInnen verdammt.

Nun zwingt die Religion vom „revolutionären Subjekt“ dieser Tage ja einige dazu, über die sogenannten Nebenwidersprüche hinwegzusehen. Dabei sind die brennenden Themen der Linken: die nationalradikale AfD und wie sie sich in Strukturen einrichtet; Chemnitz und Köthen und ein rechter Diskurs, der Mainstream geworden ist. Wenn man gegen Neonazis demonstriert, so ist stets zu hören, stehe „rechtsextrem“ gegen „linksextrem“. Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren, denn das bedeutet: Das Grundgesetz ist ein linksextremes Pamphlet. Das Ziel dieser Argumentation: Widerstand gegen Rechtsradikale kriminalisieren.

Das ist die Lage von Aktiven und Gruppen, die sich als links verstehen. Sie sind in der merkwürdigen Position, verfassungsgemäße Rechte verteidigen zu müssen. Meinungs- und Pressefreiheit, Gewaltenteilung, demokratische Strukturen, das Verbot der Volksverhetzung und Diskriminierung – kurz: Linke müssen Aufgaben des Staates übernehmen, in den wiederum die AfD längst hineinreicht.

Das Ziel dieser Argumentation: Widerstand gegen Rechtsradikale kriminalisieren

Das alles ficht Solty nicht an. „Die Anhänger der Grünen sind dagegen bereits ökonomisch herrschend und haben entsprechend kein Interesse, die Gesellschaft grundlegend zu verändern“, schreibt er. Das stimmt ja auch. Aber warum Aktionen gegen rechts, die ja von Bündnispolitik – auch mit den Grünen – geprägt sind, so vehement angreifen? Können AntirassistInnen und radikale DemokratInnen sich das leisten? Und wenn ja, auf wessen Kosten?

Und dann diese Häme, die grünen „linksmoralischen Bürgerkinder“ hätten keine Basis im Osten. Stimmt ebenso. Dabei gibt es jene bürgerliche Zivilgesellschaft, Vereine und Ini­tiativen, die Rechte von Marginalisierten gegen den radikalnationalen Mainstream verteidigen, im Osten kaum noch. Aus den Parlamenten, von den politischen Rändern und aus der Mitte werden dort die wenigen antirassistischen Bildungsinitiativen wie der Miteinander e.­V. oder „Schule ohne Rassismus“ angegriffen. Sie aufzugeben wäre der größte Fehler. Doch Solty ist das im Kampf um die AfD-WählerInnen egal. Lieber verhöhnt er potenzielle BündnispartnerInnen, als Rechte zu beleidigen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Vollzeitautorin und Teilzeitverlegerin, Gender- und Osteuropawissenschaftlerin.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.