Kommentar Höhenflug der Grünen: Sagen, wo sie stehen

Die Grünen locken mit ihrem linken Sound auch frustrierte SPD-WählerInnen an. Aber wie ernst ist es ihnen wirklich mit der Sozialpolitik?

Annalena Baerbock und Robert Habeck stehen vor einigen Mikrofonen

Die Grünen verdanken ihren Aufschwung auch den Vorsitzenden Baerbock und Habeck Foto: dpa

Wenn Christian Lindner eines beherrscht, dann ist es die Kunst des vergifteten Lobes. „Cremig“ nennt der in Fragen der Hautpflege sicher kundige Freidemokrat die Grünen und ihren Shootingstar Robert Habeck und schafft damit ein Label, das hängen bleibt. Die Grünen als duftendes Kosmetikprodukt, irgendwas zwischen Nivea und Dr. Hauschka. Rückfettend, anschmiegsam und geschmeidig.

Ein bisschen gemein ist das, aber auch zutreffend. Man steht ja etwas ratlos neben dem grünen Höhenflug, weil eine entscheidende Frage offenbleibt: Wo stehen sie eigentlich, wenn es hart auf hart kommt?

Ja, die Partei verdankt ihren Aufschwung der Performance ihrer Vorsitzenden Habeck und Annalena Baer­bock, ihrer antipopulistischen Haltung und der Tatsache, dass immer mehr Menschen die Ökologie als entscheidendes Menschheitsthema akzeptieren. Aber die neuen Grünen sind auch deshalb so erfolgreich, weil sie den Eindruck erwecken, ernsthaft an Sozialpolitik und Verteilungsfragen interessiert zu sein.

Sie wollen Hartz IV durch eine neue Grundsicherung ersetzen, die Sanktionen für Arbeitslose abschaffen und hohe Vermögen stärker besteuern. Der linke Sound, den Habeck und Baerbock fördern, kommt gut an. Die Grünen siegten in Bayern und Hessen auch deshalb, weil sie frustrierte SPD-WählerInnen anlockten.

Im Kern bürgerlich

Allein: Ob Taten folgen würden, weiß man nicht. Wenn die Grünen ja etwas nicht sein wollen, dann ist es links. Selbst Linksgrüne murmeln, man sage ja lieber „progressiv“, und Habeck mag das Wort sowieso nur mit dem Zusatz „liberal“ verwenden. Vielleicht ist ein solches Bekenntnis dann doch etwas zu radikal für eine im Kern bürgerliche Partei, die sich nicht eingestehen will, wie sehr sie sich über nette Leitartikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung freut. Die Grünen wollen gemocht werden, am liebsten von allen.

Reichtum anders verteilen, eine Bürgerversicherung oder das Ende von Hartz IV ließen sich ja nur gegen die CDU durchsetzen, nicht mit ihr. Eigentlich müssten die Grünen offensiv an Linksbündnissen arbeiten, sie tun es aber nicht – von ein paar Unermüdlichen aus dem linken Flügel abgesehen. In Bayern weinten sie fast in die Mikrofone, weil sich CSU-Mann Söder gegen sie entschied.

Auch in Hessen zeigten sie wenig Leidenschaft, den CDU-Ministerpräsidenten Bouffier mit einer Ampel in Pension zu schicken. Ihre erleichterten Stoßseufzer, als es für ein Linksbündnis nicht reichte, waren bis nach Berlin zu hören. In Schleswig-Holstein fand Habeck vor gut einem Jahr das bürgerliche Jamaika cooler als eine Ampel mit der SPD.

Rebellen, die sich an die CDU kuscheln, sind keine

Man hat sich arrangiert. Klug ist die stillschweigende Akzeptanz der konservativen Dominanz jedoch nicht. Auf Dauer wird den WählerInnen der Widerspruch zwischen grüner Möchtegernradikalität und ihrer Strategie auffallen. Rebellen, die sich an die CDU kuscheln, sind keine. Die Grünen tun sich keinen Gefallen, wenn sie die SPD in der Großen Koalition ersetzen. Das Schicksal der Sozialdemokratie spricht für sich.

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Im Bund könnten die Grünen recht schnell vor der Aufforderung stehen: Sag mir, wo du stehst. Merkels Tage im Kanzleramt sind gezählt, ihr Abschied ist nur noch eine Frage der Zeit. Käme dann sofort Jamaika? Nein. Die Grünen würden vermutlich auf Neuwahlen drängen. Sie wären schön dumm, auf Basis des 8,9-Prozent-Ergebnisses von 2017 in eine Koalition mit Merkels NachfolgerIn und der FDP einzutreten.

Im Falle einer Neuwahl aber ist angesichts der volatilen Verhältnisse alles möglich. Die Grünen könnten mit einem Traumergebnis an der SPD vorbeiziehen – und zu entscheidenden Playern werden. Wer mag ausschließen, dass plötzlich Rot-Rot-Grün wieder ginge, gegen eine nach rechts rückende CDU? Dann müssen die Grünen endgültig beweisen, wie ernst es ihnen mit der sozialökologischen Wende ist.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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