Osman Kavala seit einem Jahr in Haft: Der Reemtsma der Türkei

Kavalas Bedeutung für die türkische Zivilgesellschaft ist groß. Ohne Anklage oder Akteneinsicht für seine Anwälte sitzt der Mäzen im Knast.

Porträt Kavala

Osman Kavala im Jahr 2014 Foto: dpa

ISTANBUL taz | Osman Kavala, Intellektueller, Kulturschaffender, Publizist und wichtigster Mäzen der türkischen Zivilgesellschaft, sitzt seit einem Jahr in Haft. Ohne Anklageschrift, ja ohne konkrete Vorwürfe gegen ihn zu erheben, wird Osman Kavala seit dem 1. November 2017 im Hochsicherheitsgefängnis in Silivre in Untersuchungshaft festgehalten.

In einem am Mittwoch veröffentlichten Brief aus dem Gefängnis fordert er seine sofortige Freilassung. Die Untersuchungshaft schreibt er, sei eine „Strafe im voraus“, ohne Anklage und ohne eine Gerichtsentscheidung, eine willkürliche Haft, um einen Kritiker der Regierung mundtot zu machen.

Kavala ist einer der wichtigsten Player der türkischen Zivilgesellschaft. Wo immer ein Projekt für Dialog, Versöhnung und Erinnerung an fehlenden finanziellen Mitteln zu scheitern drohte, war Osman Kavala die erste Adresse, bei der man Hilfe suchte. In den türkischen Medien wird Kavala als Geschäftsmann bezeichnet.

Der heute 61-Jährige ist Erbe eines Industriebetriebes, in dem er zeitweilig selbst tätig war. Doch anders als ein „normaler“ Geschäftsmann nutzte Osman Kavala das Vermögen vor allem für den Aufbau alternativer linker Kulturinstitutionen. Mitte der 80er Jahre gab er das Kapital für die Gründung von „Iletisim“ – ein wichtiger linker Verlag.

Keine Anklage, keine Akteneinsicht

Er gründete „Anadolu Kültür“, einen Kulturverband zur Förderung der Verständigung ethnischer Gruppen, darunter etliche Projekte in den kurdischen Gebieten. Als er am 18. Oktober 2017 auf dem Flughafen in Istanbul festgenommen wurde, kam er mit Vertretern des Goethe-Instituts aus Gaziantep zurück, wo er mit deutschen Partnern ein Projekt für syrische Flüchtlinge unterstützte.

Obwohl die Staatsanwaltschaft keine Anklageschrift vorgelegt hat und seinem Anwalt İlkan Koyuncu eine vollständige Einsicht in die Akten der Strafverfolgungsbehörde verweigert wird, tauchten immer wieder massive Anschuldigungen gegen ihn in der regierungsnahen Presse auf. Kernpunkt dabei: Er soll landesverräterische Kontakte zu Ausländern gehabt haben, die in den Putschversuch gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan im Juli 2016 verwickelt gewesen sein sollen. Es werden auch Namen von Ausländern kolportiert, doch ob diese mit dem Putsch zu tun hatten und Osman Kavala deshalb auch daran beteiligt war, ist nicht belegt sondern eine Verleumdungskampagne.

Kavala ist ein mutiger, reflektierter Intellektueller, aber die Haft im Hochsicherheitstrakt mit stark eingeschränkten Kontakten zu Familie und Freunden zermürbt ihn wie jeden anderen. In seinem Brief schreibt er: „Ich möchte so schnell wie möglich wieder mit meiner Familie und meinen Freunden vereint sein.“

Nachdem viele andere namhafte Erdoğan-Kritiker in den letzten Monaten aus der U-Haft entlassen wurden, sitzt Osman Kavala immer noch ein. International macht sich vor allem die französische Regierung für ihn stark. In Deutschland fordern Amnesty International, der Journalistenverband dju, der PEN-Club und andere Organisationen seine Freilassung.

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