„Innovationscampus“ in Berlin-Spandau: Siemens macht auf smart

Großkonzern will 600-Millionen-Euro für eine „Smart-City“ investieren – mit Wohnungen, Büros und Forschung. Für Anwohner verheißt das nicht nur Gutes.

Berlins Bürgermeister Michael Müller und Siemens-Chef Joe Kaeser, im Hintergrund Ramona Pop

Dream-Team: Berlins Bürgermeister Michael Müller und Siemens-Chef Joe Kaeser Foto: dpa

Es herrscht Schulterklopfstimmung im Roten Rathaus: „Heute ist ein wichtiger Tag für den Wirtschaftsstandort Berlin“, sagt Michael Müller (SPD) feierlich: „Ich möchte mich bei Siemens bedanken.“ Zusammen mit Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) und dem Siemens-Vorstandsvorsitzenden Joe Kae­ser unterzeichnet der Regierende Bürgermeister am Mittwochmorgen ein Memorandum zur Entscheidung des Großkonzerns, in Spandau seinen „Innovationscampus“ errichten zu wollen. Siemens will das Industriegelände in der Siemensstadt zu einem Zentrum der Digitalwirtschaft umgestalten.

Bis 2030 will Siemens für 600 Millionen Euro einen „Stadtteil der Zukunft“ auf dem 700.000 Quadratmeter großen, unternehmenseigenen Areal an der Spandauer Nonnendamm­allee errichten, der, so die Pressemitteilung, „Arbeiten, Forschen, Wohnen und Lernen vereint“. Im Zentrum steht ein Technologiepark, in dem Start-ups und Teile der Digitalsparten von Siemens angesiedelt werden sollen. Zugleich soll auf dem Gelände in Kooperation mit verschiedenen Forschungsinstituten wie der Technischen Universität und der Fraunhofer-Gesellschaft Forschungseinrichtungen geschaffen werden.

Nicht zuletzt plant Siemens, 200.000 Quadratmeter Wohnfläche zu schaffen. Glaubt man Kaeser, so entsteht in Spandau bald eine futuristische Utopiestadt: „Wenn man so ein Campus baut, kann man auch größer denken. Warum nicht autonomes Fahren auf dem Campus, warum nicht freies Internet in diesem Ökosystem?“

Die Entscheidung, ob Siemens sein ambitioniertes Vorhaben tatsächlich in der Hauptstadt verwirklicht, war bis zuletzt noch unklar. Siemens zog weltweit auch andere Standorte in Betracht, wie etwa Singapur. „Die Konkurrenz war ausgeprägt“, fasst es Kaeser knapp zusammen.

Umworbener Großkonzern

Grafik: infotext-berlin

Dass Berlin den Zuschlag nach nur acht Wochen Verhandlungszeit bekam, liegt vor allem am massiven Entgegenkommen seitens des Senats. Denn beim Denkmalschutz etwa wurden gleich ein paar Augen zugedrückt. So erklärt Müller auf Nachfrage, bei den teils über 100 Jahre alten Gebäude müsse lediglich die Fassade orginalgetreu erhalten bleiben, bei der Innengestaltung habe der Konzern freie Hand. Vor drei Jahren hatte es dagegen noch Ärger gegeben, als Siemens eine Repräsentanz in Mitte gegen Denkmalschutz-Auflagen bauen wollte. Der Konzern hatte sich darauf beleidigt zurückgezogen.

Jetzt sichert der Senat zudem zu, die nötigen Voraussetzungen für ein Technologiezentrum zu schaffen. „Die Erschließung des Standorts wird die Stadt bezahlen“, verspricht der Regierende Bürgermeister. Schnelle Internetverbindungen sollen ebenso geschaffen werden wie eine zusätzliche Nahverkehr-Anbindung. Unter anderem ist dafür eine Reaktivierung der in den 1980er Jahren stillgelegten Siemensbahn im Gespräch. Die genaue Höhe der Kosten, die auf die Stadt zukommen, ist noch unbekannt; Müller spricht „von einem größeren Millionen­betrag“, aber auch der Bund solle finanziell eingebunden werden.

Joe Kaeser, Siemens-Chef

„Warum nicht autonomes Fahren auf dem Campus?“

Sicher ist schon jetzt, dass das „Innovationscampus“ von Siemens tiefgreifende Veränderungen für das Stadtbild und die Bevölkerungsstruktur mit sich bringen wird. „Es ist eine stadtentwicklungspolitische Frage“, so Pop, „die das ganze Quartier der Siemensstadt verändern wird.“

Angst vor Verdrängung

Zu erwarten ist, dass mit dem ambitionierten Vorhaben auch eine massive Aufwertung der Wohngegend mitsamt drastischen Mietsteigerungen einhergeht. Spandaus Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank (SPD) fordert, den zu schaffenden Wohnungsbestand in die Hand von städtischen Wohnungsunternehmen zu geben, dies sei „die beste Garantie gegen Mietenwucher und Verdrängung“.

Siemens-Chef Kaeser ist sich der Sorgen vor Verdrängung im noch vergleichsweise günstigen Spandau bewusst: „Wir wollen beweisen, dass es anders geht“, sagt er und verweist darauf, dass in den Planungen 30 Prozent mietpreisgebundene Wohnungen berücksichtigt seien – was allerdings auch der gesetzlich geforderte Mindestanteil ist.

Angesichts der trotz Milliardengewinnen angekündigten Massenentlassungen bei Siemens, denen allein in den Spandauer Werken 700 Arbeitsplätze zum Opfer fallen, ist es fraglich, ob man diesen Versprechungen Glauben schenken kann.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.