Sind Mohammed-Karikaturen Ausdruck westlicher Arroganz?
JA

AUSSCHREITUNGEN Kampf der Kulturen: Die einen fühlen sich provoziert, die anderen beharren auf Meinungsfreiheit und Humor

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Lamya Kaddor, 34, ist Autorin und Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes

Mohammed-Karikaturen in einer europäischen Satirezeitschrift, die meines Wissens von Menschen gemacht wird, die weder Muslime sind noch näheren Bezug zur Materie haben – natürlich steckt dahinter auch westliche Arroganz. Aber man muss die Sache nicht so hoch hängen. Hier ging es um einen kalkulierten Skandal, um abgeschmackte Publicity. Außer den wütenden Protesten gegen den islamfeindlichen Schmähfilm aus den USA gab es keinen sachlichen Anlass für die Veröffentlichung zu exakt diesem Zeitpunkt. Inhaltlich tragen die Zeichnungen keine substanzielle Botschaft, bloß die alten „islamkritischen“ Stereotype von Rückständigkeit und Gewalt. Darf man so etwas veröffentlichen? Natürlich. Das ist Meinungsfreiheit. Muss man aber immer wieder Ressentiments bedienen oder die Gefühle von Gläubigen verletzen – egal ob Muslim, Christ oder Hindu? Ist Atheismus einzig legitim? Nicht wegen drohender Ausschreitungen ist die Veröffentlichung der Karikaturen unverantwortlich, sondern wegen des antireligiösen Chauvinismus. Schlimmer allerdings waren die fast beschwörenden Vorabberichte einiger Medien über die angeblich zu erwartende Gewalteruption in der islamischen Welt – als sehne man diese förmlich herbei. Am Ende blieb es außer in Pakistan – was vor allem politisch-soziale Gründe hat – überall ruhig. Wir müssen verstehen, dass die Karikaturen und der Schmähfilm zwei Seiten bedienen: die Agenda islamistischer Extremisten und unsere eigenen Vorurteile.

Michael Lüders, 52, ist Nahostexperte, Autor, Publizist und Wirtschaftsberater

Wer Mohammed-Karikaturen veröffentlicht, muss sich fragen lassen, was ihn umtreibt. Verteidigung der Meinungsfreiheit? Lust an der Provokation? In erster Linie geht es doch wohl um Profilierung und Auflagensteigerung. Das Argument, die Satire dürfe alles, ist vordergründig. Satire, die vorsätzlich Öl ins Feuer gießt, will nicht aufklären, sondern anheizen. Mohammed-Karikaturen stärken die Salafisten und schwächen die gemäßigten Muslime, hüben wie drüben. Wem nützt es? Es ist ein Privileg, alles sagen und schreiben zu dürfen. Klugheit, den richtigen Ton zu treffen. Der Skandal um seiner selbst willen ist nur Selbstbefriedigung.

Ida Tschichoflos, 46, Fremdsprachensekretärin, hat die Frage auf taz.de kommentiertPressefreiheit verwandelt sich exakt dann in ihr Gegenteil, wenn sie zur Hetze gegen eine pauschalisierte Bevölkerungsgruppe auszuarten droht. Vor allem angesichts eines Anti-Islam-Films, der jedem Menschen, der den Nazipseudodokumentarfilm „Der ewige Jude“ gesehen hat, schon von den Elementen der Machart her das Grausen nahebringt. Damit setze ich nicht gleich, sondern beachte nur strukturelle Propagandaansätze. Wir haben die Freiheit, durch die Art der Berichterstattung zu zerstören oder Brücken zu bauen. Es liegt an uns, wofür wir uns entscheiden. Das hat etwas mit Verantwortung zu tun. Eingleisige Pauschalisierungen sind oftmals bloß plumpe Projektionen, die den blinden Fleck in der Selbstwahrnehmung verdrängen helfen!

Lucas Dembinsky, 28, ist Student und hat die Frage per E-Mail kommentiert

Ja, wenn man seit Jahrzehnten unter dem westlichen Paternalismus leidet. Nein, wenn man sie als Spielart von politischer Kunst begreift. Pressefreiheit und religiöse Gefühle kann man nicht gegeneinander aufrechnen. Ein sprachliches Zeichen ist nie auf eine Bedeutung festgelegt. Für viele ist die Karikatur Ausdruck von Säkularität, für andere eine Beleidigung. Diese Deutungen stehen widerspruchsfrei nebeneinander. Jede Verstehenskultur muss ihre eigene Abgrenzung zu Gewalt und Hass finden.

NEIN

Hamed Abdel-Samad, 40, war mit Henryk M. Broder auf „Deutschland-Safari“700 Jahre nach Dantes „Commedia“ und 260 Jahre nach Voltaires „Mahomet“ diskutieren wir immer noch, ob satirische Darstellungen des Propheten Mohammed zulässig sind oder nicht. Daran ist sicherlich nicht die westliche Arroganz, sondern die nicht infrage gestellte Unantastbarkeit des Propheten schuld. Mohammed gehört aber nicht nur den Muslimen allein, sondern der Menschheitsgeschichte an. Über sechs Milliarden Nichtmuslime können den Propheten nicht genauso achten wie die 1,3 Milliarden Muslime. Es ist kein Ausdruck westlicher Arroganz, dass man Mohammed satirisch unter die Lupe nimmt. Arrogant ist es, wenn man davon ausgeht, dass Muslime noch nicht so weit sind, Humor zu verkraften, und deshalb eine Sonderbehandlung brauchen. Mit dieser Einstellung hätte damals in Europa weder eine Renaissance noch eine Aufklärung stattgefunden. Diese Einstellung führt heute nicht zu einem besseren Zusammenleben, sondern baut Ressentiments und Misstrauen noch mehr aus.

Naika Foroutan, 40, leitet das Projekt Hybride europäisch-muslimische Identitätsmodelle

Nein, aber Ausdruck westlicher Fehlwahrnehmung. Die Vorstellung, dass „die islamische Welt“ nun Sturm laufe, weil hier ein paar geschmacklose Karikaturen veröffentlicht worden seien, verdeutlicht, wie wenig von dieser Wahrnehmung tatsächlich auf Information beruht. Stehen diese 0,007 Prozent der fanatischen Randalierer also für die islamische Welt oder eher für das Bild, das die „westliche Welt“ benötigt, um sich selbst als zivilisiert zu sehen. Was ist mit den 95 Prozent der muslimischen Führer, Verbände und Denker weltweit, die sich von den Attacken distanzieren und darauf hinweisen, dass Gewalt illegitim ist. Die muslimischen Jugendlichen, die den Film zwar verurteilen, aber genauso auf die Straßen gehen, um den Tod des amerikanischen Botschafters in Libyen zu beklagen. Die muslimische Internet-Community, die sich in Kettenreaktionen stündlich von den ihnen als peinlich empfundenen Radikalisierten distanziert. Ist das die islamische Welt? Und ist das Ausblenden dieser Informationen im eigenen Denkprozess Ausdruck von Arroganz? Nein, aber Ausdruck von Ignoranz.

Aiman Mazyek, 43, ist Medienberater und Vorsitzender des Zentralrats der Muslime

Der Westen als ein dekadentes, religionsfeindliches Monster und die an den Toren Europas rüttelnde muslimische Welt, welche die Meinungsfreiheit abschaffen will, sind billige, leider nicht zu unterschätzende Feindbilder. „Stark ist nicht derjenige, der im Ringkampf obsiegt, sondern stark ist, wer sich selbst im Zorn bezwingt.“ Dieser Prophetenspruch ist meine Antwort darauf.

Markus Dröge, 57, ist seit November 2009 Bischof der Evangelischen Kirche in BerlinIm Streit über die Mohammed-Karikaturen prallen Kulturen aufeinander. Ali Gomaa, Großmufti von Ägypten, hat jüngst darauf hingewiesen, dass Mohammed der sensible Referenzpunkt muslimischer Identität ist. In der westlichen Welt ist Religionskritik seit der Aufklärung hoffähig und für uns Christen ein gewohntes Diskussionsfeld. Der interreligiöse und interkulturelle Dialog steht noch ganz am Anfang. Wer mit Mohammed-Karikaturen arbeitet, muss wissen und verantworten, dass er sich in diesem Dialog für Konfrontation entscheidet. Arrogant wird westliche Kritik, wenn sie anderen Kulturen Kritikfähigkeit prinzipiell abspricht. Ali Gomaa hat deutlich erklärt, dass verletzte religiöse Gefühle niemals Gewalt legitimieren können. Er hat muslimischen Gläubigen geraten, Kritik gelassen hinzunehmen, weil Mohammed selbst mit Beleidigungen stets souverän umgegangen sei. Eine solche Haltung verdient Respekt.