Die Unterschätzten

Mit 24:0 Punkten führt der SG Fensburg-Handewit vor dem Spitzenspiel gegen den Verfolger Rhein-Neckar Löwen die Tabelle an – damit hatte angesichts der vielen Weggänge vor der Saison niemand gerechnet

Als die Anhänger der SG Flensburg-Handewitt am 3. Juni in der Flens-Arena völlig ausgelassen den kurz vorher noch für unmöglich gehaltenen Gewinn der deutschen Handball-Meisterschaft feierten, war die Freude nicht ungetrübt. Sechs Spieler wurden an diesem Abend verabschiedet –besonders schmerzte der Verlust von Torwart Mattias Andersson und Spielmacher Thomas Mogensen.

Kein Wunder also, dass kein Trainer der 18 Bundesligisten bei der Frage nach dem Favoriten zu Saisonbeginn die Flensburger auf dem Zettel hatte. Auch Rückraum-Veteran Holger Glandorf gab zu Bedenken, das man die Situation „anders einordnen müsse, als wenn wir mit der Vorjahresmannschaft antreten würden“. Und SG-Manager Dierk Schmäschke sagte: „Wir sind im Umbruch, das müssen einige erst mal begreifen.“

Drei Monate und zwölf Spieltage später reiben sich nun alle, ob Flensburger oder nicht, beim Blick auf die Tabelle verwundert die Augen: Da thront die SG mit zwölf Siegen und 24:0 Punkten einsam an der Tabellenspitze. Saisonübergreifend haben sie nun 20 Begegnungen am Stück gewonnen – das hat noch keine andere Mannschaft in der an starken Teams reichen Vereinsgeschichte geschafft.

Anscheinend hat die komplette Expertenschar SG-Trainer Maik Machulla, dem schon kaum einer die Meisterschaft zugetraut hatte, wieder gehörig unterschätzt. Machulla hat es geschafft, das halbe Dutzend neuer Spieler in Rekordgeschwindigkeit in die Mannschaft zu integrieren.

Die beiden Kreisläufer Simon Hald und Johannes Golla halten das Niveau ihrer Vorgänger genauso hoch wie Linksaußen Magnus Jondal und Mittelmann Goran Sogard Johannessen. Das gilt auch für das neue Torhüter-Duo, für das die Fußspuren anfangs am größten schienen. Das doppelte „B“ im SG-Kasten Benjamin Buric und Torbjörn Bergerud lässt Mattias Andersson und Kevin Möller in der Bundesliga kaum vermissen. Mit den verbliebenen Spielern wie Lasse Svan, Holger Glandorf, Rasmus Lauge, Tobias Karlsson, Anders Zachariassen und Jim Gotfridsson sind die Flensburger auf jeder Position doppelt besetzt.

Dennoch lief es in den anderen beiden Wettbewerben bislang nicht so gut. Im Pokal sind die Flensburger durch eine Niederlage gegen den in dieser Saison sehr starken SC Magdeburg gescheitert. Und in der Gruppenphase der Champions League gab es in den bisherigen acht Spielen bereits fünf Niederlagen, zuletzt zweimal hintereinander gegen Paris Saint Germain.

„Nun ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass meine Spieler die Enttäuschung nicht drei Tage mit sich herumtragen“, sagt Maik Machulla. „Gute Leistungen gibt es nur, wenn der Kopf frei ist.“ Und die braucht die SG, wenn sie heute Abend im Heimspiel gegen ihren Titelvorgänger Rhein Neckar Löwen, der mit drei Punkten Rückstand auf Platz vier der Tabelle lauert, ihren Startrekord ausbauen will.

Dass die Flensburger als Favorit in dieses Duell gehen, hätte vor dieser Saison kaum jemand für möglich gehalten. Trainer Machulla scheint dies immer noch nicht ganz zu tun. „Wenn wir die Löwen schlagen wollen, müssen wir viele Dinge richtig und gut machen“, sagte er im Vorfeld des Spiels. „Und jeder Einzelne muss über sein normales Niveau gelangen.“