Stoppt Yoga die Revolution?

Die Sophiensaele nahmen mit dem Festival „Save Your Soul“ beherzt Therapiekonzepte und die „Care“-Industrie unter die Lupe. Das ging nicht ohne Zwischenfall über die Bühne

Artwork „Happy Hours“ des Illustrationskünstlers Jean Lecointre Foto: Jean Lecointre

Von Astrid Kaminski

Mein bester Freund ist gerade umgezogen: in ein Schlafbox-WG-Zimmer bei einer alleinerziehenden Lehrerin in Mitte. Das alles ging so plötzlich, dass er’s noch nicht einmal mir vorher erzählt hatte. Immerhin, meine Kuhtasse ist mit ihm umgezogen. Aber bevor ich den ersten Schluck Tee trinke, platzt es auch schon aus ihm heraus: Trennung. Er heult, ich tröste. Er unter der Bettdecke, ich an der Bettkante. Rotztücher und Schokopapiere liegen herum.

Dieses Dramolett ist im Rahmen des Festivals „Save Your Soul“ an den Sophiensaelen entstanden, wo eine Woche lang die Wirkungsmechanismen der „Care“-Industrie thematisiert wurden. Bei der Performance-Gruppe The Agency konnte jeweils 30 Minuten „Quality Time“ mit männlichen Care-Arbeitern gebucht werden, wahlweise Vater, Sohn, bester Freund oder Boyfriend. Das zugrunde liegende Modell aus der japanischen Wirklichkeit heißt „Rent a Friend“. In der Theaterfassung wird dafür zusammen mit der Kundin nach einer „Easy Access Fiction“-Methode ein Bedarfsprofil ermittelt – das sich dann jedoch eher als Finte herausstellt: Der Liebeskummer „meines besten Freundes“ (Fabian Stumm) lässt ohnehin keinen Platz für andere Themen, sondern funktioniert im Stil von „Gebraucht werden macht glücklich“.

Trotzdem ist einmal mehr klar, dass The Agency sich in ihrer spätkapitalistischen Branding-Ästhetik an der Schwelle zwischen Wirklichkeit und Second Life auskennen. Zurück am Serviceschalter werde ich geschickt in ein Werbegespräch für weitere „Quality Time“-Stufen mit einem Sexarbeiter verwickelt. Die nächste Festivalperformance erlöst mich dann aus der Vereinnahmung, die darum nicht unangenehm wird, weil The Agency zwei Stilmittel beherrschen: ein offenbar umfassendes Rollenbewusstsein, das der Improvisation einen gut abgefederten Boden bietet, und Zielgruppensensitivität.

Anderen partizipativen Performances des Festivals fehlen hier die entscheidenden Nuancen: So verunsichern in der Berufsberatung „Meine Wunsch-Domain“ des Wohnwagen-Orakels die teils etwas ungenau zwischen Person und Figur angesiedelten Sprechakte meine eigene Positionierungsfähigkeit zwischen Realität und Fiktion. In „Total Therapy“ von Interrobang wird von Anfang an mit offensichtlich totalitären Methoden und Diskriminierungen gearbeitet, deren Ablehnung jedoch den gesamten Spielaufbau außer Kraft setzen würden.

Grenzüberschreitungen

Dass mangelnde Sensitivität realdramatische Folgen haben kann, wurde gleich am Anfang des Festivals klar, als sich die Kuratorin Joy Kristin Kalu zum Abbruch der Performance „Good Sherry“ von Ann Liv Young entschied. In der Rolle einer weißen Therapeutin aus den Südstaaten soll sich die Extrem-Performerin den Song „Be Careful“ von Cardi B angeeignet und einschließlich des darin vorkommenden N-Worts für einen Schwarzen Publikumsgast gesungen haben. So lange, bis sich dieser beschwerte, beschimpft wurde und im Publikum ein Tumult ausbrach. Den Abbruch begründet Kalu sowohl auf der Website der Sophiensaele als auch auf Nachfrage mit weiteren Ausdifferenzierungen im Hinblick auf „die Verantwortung der Performerin für ihre Figur“. Verantwortung heiße an dieser Stelle in erster Linie: „Niemand soll persönlich rassistisch verletzt werden.“ Auf der Grundlage dieser Bedingung konnte „Good Sherry“ am Folgetag ohne Unterbrechung gespielt werden.

Grenzüberschreitungen im Stil von Reality-Shows und übergriffigen Feedbackmethoden wurden für „Save Your Soul“ bewusst einkalkuliert – allerdings zeigt sich einmal mehr, dass Systemkritik durch die Reproduktion von Funktionsweisen zu kurz greift. Biologische Fortpflanzung ist eben auch noch keine Fortpflanzungskritik. Wie kompliziert es jedoch ist, auch über die Analyse hinaus eine Kritik der Care-Indus­trie zu versuchen, das lässt auch die Starsoziologin Eva Illouz deutlich werden, indem sie dem Publikum die Einordnung ihrer investigativen Recherche zu „Positiver Psychologie“ (wird 2019 bei Suhrkamp erwartet) weitgehend schuldig bleibt.

Klar, die Verquickung von Wohlfühl- mit wirtschaftlichen Wachstumsfaktoren ist böse – so viel lässt ihre zuweilen zynische Wortwahl durchblicken. Dagegen setzt Illouz das revolutionäre Potenzial von nicht-manipulierten „negativen Gefühlen“. Ob Yoga das Revolutionspotenzial senke, lautete dann zu Recht eine Frage aus dem Publikum. Und, so hätte hinzugefügt werden können: Um welche Revolutionen und wessen negativen Gefühle geht es hier eigentlich?

Dabei kann gerade im Therapie-Kontext Unterscheidungsschärfe lebensnotwendig sein. Wo die Grenzen des Wohlfühlliberalismus liegen, wurde in Demi Nandhras Depressionsstück „Life is No Laughing Matter“ schon bei der ersten nicht anschlagenden Therapie klar. Die autobiografisch gefärbte Gesundheitssystemparodie kommt schließlich zu dem Schluss, die Kunst zum letzten Überlebensanker zu erklären. Nicht alle, die das bereits vor ihr versuchten, haben überlebt.