Kommentar Proteste in Frankreich: Die neue Autoritätsallergie

Die Proteste der Gelbwesten und der Frauen haben auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun. Gemeinsam ist ihnen das Engagement an der Basis.

Rauchschwade über eine Gruppe protestierender

Feuer und Flamme dem französischen Präsidenten Macron: die Pariser Innenstadt am Samstag Foto: dpa

Während sich am Samstag auf der Avenue des Champs-Élysées noch protestierende Gelbwesten, verstärkt durch Aktivisten von links und rechts, eine Straßenschlacht mit sichtlich überforderten Ordnungskräften lieferten, demonstrierten in Paris gleichzeitig mehrere zehntausend Frauen friedlich, aber nicht weniger entschlossen gegen sexuelle Gewalt und Belästigungen und zur Verteidigung ihrer früher erkämpften Rechte. Mehr denn je findet die Politik in Frankreich auf der Straße statt.

Die beiden Anlässe und Mobilisierungen haben politisch auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun. Doch gemeinsam ist ihnen das Engagement an der Basis. Aus einem mittlerweile tief sitzenden Misstrauen gegenüber allen Institutionen, Medien, Traditionen und allen bisher als repräsentativ erachteten Organisationen wie Parteien und Gewerkschaften nehmen Bürger und Bürgerinnen ihre Anliegen selber in die Hand.

Die sozialen Netzwerke liefern dazu die Instrumente, sie ermöglichen es, wie vor allem die Bewegung der „Gilets jaunes“ gegen die Treibstoffpreiserhöhungen, aber auch die französischen Feministinnen mit der Weiterführung der #MeToo-Kampagne beweisen, eine große Zahl von Gleichgesinnten zu ­mobilisieren und so öffentlichen Druck zu schaffen.

Dieses Gewicht und diesen Einfluss haben die Parteien und Gewerkschaften weitgehend verloren. Während in anderen Ländern des­wegen rechtspopulistische Bewegungen an die Macht gespült werden, hat in ­Frankreich die Krise der Wahldemokratie (zunächst) diese Form der Autoritätsablehnung angenommen.

Was daraus wird, weiß noch niemand. Die Revolte auf der Straße kann in der Erkämpfung neuer Rechte und einer Erneuerung der Demokratie münden, sie kann aber mit der Diskreditierung der Institutionen auch die letzten Hindernisse für einen Sieg der Populisten beseitigen. Es bliebe dann – nur noch, aber immerhin – der Widerstand auf der Straße.

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Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

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