Slayer-Konzert in Berlin: Das Ende ist da

Die Metal-Institution Slayer ist gerade auf Abschiedstournee. Niemand versteht es so gut wie sie, Katastrophisches in Pop zu übersetzen.

Langhaariger Mann mit Bassgitarre, glatzköpfiger Mann mit Gitarre

Tschüs, Slayer: Sänger und Bassist Tom Araya (r.), Gitarrist Kerry King Foto: Ben Kriemann/Pop-Eye

Und dann heulen die Gitarren auf, die Flammenwerfer pinseln ein Inferno in die Luft, ein markerschütternder Schrei von Tom Araya, seines Zeichens Leadsänger der Band Slayer, erschallt. Das letzte Drittel des Konzertabends ist angebrochen, die Band ist gerade bei den absoluten Klassikern angelangt, das Publikum langsam warm geworden.

Mit einem Bäm-bäm-bäm auf dem Schlagzeug und dem Slayer-typischen Gitarrengejaule wird „Raining Blood“ (1986) eröffnet und bringt etwas Leben in den Moshpit, der sich vor der Bühne gebildet hat. Und beim Refrain von „South Of Heaven“ (1988) singt der ganze Saal: „Before you see the light / you must die“. Wobei dieses aus vielen Kehlen erklingende „die“ länger und länger in der Luft steht und, inklusive der Großbuchstaben, eher so klingt: „DDDIIIIIIIIIIIIIIIEEEE …!“

Das Ende war bei Slayer, dieser seit 1981 aktiven kalifornischen Thrash-Metal-Institution, schon immer das große Thema: Der Tod, das Ende der Menschheit, das Weltenende. An diesem Abend aber steht das Ende der eigenen Band im Vordergrund: Nach dieser Tour soll Schluss sein, hat das Quartett angekündigt.

Sänger Araya, 57 Jahre alt, und Gitarrist Kerry King, 54 – die beiden verbliebenen Gründungsmitglieder – wollen also in Metal-Frührente gehen, etwa 10.000 Besucherinnen und Besucher sind in die Mercedes-Benz-Arena gekommen, um Tschüs zu sagen.

Gräulich schimmernde Mähne

Es ist eine hochprofessionelle Todesshow, die sie da abliefern, aber auch ein erwartbares Spektakel. Der Sound ist gut und gewaltig, füllt die Halle zumindest in der vorderen Hälfte der Arena sehr gut. Jeder Tomtom- und Bassdrum-Beat, jedes Gitarrensolo dringt durch. Nicht umsonst ist in der Mitte eine ganze Armada von Marshall-Verstärkern aufgebaut. Über ihnen lodern, Pyrotechnik sei Dank, ebenfalls Flammen.

Tom Araya, dessen lockige Mähne inzwischen gräulich schimmert, verzichtet auf große Animation und weitestgehend auf Ansagen, von Standardfloskeln abgesehen. Aber sein Gesang ist voll da, und es ist auch die Dringlichkeit seiner Stimme, die aus Slayer eine der berühmtesten Metalbands des Planeten gemacht hat.

Etwas agiler dagegen die Gitarrenfraktion: Kerry King, mit fetten schwarzen Tribal-Tattoos und geflochtenem Kinnbart, schwingt schon eher mal die Flying-V-Gitarre, auch der zweite Gitarrist Gary Holt tänzelt hin und her und reckt sein Instrument zuweilen in die Höhe.

Sollten Slayer sich tatsächlich verabschieden, wird der Welt auch ein originärer Pop-Entwurf fehlen. Slayer sind ein Musik gewordenes Schlachtengemälde, die Band hat wie keine andere das katastrophische 20. Jahrhundert und das Zeitalter industrieller Massenvernichtung abgebildet – und dem beginnenden 21. Jahrhundert begegnen sie ebenfalls mit Drastik.

Mit „War Ensemble“ (1990) spielen sie einen protypischen Slayer-Song („The sport is war, total war / When victory’s a massacre / The final swing is not a drill / It’s how many people I can kill“); auch „Jihad“ (2006), ein Stück, das den 9/11-Terror aus Sicht der Attentäter beschreibt, haben sie im Set. Und sie lassen in „Dead Skin Mask“ (1990) den Massenmörder Ed Gein wiederauferstehen.

Es will ja immer niemand Metal auf höherer kultureller Ebene verstanden wissen, aber im Prinzip arbeiten sie mit literarischen Techniken, die etwa bei Jonathan Littell („Die Wohlgesinnten“) – in zugegebenermaßen etwas größerem Umfang – zutage traten. Zum Beispiel in „Angel Of Death“ (1986), dem Stück über die Menschenversuche Josef Mengeles. Sie spielen es als allerletzten Song.

Im Publikum finden sich – was nun wenig überrascht – mehr Männer als Frauen, manche tragen die gute, alte Metalkutte als Anachronismus mit sich herum. Tätowierte Männer, die heiser mitgrölen stehen neben Vätern mit ihren Kids, die stolz ihre Slayer-Shirts tragen. Ansonsten: viel schwarze Kleidung, klar. Bisschen Kajal, bisschen Leder.

„Ich werde euch vermissen“

Erwähnt sei auch noch das Vorprogramm mit den in Metalkreisen hochgeschätzten Bands Obituary, Anthrax und Lamb Of God – Erstere verpasste ich, Letztere beide waren höchst solide. Aber im Mittelpunkt standen Slayer, und auch wenn die Rockgeschichte schon viele Rücktritte vom Rücktritt gesehen hat, ist es nicht so unwahrscheinlich, dass dies wirklich das Ende sein könnte.

Denn nach dem Tod von Gitarrist Jeff Hanneman vor fünf Jahren – ihm zu Ehren gab es ein großes Banner – und der wohl endgültigen Trennung von Drummer Dave Lombardo scheint es so, als sei die Zeit von Slayer abgelaufen.

Nach eineinhalb Stunden ist Feierabend, ganz ohne Zugabe. Zum Abschluss steht Tom Araya einfach nur minutenlang da, die Hände in den Hosentaschen. Er schreitet in die linke Bühnenecke, in die Mitte, in die rechte Bühnenecke; er schaut, als fixiere er einen Punkt in der Ferne. Am Ende sagt er auf Deutsch: „Ich werde euch vermissen.“ Dann verlässt er die Bühne. Die Lockenmähne weht wohl ein letztes Mal durch die Berliner Luft.

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