Psychotherapie Online: Mit Skype auf die Couch

Auf immer mehr Plattformen bieten PsychologInnen Beratung via Videochat an. Können diese den Besuch in einer Praxis ersetzen?

Jemand liegt auf einem Sofa und schaut auf ein Smartphone

Ein großer Teil der Klienten sei „Generation Smartphone“, sagte eine Psychologin Foto: dpa

Wenn Pia Klaus um 9 Uhr mor­gens ihren Arbeitstag beginnt, macht sie es sich auf ihrem Sofa gemütlich, klappt den Laptop auf, steckt sich Kopfhörer in die Ohren und öffnet Skype. Bei ihren KlientInnen in Deutschland ist dann Mitternacht, denn Klaus lebt in Byron Bay, Australien. „Die Zeitdifferenz ist kein Problem – im Gegenteil. Einige haben Schlafstörungen, nachts Panikattacken. Und ich bin dann da.“ Die 28-Jährige ist Psychologin, ihre Praxis das Internet.

Auf Plattformen wie myonlinetherapie oder mentavio hat sie sich Profile angelegt. Menschen, die im Netz nach psychologischer Hilfe suchen, können dort ihren Terminkalender einsehen, freie Slots auswählen und eine Sitzung buchen. Ihr Lebenslauf ist abrufbar, Abschlusszeugnisse und Zertifikate lassen sich als pdf-Dateien herunterladen. Unter „Schwerpunkte“ listet sie ihre Beratungsthemen, von A wie Alkoholmissbrauch bis Z wie Zwangsstörungen. Klaus nimmt 70 Euro die Stunde, das Erstgespräch ist kostenlos. Fünf von fünf Sternen leuchten unter ihrem Profilbild.

Das Angebot an psychologischer Beratung im Netz wächst seit Jahren. Daniel Bosch, Gründer der Plattform mentavio, begründet das unter anderem mit einem Mangel an ambulanten Kassentherapieplätzen in Deutschland. Laut einer Umfrage der Bundespsychotherapeutenkammer beträgt die Wartezeit hierzulande durchschnittlich 20 Wochen. „Online bekommt man innerhalb von Minuten einen Experten auf den Bildschirm“, sagt er.

Aufgrund des sogenannten Fernbehandlungsverbots gilt, dass auch PsychotherapeutInnen, die nach wissenschaftlichen Methoden diagnostizieren und behandeln dürfen, auf Plattformen wie mentavio oder myonlinetherapie nur Beratungen anbieten dürfen. Trotzdem taucht der Begriff „Therapie“ auf einigen dieser Plattformen auf und suggeriert, sie sind nicht befugt, Diagnosen zu stellen, da die einen persönlichen Kontakt mit dem Patienten voraussetzen. Und daran wird sich auch so schnell nichts ändern. Zwar hat der Gesetzgeber vor Kurzem beschlossen, dass PsychotherapeutInnen in Zukunft auch Videosprechstunden abrechnen können, dass sich die komplette Psychotherapie aber ins Internet verlagert, ist nicht absehbar.

Die Klienten sind „Generation Smartphone“

Da Pia Klaus als Psychologin sowieso nur beratend tätig sein darf, bedeutet das Internet für sie keine Einschränkung. Das Gleiche gilt für ihre KlientInnen. Die seien überwiegend „Generation Smartphone“ und würden Videotelefonie ganz alltäglich finden. „Manche möchten auch anonym bleiben und nur via E-Mail kommunizieren – das fällt gerade den Jüngeren leichter. Der Gedanke, sich wöchentlich in einer Praxis über seine Gefühle zu unterhalten, ist für viele sehr abschreckend.“ Eine reale Therapie zu beginnen, ist immer auch ein Eingeständnis, dass etwas nicht in Ordnung ist und oft eine zu große Hürde. Das Gespräch mit den BeraterInnen im Internet dagegen ist niedrigschwelliger und weniger verbindlich, muss dafür aber aus eigener Tasche bezahlt werden.

Einer Untersuchung der Barmer Ersatzkasse zufolge hat jeder vierte junge Mensch psychische Probleme. Gerade die Jüngeren wünschten sich häufig, ihre Probleme in gewohnter Umgebung über die gewohnten Kommunikationswege zu thematisieren – technische Schwierigkeiten inklusive, sagt Klaus. Klar breche die Verbindung schon mal ab. „Aber ich mache ja keine Hypnose. Das ist vielmehr ein guter Icebreaker. Wenn das Bild mal einfriert, lachen wir beide kurz und danach läuft es super entspannt.“

Die Online-Beratungen boomen, weil man auf einen Therapieplatz lange wartet

„Total locker“, findet Maike die Sitzungen mit einer Psychologin, die sie sich vor ein paar Wochen auf myonlinetherapie ausgesucht hat. Die 27-Jährige lebt in Rom und will sich eineR TherapeutIn lieber in ihrer Muttersprache anvertrauen. „Ich bin dann in meiner Komfortzone, mit meinem Tee, meinen Taschentüchern. Ich hätte mich auch ins Bett legen können.“ Die Sitzungen seien, so sagt sie, wie tiefgründige Gespräche mit der Freundin. Aber können gelegentliche Skype-Dates in kuscheliger Atmosphäre zu konkreten Erfolgen führen?

Stephanie Bauer forscht an der Universität Heidelberg zu e-Mental-Health. Der Begriff steht für die Anwendung von Computer, Smartphone oder Tablets bei der Behandlung psychischer Erkrankungen. Sie hält psychologische Beratung im Netz für eine zeitgemäße Entwicklung, gerade im Hinblick auf lange Wartezeiten und unterversorgte Gegenden.

Bauer betont aber, dass sie für Menschen mit schwerwiegenden psychischen Erkrankungen nicht geeignet und in vielen Fällen kein Ersatz für konventionelle Psychotherapien sind. „Die Webseite muss darauf hinweisen, dass die Beratung Grenzen hat. Daran erkennt man auch, ob das Angebot seriös ist.“ Missverständlich sei darüber hinaus der Begriff „Therapie“, mit dem suggeriert werde, dass die Videochats über Beratungen hinausgehen und einer ambulanten Psychotherapie gleichkommen. Auch solle man die fachliche Qualifikation der BeraterInnen checken: Im Gegensatz zu sogenannten Lifecoaches, die sich bei einigen Plattformen mittlerweile ebenfalls Profile erstellen dürfen, ist die Berufsbezeichnung „PsychologIn“ oder „PsychotherapeutIn“ rechtlich geschützt.

Pia Klaus weiß, dass sie ihre KlientInnen aufklären muss. „Ich bekomme im Erstgespräch einen Eindruck davon, ob die Online-Beratung ausreichend ist. Wenn nicht, empfehle ich direkt eine andere Form von Therapie.“ Einige ihrer KlientInnen hätten sich zu diesem Zeitpunkt bereits eine Praxis gesucht, bitten aber darum, die Zeit bis Therapiebeginn zu überbrücken.

„Wenn wir merken, der Klient gehört in den ambulanten Bereich, dann recherchieren wir, ob KollegInnen von uns in der Nähe der Person eine Praxis haben, und vermitteln“, sagt Bea­trice Ohms. Die Therapeutin hat vor drei Jahren die Plattform myonlinetherapie gegründet, weil sie von München nach Paris zog und den Kontakt zu ihren deutschen PatientInnen aufrechterhalten wollte. Die BeraterInnen auf ihrer Webseite seien untereinander gut vernetzt und arbeiten alle auch ambulant. Myonlinetherapie ist für sie ein kleiner Dazuverdienst, ihre Praxen können und wollen sie damit nicht ersetzen.

Ohms wünscht sich, dass die Online-Beratung künftig auch von den Kassen unterstützt wird. Ihre Seite werde von Jahr zu Jahr populärer. Mittlerweile seien es etwa tausend Aufrufe im Monat.

Was die Krankenkassen anbieten

Dabei ist e-Mental-Health auch für Krankenkassen längst nichts Neues mehr. Seit ein paar Jahren bieten verschiedene Kassen ihren KundInnen eigene digitale Selbsthilfeprogramme an. Mit moodgym, get.on oder dem DepressionsCoach sollen Menschen mit leichter bis mittelschwerer Depression lernen, besser mit ihrer Erkrankung umzugehen. Was nach Selbst­optimierung und Fitness-App klingt, basiert laut aerzteblatt auf dem Wunsch psychisch Erkrankter, alleine zurechtzukommen. Die Programme sollen mit regelmäßigen Übungen helfen, dem Tag Struktur zu geben und sich aus gefährlichen Denkmustern zu befreien, heißt es auf den entsprechenden Webseiten.

„Mittlerweile gibt es eine Fülle an solchen Angeboten und es ist unübersichtlich geworden“, sagt Bauer. NutzerInnen sollten sich genau damit auseinandersetzen, wer die Intervention entwickelt hat und ob die Wirksamkeit in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen wurde. „Und auch hier besteht die Gefahr, dass psychisch schwerkranke Menschen glauben, Hilfe gefunden zu haben. Obwohl sie eigentlich eine intensive therapeutische Maßnahme bräuchten.“

Während Deutschland noch mit dem Konzept der Videochat-Therapie fremdelt, wird in den USA bereits mit Künstlicher Intelligenz experimentiert. Forscher der Universität Stanford programmierten im vergangenen Jahr den sogenannten woebot, einen Kummer-Chatbot, der über soziale Netzwerke erreichbar sein und aufmunternd wirken soll.

Pia Klaus hält davon eher wenig. „Therapie hat so viel mit echter Empathie zu tun.“ Die lasse sich nicht ersetzen – und sei spürbar, wo Menschen miteinander agierten. Ob sie nun in einem Raum sind oder miteinander verbunden durch das Internet, spiele da überhaupt keine Rolle.

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