Wiedersehen in Tunix: Einst radikal, heute zu angepasst

Selbst machen, Kollektive gründen: Die kritische Aufarbeitung des Tunix-Treffens von 1978 im Berliner HAU fragte auch, was heute noch geht.

Zwei Frauen, eine Gitarre und eine Puppe auf der Bühne des Berliner Hebbel-Theaters anlässlich von "Wiedersehen in Tunix".

Zwischen den Diskussionsrunden rockten das Helmi und SMS_Kaputt die Bühne des HAU Foto: David Baltzer

BERLIN taz | Nach dem Deutschen Herbst 1977, der Schleyer-Ermordung und den RAF-Toten in Stammheim war die deutsche Linke vor vier Dekaden wie gelähmt. Das verhasste System der BRD wurde von den Hardlinern herausgefordert, aber es wurde nicht bezwungen. Kurz darauf, vom 27. bis 29. Januar 1978, fand an der TU Berlin der inzwischen legendäre Tunix-Kongress statt. Aus der ganzen Republik reisten die Studenten, Linken und Spontis zum Treffen der undogmatischen Szene an.

Die Idee, eine linke, ökologische Partei gründen zu wollen, wurde hier vorgestellt. Später nannte sich diese Partei „Die Grünen“. Nicht zuletzt gab man hier bekannt, dass gerade eine neue linke Tageszeitung im Entstehen sei – die taz, die kurz nach dem Kongress gegründet wurde. Selber machen, Kollektive gründen, Projekte anstoßen, alles neu denken, diesen Geist verströmte Tunix. „Danach“, sagt Grünen-Urgestein Hans-Christian Ströbele 40 Jahre später, „konnte man wieder atmen.“

Ströbele war damals dabei, als rund 20.000 Teilnehmer bei Tunix zusammenkamen, um zu diskutieren. Nicht mehr dogmatisch, wie in den K-Gruppen, sondern ohne Denkverbote. Über Psychiatrie, Presse, Alternativkultur, Hausbesetzungen, bewaffneten Kampf, über alles, was die Linke so umtrieb. Und Ströbele ist am vergangenen Wochenende auch wieder dabei, als im Theater HAU 1 in Kreuzberg ein zweitägiges „Wiedersehen in Tunix!“ stattfindet.

Die Veranstaltung ist eine Mischung aus Reenactment und kritischer Aufarbeitung und gleichzeitig der Versuch, den Geist des Aufbruchs von damals mit der Gegenwart abzugleichen. Allein die zig Flyer, die ausliegen und auf denen unterschiedliche Gruppierungen zu Demos und Besetzungen aufrufen, zeigen, dass Tunix 40 Jahre später immer noch nachwirkt. Freilich sind die Bedingungen heute ganz andere als damals: Das Tunix-Revival wurde ermöglicht mit freundlicher Unterstützung des Hauptstadtkulturfonds. So etwas hätten sich die Linken damals wahrscheinlich gar nicht vorstellen können.

Die Freaks sind anti-intellektuell

Das Wiedersehen wurde mit sehr viel Liebe und Sorgfalt organisiert. Zwei Tage lang gibt es ein dichtes Programm an Panels und Diskussionsrunden. Es werden Filme aus der damaligen Zeit gezeigt, etwa Reportagen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens über den Kongress, in denen recht entgeistert über das Treiben langhaariger Spontis in der TU berichtet wurde. Dazwischen und in den Pausen tritt immer wieder das Helmi-Puppentheater mit seinen durchgeknallten Performances auf.

Schließlich ging es auch beim Tunix-Kongress vor 40 Jahren nicht nur um harte Theorie, sondern auch um Spaß. Und ein ganzes Buch zu „Wiedersehen in Tunix!“ wurde anlässlich des Wiedersehens gedruckt.

Neben Texten, die den Kongress von damals neu beleuchten, findet sich in dem Buch zum Wiedersehens-Treffen auch ein Faksimile des damaligen Veranstaltungsheftes. Felix Guattari, neben Gilles Deleuze und Michel Foucault einer der Theoriestars aus Frankreich, die am Kongress teilnahmen, hatte darin einen kleinen Text untergebracht, ein Thesenpapier.

Mit Initiativen wie Stadt von Unten oder Kotti & Co schließt sich der Kreis

Welcher Geist damals herrschte, zeigt sich auch hier ganz gut. Als „Anmerkung der Herausgeber“ wurde unter den Text des großen Guattari geschrieben: „Wir finden den Text schwer verständlich und teilweise unnötig hochgestochen.“

Wie geht das, wenn die Mieten steigen

Die Veranstaltung im HAU 1 ist auch ein Happening verschiedener Generationen. Alte 68er, die Generation Tunix und Vertreter junger Stadtinitiativen wie Stadt von Unten oder Kotti & Co kommen zusammen, und in gewisser Weise schließt sich so ein Kreis. Die Alten berichten davon, dass Tunix zumindest für die neue Alternativszene einen Abschied vom orthodoxen Marxismus einläutete. Und dass man, wie es einmal auf dem Podium formuliert wird, Adorno vom Kopf auf die Füße stellen wollte, um fortan „ein richtiges Leben im falschen“ zu suchen.

Die Jungen von den Stadtinitiativen fragen sich eher, wie man all die selbstverwalteten Projekte und Initiativen, die auch dank des Spirits von Tunix in den Achtzigern entstanden sind, bei den steigenden Mieten in der Stadt noch retten kann.

Gut, dass es die Grünen und die taz gibt

Am Schluss dann die große Erschöpfung. Wahnsinnig gut besucht ist das Tunix-Revival sowieso nicht, doch am Ende des zweiten Tages wirkt das Auditorium im Theatersaal ziemlich leer gespielt. Auf einem Panel geht es dort noch einmal um die taz. Die firmiert während der zwei Tage sowieso als paradigmatisches Tunix-Erbe. Genauso wie Die Grünen. Einst radikal, heute zu angepasst, hört man immer wieder.

Dennoch sei es gut, dass es sie gebe. Hans-Christian Ströbele etwa sagt, er „möchte die taz und die Grünen heute eigentlich nicht missen“.

„Wiedersehen in TUNIX! Ein Handbuch zur Berliner Projektekultur“. Anina Falasca, Annette Maechtel, Heimo Lattner. Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt #7. 7 Euro, ePub und PDF 3,99 Euro

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.