Der Hausbesuch: Aufräumen mit der Ohnmacht

Nach G20 wollte Rebecca Lunderup Hamburg wieder sauber fegen. 10.000 Leute halfen mit. Auch für den Bundespräsidenten stand ein Besen bereit.

Eine Frau, Rebecca Lunderup

Rebecca Lunderup in ihrem Wohnzimmer in Hamburg-Lokstedt Foto: Miguel Ferraz

Rebecca Lunderup organisierte die Aufräumaktion nach dem G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017. Wenn aus ihrer Sicht etwas getan werden sollte, aber niemand etwas tut, würde sie immer wieder ein solches Großereignis auf die Beine stellen. Die Studentin hat da schon etwas im Kopf. Während des G20-Gipfels in Hamburg wurden Bilder der Gewalt von ihrer Stadt in die Welt getragen. Das konnte die damals 22-Jährige so nicht stehen lassen.

Draußen: Lokstedt, im Nordwesten Hamburgs. Plattenbau, dritter Stock. Der Tierpark befindet sich in der Nähe und etwas weiter nördlich das Niendorfer Gehege, ein Naherholungsgebiet, in dem Rebecca Lunderup oft joggen geht. Noch weiter nördlich ist sie aufgewachsen.

Drinnen: Die erste gemeinsame Wohnung mit ihrem Freund Timon, vor drei Jahren sind sie eingezogen, vor vier Jahren haben sie sich kennengelernt. Über dem Ecksofa: der Sonnenuntergang über Hamburg im Querformat. („Ich liebe Hamburg, jedes Viertel steht für sich, aber trotzdem bildet alles eine Einheit.“) Auf einem Regal steht ein Kinderfoto: sie mit ihren beiden älteren Geschwistern Hannah und Sebastian.

Blindenschrift: Die Namen ihrer Geschwister hat sie sich auf den linken Unterarm tätowieren lassen – in Brailleschrift, denn ihr Großvater war blind und hat seinen EnkelInnen die Schrift beigebracht. Als jüngste der drei Geschwister musste sie immer kämpfen und sich behaupten, sagt sie. „Das fängt schon damit an, wer im Auto vorn sitzen darf.“

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Aufgabe: Ihre Großmutter sagte: „Wenn eine das macht, dann du“. Und bezog sich auf die Aufräumaktion nach dem G20-Gipfel in Hamburg. Diese hatte Rebecca Lunderup organisiert, weil sie sich angesichts der Eskalation hilflos fühlte, aber nicht untätig sein wollte.

Polarisierende Medien: Dass während des G20-Gipfels demonstriert wurde, findet Lunde­rup gut. „Das Problem war, dass diejenigen, die friedlich demonstriert haben, nicht gehört wurden.“ Denn die Bilder von Zerstörung und Gewalt überwogen in der Berichterstattung. „Es wird das gezeigt, was polarisiert. Das sieht man in der Flüchtlingsdebatte und das sah man auch bei G20.“ Das Bild, das dadurch von Hamburg in die Welt getragen wurde, wollte Rebecca Lunderup so nicht stehen lassen.

Ihr Gipfel: Während des Gipfeltreffens hat sie von zu Hause aus gearbeitet, weil ihr damaliger Job in der Nähe des Protestcamps Altona lag. Sie saß im Wohnzimmer vor dem Laptop, im Fernsehen lief die Liveberichterstattung des Gipfels. Irgendwann ging Arbeiten nicht mehr, die Bilder waren zu stark. Aber was sie tun könnte, wusste Lunderup auch nicht. An einem Abend erstellte sie auf Facebook eine Veranstaltung: „Hamburg räumt auf.“ „Damit ich wenigstens das Gefühl hatte, etwas zu tun.“ Zwei Tage später, an einem Sonntag, sollte die Veranstaltung stattfinden. Am Samstag endete der Gipfel.

Bewusst unpolitisch: Immer mehr Menschen sagten im Laufe zweier Tage auf Facebook zu, bei „Hamburg räumt auf“ teilzunehmen. „Hilfe, ich rufe mal bei der Polizei an“, sagte Lunderup zu ihrem Freund. Dort waren sie gar nicht begeistert: „Sie können nicht einfach so eine Veranstaltung machen.“ Aber wie sich herausstellte, musste Lunderup die Veranstaltung nicht anmelden, da sie keine politische Kundgebung war. Ein Statement war sie trotzdem: Dafür, dass Hamburg zusammenhält und die AnwohnerInnen, deren Häuser oder Geschäfte beschädigt wurden, nicht alleine lässt. Etwa 10.000 Menschen waren bei der Aufräumaktion dabei, schätzte die Polizei.

Ein Haus

Ein Plattenbau, darin: die erste gemeinsame Wohnung von Lunderup und ihrem Freund Foto: Miguel Ferraz

Reservierte Besen: Am Sonntagmorgen um 11 Uhr, eine Stunde vor dem Start der Aufräumaktion, hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sie zu einem Treffen eingeladen. Als er die damals 22-Jährige für ihr Engagement lobte, sagte sie zu ihm: „Für Sie haben wir auch noch einen Besen reserviert.“ Bald war klar: „Der Bundespräsident und der Hamburger Bürgermeister hatten natürlich keine Zeit.“

Hass: Nicht alle fanden die Aktion gut. „Vor der Roten Flora im Schanzenviertel waren Leute, die meinten: Haut ab, wir wollen nicht, dass ihr hier aufräumt.“ Über Facebook bekam Lunderup Hassnachrichten. Einigen schrieb sie zurück und bot ein Treffen an, „um darüber zu sprechen, warum ich diese Aktion organisiert habe“. Auf keine dieser Nachrichten hat sie eine Antwort erhalten.

Nicht putzen: Bei der Aktion ging es aber nicht nur ums Aufräumen („es war eher ein Zeichen“). Zuvor war schon die Stadtreinigung vor Ort gewesen. „Nach einer Stunde hatten wir eigentlich nichts mehr zu tun, aber die Leute wollten trotzdem noch nicht nach Hause gehen.“ Manche fingen an, Kronkorken und Kaugummis zwischen den Pflastersteinen herauszupulen und Graffiti, die für das Schanzenviertel charakteristisch sind, zu übermalen. „Es war ja nicht so, dass ich dastand und die Leute angewiesen hätte, was sie tun sollen.“ Wenn sie jetzt davon erzählt, dass es den Vorschlag gab, die Aufräumaktion ohne konkreten Anlass wieder aufleben zu lassen, meint sie: „Die Schanze gehört nicht geputzt.“ Für sie ging es darum, zu zeigen: „Diese Aggressivität, diese Gewalt, so sind die Menschen in Hamburg nicht.“

Bewusst politisch: Ihre Aktion, die bewusst keine politische Positionierung enthielt, hat sie verändert, politisiert. „Vorher hätte ich nie gedacht, dass man so etwas als einzelne Person bewirken kann.“

Das denkt sie: Lunderup hat das Gefühl, dass wenige junge Leute politisch interessiert sind. Geschweige denn aktiv werden. Das ist auch in ihrem Bekanntenkreis so – „es gehen alle wählen, klar, aber das war’s“. „Ich glaube aber nicht, dass das ein spezifisches Problem meiner Generation ist.“ An dieser Einstellung stört sie sich: „Es bringt ja nichts, zu Hause zu sitzen und zu sagen, wie blöd alles ist.“

Polarisierte Gesellschaft: Sie bezeichnet sich selbst als Organisationstalent. Es gibt einige Themen, für die sie diese Eigenschaft gern einsetzen würde. Ausländerfeindlichkeit beschäftigt sie. Dass sie mitbekommt, wie Geflüchtete am Hamburger Hauptbahnhof angepöbelt werden. „Das geht gar nicht.“ Deshalb denkt Lunderup darüber nach, was sie tun könnte: „Eine Aktion, die den Zusammenhalt fördert.“

Blöder Chemielehrer: Eigentlich ist sie momentan Studentin. Nach der Schule hat sie zunächst eine Ausbildung zur biologisch-technischen Assistentin gemacht und im Anschluss im Labor einer Berufsschule gearbeitet. Da wurde sie öfter gefragt: „Frau Lunderup, warum sind Sie eigentlich nicht Lehrerin?“ Das hat sie sich dann auch gefragt. Jetzt studiert sie Chemietechnik und Biologie auf Berufsschullehramt im dritten Semester. In der Schule hatte sie Chemie abgewählt („Ich hatte einen blöden Chemielehrer“). Jetzt will sie selbst Chemie vermitteln, „weil es so viele Dinge in der Chemie gibt, über die man sprechen muss“. Beispielsweise Mikroplastik und andere gesellschaftliche Themen. „Das gehört zu Chemie und Biologie einfach dazu.“

Und was hält sie von Angela Merkel? Respekt sollten wir vor ihr haben, findet Rebecca Lunde­rup. „Gerade ihre Entscheidungen in der Flüchtlingsfrage haben mich überrascht und ich fand es gut, dass sie das so durchgezogen hat“. Aber den Wechsel an der Parteispitze findet Lunderup trotzdem notwendig. „Und das war jetzt das erste Mal, dass ich mich in einem Interview politisch geäußert habe.“

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