Fischereipolitik der EU: Fish ’n’ Brexit

Die Europäer fangen die Meere leer. Mit dem Brexit soll sich das ändern, hoffen schottische Fischer. Auch wenn das Votum über den Deal vorerst verschoben ist.

Möwen fliegen um eine heruntergefallene Packung Fish and Chips

Schnell noch Fish ‚n‘ Chips essen, bevor der Brexit kommt Foto: imago/UIG

SHETLAND-INSELN taz | Die „Alison Kay“ kann heute nicht raus. Die Netze des blau-weißen Trawlers sind auf dem feuchten Asphalt hinter dem Schiff ausgebreitet, statt die Meere nach Dorsch, Kabeljau und Witting zu durchkämmen. Auch die „Radiant Star“ schräg gegenüber und die „Devotion“ nebenan sind nicht rausgefahren.

Seit Tagen schon fegen starke Böen über die Shetlandinseln, das Meer schleudert seine Gischt wie schlechtgelaunt an die Strände. Statt auf rundherum wogende See blickt Kapitän James Anderson durch die Fenster seines Steuerraumes nur auf den Hafen von Scalloway im Westen von Shetlands Hauptinsel Mainland.

Mehr als zwanzig Bildschirme und Displays helfen Anderson normalerweise bei der Navigation durch Nordatlantik und Nordsee. Doch gerade schaut er nur auf eine kleine Karte auf seinem Handy. „Das hier ist Shetland“, sagt er und tippt auf den Bildschirm. Ein kleiner Flecken Land zwischen Schottland, Norwegen und den Färöern, umgeben von bunten Sprengseln. Er zeigt auf einen der Punkte, die in den Gewässern rund um die Inseln kreisen: „Das ist ein ausländisches Boot, das ist ein französisches“, sagt Anderson. Noch ein Punkt: „Das ist ein Norweger.“

Ob ihm das wehtut, dass die Schiffe da draußen sind und er nicht? Das sei er ja gewohnt, sagt Anderson. So ein Schiff braucht regelmäßige Reparaturen, dieses Mal muss der Hydraulikmotor der Netztrommeln in Ordnung gebracht werden.

Shetland-Fischer gegen die europäische Konkurrenz

Anderson kennt zwar den Anblick etlicher ausländischer Schiffe, die in den Gewässern um Shetland fangen. Richtig findet er das deshalb aber noch lange nicht: „Die Briten fangen nur rund 40 Prozent der Fische, und 60 Prozent werden von anderen mitgenommen, hauptsächlich den Franzosen, Deutschen, Holländern und den Dänen“, sagt der Kapitän. Das sollte seines Erachtens andersherum sein, „zumindest umgekehrt 60 zu 40“.

Für viele Fischer wie Anderson war der Brexit die Hoffnung, bald durch einen Ausstieg aus der gemeinsamen Fischereipolitik mehr Mitspracherecht zu erlangen – und den EU-Schiffen weniger Zugang zu den britischen Gewässern zugestehen zu müssen. „Das wird nie passieren, wenn wir nicht aus dem System herauskommen, in dem wir eingesperrt sind“, sagt Anderson.

Am Dienstag sollte das britische Unterhaus eigentlich über den 585-seitigen Vertrag zum Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU und über eine 26 Seiten lange politische Erklärung abstimmen. Diese Absichtserklärung über die zukünftigen Beziehungen Großbritanniens zur EU nach dem Brexit ergänzt den Austrittsvertrag.

Doch die Papiere sind umstritten, und weil sie Premierministerin Theresa May wohl um die Ohren geflogen wären, verschob sie das Votum im Parlament am Montag kurzfristig. Eines der meistumkämpften Themen in der politischen Erklärung aber ist: die Fischerei. Obwohl sie weniger als ein Prozent der britischen Wirtschaftsleistung ausmacht, haben die Seeleute doch die lautesten Fürsprecher.

Tausche Fischrechte gegen Handelsmöglichkeiten?

In der Erklärung wird betont, dass Großbritannien ein unabhängiger Küstenstaat sein wird und dass die EU und das Vereinigte Königreich bis 2020 ein neues Fischereiabkommen auflegen sollten, in dem der Zugang zu Gewässern und die Quoten geregelt werden. Das klingt vage, hat es aber in sich. Die Kritiker sagen, der Zugang der EU zu Gewässern sei durch die Erklärung an den zukünftigen Handel gebunden. Quasi: Handel mit der EU nur gegen Fischen in britischem Wasser.

Das wäre ein Riesenproblem, denn die britischen Fischer wollen mehr Mitspracherecht darüber, wer wann und wie Zugang zu den Gewässern hat. Sie brauchen aber den europäischen Markt und sind darauf angewiesen, dass sie ohne komplizierte Zollverfahren handeln können: Voriges Jahr hat Großbritannien 460.000 Tonnen Fisch exportiert, vor allem Hering, Makrele und Lachs. Die drei wichtigsten Empfängerländer waren Frankreich, die Niederlande und Spanien. Zudem importieren die Briten jede Menge Fisch.

Premierministerin Theresa May bestreitet zwar, dass Handel gegen Fischereirechte getauscht werde. Die Gegner ihres Brexit-Deals haben aber erhebliche Zweifel daran. „Verhandlungsmasse“ seien die schottischen Fischer für die konservativen Tories, wütet Ian Blackford, Frak­tions­führer der Scottish National Party (SNP) im britischen Parlament: „Schottlands Fischereirechte über Bord geworfen wie nutzloser Beifang!“ Von „einem weiteren Ausverkauf von Schottlands Fischern durch die Tories“ spricht Schottlands Re­gio­nalchefin Nicola Sturgeon im schottischen Parlament in Holyrood in Edinburgh.

Westminster und Holyrood sind von Shetland weit weg. Hier im Stewart Building in Lerwick im Osten der Hauptinsel beschäftigt sich Leslie Tait schon seit Jahren damit, was die Politik mit seinem Beruf macht. Der Wind heult um das Eckbüro im ersten Stock, als wolle er die Fenster mit sich reißen. „Wird schon hierbleiben“, sagt der Vorsitzende der Shetland Fishermen’s Association im sanft brummelnden, rollenden Englisch der Leute von den Shetlands und nimmt einen Schluck Tee. Das Fenster hinter dem 66-Jährigen im traditionellen Fair-Isle-Strickpullover gibt den Blick auf die unruhige See preis.

Als Junge schon lief Tait in den Ferien morgens zum Hafen, auf gut Glück, in der Hoffnung, dass ihn jemand mitnehmen würde. Später besaßen seine Crew und er ein Boot, die „Harmony“. „Nach 32 Jahren ging ich an Land und sah mit Abscheu, was in der Fischerei ablief. Namentlich: die Gemeinsame Fischereipolitik“, sagt Tait. Diese EU-Politik ist auf Shetland ein Reizwort, vor allem der „gleiche Zugang“, den sie allen europäischen Flotten zu den Hoheitsgewässern der EU und deren Fischgründen gewährt.

Shetlands Fischer bleiben optimistisch

Doch anders als das Getöse um die Brexit-Papiere vermuten lässt, sind die Fischer-Vertreter auf Shetland relativ optimistisch: „Wir sind einigermaßen zufrieden mit dem Tun der Regierung“, sagt Tait. Damit reihen sich die shetländischen Fischer bei den Pro-Brexit-Fischerlobbyisten Schottlands ein, der Scottish Fishermen’s Federation. Zwar gebe es keine Garantie, was künftig passieren werde, sagt Tait. Aber es werde klargemacht, dass Großbritannien ein unabhängiger Küstenstaat seim und Kontrolle über die eigenen Gewässer übernehme. Auch wenn das nicht heiße, dass nur noch Briten dort fischen dürften. „Wir dachten nie, dass ausländische Schiffe komplett rausgeworfen würden“, sagt Tait.

Also warum das Geschrei? „Ich denke, das ist die Gelegenheit, mehr Wähler zu bekommen“, sagt Skipper Anderson dazu. Die Industrie sei klein – „aber politisch können wir das Gleichgewicht verschieben“.

James Anderson von den Shetland-Inseln mag keine Konkurrenz aus Europa Foto: Eva Oer

In Schottland wohnen nur 8,2 Prozent aller Briten. Aber die Küstenorte haben einen großen Anteil an der britischen Fischereiindustrie. 64 Prozent des Fischs, der im letzten Jahr im Vereinigten Königreich angelandet wurde, kamen aus Schottland. Die Branche konzentriert sich auf wenige Wahlkreise. Da Premier May für ihre Brexit-Pläne auf jede Stimme angewiesen ist, haben die Parlamentsabgeordneten dieser Regionen ein gewisses Gewicht.

Ob Tait Fischer kenne, die für den Verbleib in der EU gestimmt haben? „Ich kenne keine“, sagt er. „Vielleicht halten die sich bedeckt.“ An manchen Orten hier gebe es eine Menge Wut auf manche europäische Regeln.

So wie auf dem Fischmarkt nahe am Hafen Lerwicks. Im ersten Stock des schmucklosen Gebäudes sitzt Anthony Simpson im Auktionsraum. Der Einkäufer kauert gebückt über seinen Notizen und rechnet murmelnd zusammen, was seine Kollegen und er für welchen Preis ersteigert haben. Hier läuft alles elektronisch: Die wichtigen Infos bekommen die Händler während der Auktion auf mehreren Anzeigetafeln angezeigt: Welche Spezies, wie viel wiegt die Kiste? Wie viele Tage war das Schiff auf See unterwegs, wie frisch ist also der Fisch? Simpson hat zugeschlagen, nun klingelt und surrt sein Telefon, „Bonjour, Cédric“, begrüßt er seinen Kunden. Die Franzosen warten ungeduldig auf die Ausbeute, erklärt Simpson.

Der dunkelblonde Shetländer fuhr ursprünglich selbst aufs Meer hinaus, konnte den Job aber wegen Augenproblemen nicht mehr ausüben. Er arbeitete als Einkäufer und Händler, ging ins australische Sydney, als dort ein neuer Fischmarkt aufgebaut wurde, und wieder nach Shetland, von wo aus er nun Fisch verkauft. „Ich war proeuropäisch, als es nur um den europäischen Markt ging“, sagt Simpson. Aber nicht, was die politische Seite angehe. Er wolle doch gar nicht grundsätzlich raus – aber die „politische Agenda“, die solle Brüssel endgültig loswerden.

„Das Papierzeug der Politiker bedeutet nichts“

Dass das Brexit-Abkommen ein Hindernis für den Handel sein könnte? „Sei’s drum“, sagt Simpson entschlossen und schaut streng. Auf den Tag X bereite er sich nicht vor: „Es gibt nichts einzurichten, die Welt wird das selbst austüfteln. Meine Kunden werden das schon austüfteln.“ Die Verträge, die politische Erklärung? „Das Papierzeug bedeutet nichts. Das sind Politiker, die reden“, winkt er ab, mittlerweile spuckt er die Worte fast aus. „Wir haben 1462 mit der Hanse gehandelt, wir werden handeln. Politiker können Hindernisse aus Papierkram einrichten, das ist ihre Sache. Die Leute werden einen Weg drum herum finden.“

Dass sich Handelshindernisse schon ausgleichen würden, das glaubt auch der gemäßigtere Brexit-Befürworter James Anderson. Das Argument: Wir wollen unseren Fisch in die EU exportieren – aber die EU-Länder wollen ja auch mit Großbritannien handeln. Störungen, die könne es geben, das gibt auch der Einkäufer Simpson zu. Für fünf oder zehn Jahre vielleicht, nimmt er an. Aber das werde sich schon ausbalancieren.

Man könne doch nicht eine andere Nation das eigene Land regieren lassen, regt er sich auf. Die andere Nation, das ist für ihn die EU-Kommission. Simpson sagt: „Du hast einen Alkoholiker Juncker, der durch die Straßen torkelt, nicht weiß, welcher Tag ist – der mir erzählt, was ich vor meiner eigenen Haustür fangen darf? Nein, das ist falsch.“ Dass die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat, also auch die britische Regierung, in der EU etwas zu sagen hätten, daran glaube er nicht. „Das ist ein abgekartetes Spiel, das ist nur ein Märchen. Dem Rat wird gesagt, was er zu entscheiden hat“, sagt Simpson mit einem verächtlichen Lachen.

Der EU-skeptische oder gar -hassende Fischer ist eines der großen Brexit-Klischees. Doch die ­Industrie ist nicht so einheitlich, wie man denken könnte – nur sind die einen lauter als die anderen.

Die anderen, das sind in Schottland etwa diejenigen, die mit Fangkörben fischen, hier vor allem nach Krebsen, Hummern und Garnelen. Fischfallen und Reusen zählt die Umweltorganisation Greenpeace zu den schonenderen Fangmethoden. Diese Küstenfischerei wird unter anderem von der Scottish Creel Fishermen’s Federation vertreten, die sich heftig besorgt zeigt. Ihre Mitglieder handeln mit Tieren, die noch lebend bei den Kunden auf dem europäischen Festland ankommen müssen, und sind deshalb auf einen reibungslos funktionierenden Grenzübergang angewiesen.

Bei Zollschranken könnte der Verkauf stocken

Doch den brauchen eigentlich auch die Shetländer. Martin Leyland muss es wissen, er ist Manager der Shetland Seafood Auctions. Damit ist er sowohl für den Fischmarkt in Lerwick als auch den in Scalloway zuständig. Seit 40 Jahren ist Leyland in der Branche, ein dezenter Mann mit unauffälliger Brille und hellem Haar in einer wetterfesten dunklen Jacke mit reflektierenden Streifen.

Bisher laufe der Transport sehr gut, sagt er. Aber alles, was etwas ändert, kann ein Risiko sein. „Wir haben schon die Nervosität des Wetters.“ Der Fisch muss zunächst einmal von Shetland ins etwa 340 Kilometer entfernte Aberdeen im Nordosten Schottlands gebracht werden, dann knapp 200 Kilometer weiter südlich nach Glasgow, von dort in den Süden Großbritanniens. Wenn dort Zollprozeduren für Verspätungen sorgen, die Ware gar stecken bleibt? „Dann wird das wichtige Geschäft nach Europa betroffen sein“, sagt Leyland.

Er winkt seinen Mitarbeiter Alan Chapman heran, der eiligen Schritts durch die Lagerhalle mit Boxen voll Fisch läuft. In der Nacht haben drei Schiffe hier ihre Fänge angelandet, zwei weitere Boote in Cullivoe auf der nördlich gelegenen Shetlandinsel Yell. Ihre Fänge, darunter Dorsch, Kabeljau, Seehecht, Wittling, Köhler, Seeteufel, Rochen, lagern im Untergeschoss in gelben Plastikboxen auf Eis. Schlägt ein Einkäufer wie Simpson im Auktionsraum im Obergeschoss zu, spuckt ein Drucker im Untergeschoss surrend und quietschend ein Ticket aus.

Die verteilt Chapman dann auf den Kisten. „Aus unserer Sicht ist noch überhaupt nichts entschieden, oder?“, sagt Chapman zu den Brexit-Vorbereitungen und sieht mit ratlosem, ein wenig gequältem Blick zu Leyland herüber. „Bevor es nicht geklärt ist, weiß doch niemand irgend etwas, oder?“

Pläne machen? Kaum möglich. Jemand habe ihn gestern gefragt, ob er für alle Brexit-Eventua­litäten plane, erzählt Leyland. „Und die Antwort ist: Ich habe zwei neue Fischmärkte im Aufbau. Ich habe momentan nicht genug Zeit, um den Job zu erledigen – also werde ich keine Zeit verschwenden, um mich mit 101 unterschiedlichen Even­tua­litäten zu befassen.“

Dieser und viele weitere Artikel wurden durch finanzielle Unterstützung des Auslandsrecherchefonds ermöglicht.

Leyland ist einer, den es nach Darstellung mancher Fischer-Brexiteers eigentlich nicht geben kann: ein Remain-Wähler, ein Proeuropäer, der in der Fischindustrie arbeitet. Er geht damit nicht hausieren. Auf seine tägliche Arbeit bezogen, sagt er, die politische Seite interessiere ihn nicht. „Ich setze mich jeweils mit der Situation auseinander, in der wir zu der Zeit stecken.“ Die Politik in der Branche überlasse er anderen.

„Wir werden alle bezahlt, um unsere Arbeit zu machen. Aber wenn ich wähle, muss ich so wählen, wie ich es insgesamt am besten erachte“, sagt Leyland. „Warum sollte man nur wählen wegen des Jobs, in dem man gerade arbeitet?“

Das unterscheidet ihn von Fischern wie Anderson. Die Leave-Entscheidung des Kapitäns war, das betont er, „sehr auf meinen Job“ bezogen – auf keinen Fall, um sich gegen Immigration auszusprechen. Als er aus dem Steuerraum der „Alison Kay“ hinuntersteigt, verzieht er sein Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen. Ihn plagt die Sorge, feindselig zu wirken. „Ich denke immer, wir wirken xenophob“, sagt Anderson. „Ich tue das nicht gern“, fügt er hinzu. Aber was die Fischerei angehe, sei es das Beste, wenn der Zugang anderer Nationen zu den Fischgründen etwas eingeschränkt würde. Aber ob es dazu kommt? Anderson ist ratlos: „Ich weiß nicht, was nun passieren wird – weil ich nicht glaube, das der Deal durch das Parlament kommt.“

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