Cebit wird eingestellt: Golden Memories einer Weltmesse

Die einst weltgrößte Computershow ist Geschichte. Dabei war es immer wunderbar wuselig – und wahnsinnig voll. Eine Rückschau.

Ein humanoider Roboter gibt einem Menschen die Hand am Stand von ioX Lab bei der IT-Messe CeBIT

Hand in Hand: Auf der CeBIT gab es Technologie zu bestaunen Foto: dpa

BERLIN taz | Es hatte auch etwas Absurdes: Eine Weltshow, ja bisweilen die weltgrößte Show rund um Internet und Digitales, aber offline. Die Cebit, kurz für „Centrum für Büroautomation, Informationstechnologie und Telekommunikation“ hört nach 32 Jahren auf, zu existieren. Während zu Hochzeiten mehr als 800.000 Besucher nach Hannover kamen, waren es dieses Jahr nur noch 120.000. Auch das neue Cebit-Konzept, laut PR-Sprech ein „Dreiklang aus Messe, Konferenz und Festival“, konnte den „Abwärtstrend der Besucherzahlen nicht stoppen“ – wundert fast niemand. Die Cebit soll künftig Teil der Industrieschau Hannovermesse werden.

Ist auch nicht so schlimm. Wir fanden den Wahnsinns-Wusel und die Messebesucher mit den viereckigen Augen früher auch aufregend – waren aber, weil sich das ja nicht mehr lohnte, auch schon seit Ewigkeiten nicht mehr da. Hier die schönsten Erinnerungen aus grauer Online-Frühzeit – und den aus der Rückschau vielleicht entscheidenden Cebit-Kanzlerjahrgängen 2005 (Schröder) und 2006 (Merkel).

taz nord, 12.3.2005:

Der Kanzler ist saugut drauf. „Hör ma’ zu“, flachst Gerhard Schröder in Richtung eines „Jugend forscht“-Siegers, der gerade von seiner nahen Zukunft als Zivildienstler erzählt hat. „Da werd’ ich dem Struck sagen, dass er auf Sie nicht rechnen kann“. Lacher. Bei Motorola witzelt ein Manager, die Merkel brauche für den Gipfel nächste Woche auf jeden Fall das Handy mit Navigations-System: „Wir haben die Strecke von der CDU-Zentrale zum Kanzleramt schon mal eingegeben.“ Das Glas ist halb voll, schröderblau strahlt der Himmel vor Halle 9, der Kanzler findet alles prima: „Ich habe hier keine Firma getroffen, die Arbeitsplätze abbauen will, alle werden aufbauen“. Gerade hat in Schröders Heimatstadt die Show der großen Hoffnungen begonnen: Das Deutschland-Barometer zum Anfassen, die weltgrößte Schaubude der IT-Branche. Die Cebit. Die Messe läuft noch bis nächsten Mittwoch.

Der Aufmarsch der Gegelten beginnt am Donnerstagmorgen sechsspurig auf dem Messeschnellweg, später hasten sie in unsichtbare Handys murmelnd über die Expo-Allee Nord. Man spricht schwäbisch. „Ich spüre die deutsche Krise“, sagt Andy Joo, Assistent Manager von Mobiblu. Die Südkoreaner launchen in Hannover gerade den kleinsten MP3-Player der Welt, ein buntes Metallwürfelchen mit 2,4 Zentimeter Kantenlänge für 150 Dollar. „In den Städten ist es hier so ruhig“, meint Joo. Und: „Wir werden besser, ihr werdet schlechter“.

„Sie sehen hier diese wunderschöne Torte, die habe ich gerade mit meiner Tante in Alabama per Videokonferenz gebacken“, jubelt ein PR-Fuzzi auf dem Flat-Screen im Wohnzimmer des Telekom-Hauses. Hier verfolgt einen das Radio durch die Räume, per „Mood Management“ können sich Bewohner von rotem oder blauem Licht bestrahlen lassen. Man braucht etwa zehn Fernbedienungen und so für das „Smart Home Konzept“. Aber dafür kann man von zu Hause aus auch das Autoradio einstellen oder von Alabama aus die Jalousien runterrasseln lassen. „Gern würde ich Ihnen jetzt ein Stück Kuchen senden, aber daran arbeitet die Telekom noch“, krakeelt der Tortenbäcker. In der Küche erklärt indes eine Hostess am Tablet, „dass der Backofen jetzt aus ist. Da muss ich ihn erst mal online stellen.“

Hallo Wahnsinn, dein Name ist in diesen Tagen Cebit. Fünf Jahre nach dem großen Knall sind ja alle schon viel vorsichtiger geworden. Aber man wird doch wohl mal am Aufschwung schnüffeln dürfen? 500.000 Besucher werden auf der 30 Hektar großen Schau diesmal erwartet. Erstmals seit vier Jahren ist die Zahl der Aussteller wieder leicht angestiegen, auf 6.270; die Zahl der deutschen Firmen ist gesunken. Er „spüre wieder Knistern in der Branche. Es geht wieder los“, sagt Arcor-Chef Harald Stöber.

taz nord, 11.3. 2006:

Die Cebit, Nummer eins der Computermessen der Welt, läuft noch bis zum kommenden Mittwoch. Hier ist der Ruck, der die Republik beglückt, Aufschwung zum Riechen. Der Trend geht zum Dritt-Handy, der teuerste MP 3-Player der Welt ist mit Brillanten besetzt und kostet 20.000 Euro. Vodafone stellt ein Mobiltelefon mit Bio-Scanner für die „Problemzonen am Po“ vor, es gibt HDTV-Bildschirme in Kuh-, Krebs- oder Schweineform, und das Hamburger Start-Up Retrostar hat schon 10.000 Telefonhörer im 70er Jahre-Look für 29.95 Euro verkauft, die User per USB-Stick ans Handy stecken können – sogar, um damit zu telefonieren.

Auf der Cebit gibt's auch taiwanesische vibrierende MP 3-Player, die aussehen wie Tamagotchis. Bei Motorola steht eine Kugel in Fliwatüt-Form oder wie früher die für die Kandidaten von „Der Große Preis“. Drin sitzt nicht Wim Thoelke, sondern echt begeisterte Kunden, die ihre Musik per Bluetooth ins Autoradio streamen. Vergesst UMTS, Samsung bietet HSDPA-Handys an, die schaffen 3,6 Megabyte pro Sekunde, das ist siebenmal so schnell.

Halbnackte Hostessen vom Online-Versender Speed-Link verschenken in Halle 27 Kataloge mit biegbaren Keyboards und Laser-Mäusen. Kamelle fürs Volk sind auch die Tragetaschen: Alibaba.com aus China verschenkt Bags mit Alibaba.com-Logo – aber nur gegen Business-Card. Saturn in der City hat jetzt sogar am Sonntag geöffnet, Deutschland wird Weltmeister und die Cebit ist die Show, wo du die Zukunft anpacken kannst. Einfach dran glauben.

Wie schal sich der Spirit der Deutschland AG anfühlen kann, muss an diesem Donnerstag Deutschlands dienstältester Bügermeister feststellen. „Herr Schmalstieg, ein bisschen zur Seite“, rüpelt Metro-Chef Hans-Joachim Körber Hannovers OB an, damit die Blitzlicht-Kaskade nicht über ihn, sondern über die neue Cebit-Einweiherin prasselt. Angela Merkel schiebt den Metro-Einkaufswagen mit den Milka-Herzen, den Swiffers-Tüchern und der L'Oreal-Haarlotion am Scanner vorbei.

Nach mehrmaligem Versuch macht die „intelligente Kasse“, die die superkleinen RFID-Chips auf den Waren erkennt, „Piep“, wie Merkel erkennt. „Die Kanzlerin kauft ein“ wird ein Foto des ersten Cebit-Tags, damit was bleibt. Merkel kann nicht anders, schaut drein, als sei sie persönlich von der German disease befallen. Zu SPD-Zeiten war das anders, wenn der Chef zur Cebit kam. Neue Jobs schaffen, die Schlüsselbranche hier vor Ort irgendwie ankurbeln, das schaffen aber weder Merkel noch Gerhard Schröder. Und so rauscht die SMS-Kanzlerin, mal maskenhaft lächelnd, mal mit Merkel-Flunsch, bei AMD, SAP und dem mit Echtrasen dekorierten Bundeswehr-Stand vorbei.

Kanzlerbus. Merkel erkundigt sich bei einem Adlaten, ob das Notebook von Fuijutsu-Siemens, das ihr bei der Präsentation eben fast aus der Hand gefallen wäre, „auch etwas für uns ist“. Aber sie hat auch ein Ohr für Walter Hirche: „Am Anfang war bei Ihnen 'ne Ampel-Koalition?“, fragt Merkel erstaunt. Hirche ist nicht nur derzeit Wirtschaftsminister in Niedersachsen, sondern war dies bereits von 1990 bis 1994 im rot-gelb-grünen Brandenburg, bevor er Staatssekretär in Merkels Umweltministerium wurde. Als sie einen Journalisten entdeckt, der die Szene mitschreibt, blafft sie ihn an: „Wo kommen Sie her?“

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