Hartz IV und Niedriglohn: Schiefe Vergleiche

Die „Bild“-Zeitung spielt Niedriglöhner gegen Hartz-IV-Empfänger aus. Das ist manipulativ und lenkt von der Lohnproblematik ab.

Protest gegen Hartz IV-System

Es muss etwas bei den Niedriglöhnen passieren Foto: imago/Gerhard Leber

Wer wissen will, wie sich mit Schlagzeilen und schrägen Vergleichen Stimmung machen und Politik vereinfachen lässt, der muss sich den Aufmacher der Bild-Zeitung vom Freitag anschauen: „Wir arbeiten zum Niedriglohn statt Hartz IV zu kassieren. Sind wir deshalb die Dummen?“ heißt es in der Headline. Dazu erscheinen dann in Wort und Bild eine Kioskbetreiberin, ein Physiotherapeut, ein Friseur, eine Floristin, ein Kellner – Leute , die in Vollzeit nur einen Niedriglohn verdienen, aber deutlich machen, dass sie niemals Hartz IV beantragen würden.

4,2 Millionen Vollzeitbeschäftigte in Deutschland arbeiten für ein Entgelt unterhalb der rechnerischen Niedriglohnschwelle, sie liegt bei zwei Drittel des mittleren Bruttoeinkommens, also im Jahr 2017 bei 2.139 Euro brutto. Das sind für einen Alleinstehenden etwas unter 1.500 Euro netto. Der Artikel insinuiert, dass Hartz-IV-Empfänger kaum weniger oder sogar mehr „kassieren“.

Doch die Vergleiche sind schief. Eine vierköpfige Familie auf Hartz IV bekommt laut Artikel im Schnitt über 2.144 Euro vom Amt. Allerdings würden Physiotherapeuten und Floristinnen im Unterschied zu Hartz-IV-Empfängern an die 400 Euro Kindergeld für zwei Sprößlinge zu ihrem Gehalt dazu bekommen.

Außerdem ist davon auszugehen, dass in vielen Fällen der oder die Partnerin mitverdienen würde und das Gesamteinkommen inklusive Kindergeld damit den Hartz-IV-Satz für eine Familie deutlich überschritte. Es ist eine beliebte Masche, immer nur das Arbeitsentgelt eines Alleinverdieners den Hartz-IV-Bezügen für eine ganze Familie gegenüberzustellen und die Schräglage zu beklagen.

Hohe Lebenshaltungskosten

Einem Masseur in Chemnitz mit 1.300 Euro netto bleibt laut der Bild-Rechnung nur noch wenig Geld zum Leben, weil schon 950 Euro im Monat für Miete und Auto draufgehen. Solche Kosten erzeugen Frust bei den schlecht bezahlten Erwerbstätigen, berechtigterweise. Doch wenn man Arbeitsentgelte mit Hartz-IV-Bezügen vergleicht, spielt man zwei Werte gegeneinander aus, die unterschiedliche Bezüge haben: Bei Hartz IV geht es um den Bedarf, das Existenzminimum, beim Entgelt um eine Entlohnung für die Arbeitsleistung eines Einzelnen.

Diese Entlohnung kann ungerecht sein mit Bezug auf die Arbeit, die Anstrengung, den Verschleiß, die Lebenshaltungskosten. Aber dies darf nicht dazu führen, dass man die Bedarfsgerechtigkeit beim Existenzminimum für Menschen, die nicht erwerbstätig sein können, in Frage stellt.

Susanne Ferschl, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, sagte dazu der taz: „Wer bei Niedriglöhnen den Handlungsbedarf bei Hartz IV sieht, lenkt absichtlich den Blick in die falsche Richtung. Hier wird auf dem Rücken von Hartz IV Empfängern Sozialneid geschürt und versucht die Schwächsten gegen die Schwachen auszuspielen“.

Die Linksfraktion hatte der Bild-Zeitung die Zahlen zum Niedriglohnsektor zur Verfügung gestellt, die auf einer Anfrage der Linken bei der Bundesregierung beruhen. Was das Blatt dann aber daraus machte, war für die Fraktion eine unangenehme Überraschung.

Problemfall Löhne und Mieten

Die Porträtierten im Artikel erklären, dass sie trotz ihres knappen Verdienstes nicht Hartz IV beantragen würden, weil sie zu stolz dazu seien. Diese Aussagen, die offenbar auf entsprechende Reporterfragen gekommen sind, verbreiten eine Subbotschaft. Denn damit wird insinuiert, dass erstens jeder, der keine Lust zu arbeiten hat, mal eben auf Hartz IV gehen könnte und zweitens, dass Hartz-IV-Empfänger weniger Achtung verdienen als Erwerbstätige.

Sachbearbeiter in den Jobcentern erzählen was anderes: Angesichts der guten Konjunktur hat sich die Struktur der Hartz-IV-EmpfängerInnen geändert. Vor allem Alleinerziehende, körperlich und seelisch Kranke, Leute mit geringen Deutschkenntnissen finden sich jetzt in den Jobcentern. Viele können nicht, noch nicht oder nicht mehr mithalten auf dem Jobmarkt.

Aber was ist mit denen, von denen Bauhandwerker mit saurer Miene berichten, den Leuten, die kündigen und dem Chef tatsächlich sagen: „Mit etwas Schwarzarbeit habe ich mehr Geld und weniger Stress. Ich geh' lieber auf Hartz IV.“? Ja, die gibt es. Nur kann man wegen ihnen nicht die Mehrzahl der LeistungsbezieherInnen unter Generalverdacht stellen.

Stattdessen muss was bei den Niedriglöhnen passieren. Und bei den Mieten, zum Beispiel. Es kann nicht sein, dass Hartz-IV-Empfänger immer wieder für den Frust der andern herhalten sollen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.