Klimawandel 2018: Das neue Krisennarrativ

Der Sommer 2018 hat die Debatte über den Klimawandel grundlegend geändert. Ein Essay des Hamburger Klimaforschers Delf Rothe.

Das Foto zeigt die gelblich verdörrten Länder Mitteleuropas, fotografiert aus großer Höhe von einem Astronauten der Raumstation ISS.

Verdörrt: Mitteleuropa, fotografiert von ESA-Astronaut Alexander Gerst Anfang August 2018 Foto: picture alliance/Alexander Gerst/ESA/dpa

HAMBURG taz | Was war das für ein Sommer. Vor lauter Sonne beneidete uns der Rest der Republik um das bisschen frische Brise, das uns im Norden noch blieb. Hamburg erinnerte an Barcelona, der Elbstrand wurde zur Barceloneta. An den Wochenenden radelten wir durch Grillschwaden ins nächste Freibad. Die Abende verbrachten wir bei einem Drink mit Freunden im Garten.

Als ein australischer Kollege im Spätsommer für ein paar Tage zu Besuch kam, war er so begeistert, dass er nun für ein halbes Jahr mit seiner Familie herkommen will.

Was aber bei ihm und uns an der Küste Urlaubsgefühle aufkommen ließ, war in anderen Regionen Europas ein großes Problem. Vor allem für die Landwirtschaft und für alte oder kranke Menschen. Auf einmal wurde auch in den Medien die „Klimakatastrophe“ greifbar – und ob der langen Hitze ein heiß diskutiertes Thema. Die Gesellschaft für Deutsche Sprache wählte „Heißzeit“ zum Wort des Jahres 2018. Der Begriff soll gleichermaßen für den globalen Klimawandel und für den Extremsommer 2018 stehen.

Ich selbst schwitzte tagsüber im Büro und beschäftigte mich mit einer anderen Seite des Extremsommers. Als Politikwissenschaftler forsche ich zu gesellschaftlichen und politischen Diskursen über den Klimawandel. In diesem Sommer saß ich gerade an einem Papier zu Endzeitvorstellungen im Klimadiskurs. Bei gefühlten 40 Grad schien die Grenze zwischen Forschungsgegenstand und persönlichem Alltag zunehmend zu verschmelzen.

36, Politikwissenschaftler und Klimafolgenforscher, war Mitarbeiter am Exzellenzcluster „Integrated Climate System Analysis and Prediction“ (CLISAP) und arbeitet heute am Institut für Friedens- und Konfliktforschung der Uni Hamburg. Er leitet das DFG-Forschungsprojekt „The Knowledge Politics of Security in the Anthropocene“.

So wie mir ging es vielen. Aus dem Traumwetter wurde eine Hitzewelle und der Klimawandel – der zuvor von der Terrorangst und der sogenannten Flüchtlingskrise aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt wurde – war plötzlich in aller Munde. Der Sommer 2018 – so der Tenor in den Meinungsteilen der Tageszeitungen – sei ein Ausblick auf das, was uns drohe, wenn wir den Kampf gegen den Klimawandel verlieren würden.

Doch stimmt das denn eigentlich? War der Klimawandel wirklich die Ursache für die wochenlange Hitze, die für die einen traumhaftes Urlaubswetter und für die anderen eine Bedrohung für Leib und Wohl bedeutete?

Diese Frage ist für die Klimaforscherinnen und Klimaforscher gar nicht so leicht zu beantworten. Denn der Klimawandel ist ein globaler Trend, der sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte vollzieht. Die lokalen Auswirkungen des Klimasystems im Hier und Jetzt – der Wind, der uns an der Nordsee um die Nase weht, der Regen, der die Weser-Pegelstände steigen lässt oder das Hochdruckgebiet, das die Ernte im Alten Land verderben lässt – sind Wetter und kein Klima. Zwar verändert sich mit dem Klima selbstverständlich auch das lokale Wetter, aber Wetterschwankungen und Extremereignisse wie Hitzeperioden, Stürme oder Starkregen gibt es auch ohne den menschengemachten Klimawandel.

Wir können also nicht sagen: Orkantief Friederike im Januar 2018, das sei jetzt mit Sicherheit der Klimawandel gewesen. Wir können lediglich über einen längeren Zeitraum beobachten, wie sich die Häufigkeit und Intensität von Sturmereignissen ändert.

Man kann darüber hinaus das gegenwärtige Wetter mit den Projektionen vergangener Klimamodelle vergleichen. Diese Modelle sagen für die Region Norddeutschland vor allem nassere Winter mit vermehrten Wetterex­tremen wie Sturmtiefs und längere Hitzeperioden im Sommer voraus.

Das klingt alles stark nach dem Wetter in diesem Jahr. Es ist eine Versuchung, hier einen direkten Zusammenhang herzustellen. Trotzdem sind Klimaforscher*innen extrem vorsichtig mit Aussagen über den Zusammenhang des Klimawandels mit dem aktuellen Wetter. Und zwar aus gutem Grund.

Keine Antworten, nur Wahrscheinlichkeitsangaben

Denn der Diskurs ist von allen Seiten politisch hochgradig umkämpft. Und auch auf einer menschlich erhitzten Erde unterliegt das Wetter natürlichen Schwankungen. Der nächste kalte Winter wird mit Sicherheit kommen – und Klimaskeptiker wie Donald Trump auf den Plan rufen.

Wiederholt hatte der US-Präsident angesichts klirrender Kälte im vergangenen Winter auf Twitter ironisch gefragt, wo denn diese Erderwärmung bliebe, wenn man sie mal brauche. Wenn man Klimaforscher*innen also nach dem Einfluss des Klimawandels auf die Hitzewelle in diesem Sommer fragt, wird man auf diese Frage keine definitive Antwort, sondern nur eine Wahrscheinlichkeitsangabe erhalten.

Gerade erst im Dezember ist eine Studie aus den USA erschienen, die diese Befürchtung bestätigt. Die Forscher*innen fanden heraus, dass Medienberichterstattung, die aktuelle Naturkatastrophen in einen Zusammenhang mit dem Klimawandel bringt, nicht geeignet ist, Klimaskeptiker*innen von der Existenz des anthropogenen Klimawandels zu überzeugen. Ganz im Gegenteil: Die Untersuchung zeigte, dass die Naturkatastrophen, die von den Medien mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht wurden, von Leser*innen als weniger dramatisch wahrgenommen wurden.

Ein Gefühl der individuellen Ohnmacht

Was widersinnig klingt, lässt sich vereinfacht mit einem Verdrängungseffekt erklären: Dinge, die bedrohlich für uns sind, die uns Angst machen, für die wir aber selbst verantwortlich sind, schieben wir von uns weg. Raucher*innen wird dieses Muster bekannt sein.

Doch anders als beim Rauchen kommt beim Klimaschutz ein Gefühl der individuellen Ohnmacht hinzu. Selbst wenn ich mein eigenes Konsumverhalten radikal verändere, kann ich als einzelnes Individuum nichts gegen die drohende Erderwärmung tun. Darstellungen des Klimawandels in besonders alarmistischen Tönen haben deshalb den paradoxen Effekt, dass sie die Menschen eher zum Wegschauen bringen. Verdrängung und Weltuntergangsangst sind zwei Seiten derselben Medaille.

In meiner Forschung beschäftige ich mich unter anderem mit der Frage, wie wir den Klimawandel sehen und wie die bildhafte Darstellung des Klimawandels die gesellschaftliche Wahrnehmung desselben beeinflusst. Der Klimawandel selbst ist für das menschliche Auge nicht zu erblicken. Sehen kann man den Klimawandel zum Beispiel in Computersimulationen, Diagrammen und Schaubildern von Klimawissenschaftler*innen. Doch solche technischen Bilder sind komplex und erfordern einiges Vorwissen, um sie zu verstehen.

Die Dinge, die bedrohlich für uns sind, die uns Angst machen, für die wir aber selbst verantwortlich sind, schieben wir von uns weg

Aus diesem Grund hat sich im öffentlichen und medialen Diskurs eine ganz eigene Bildsprache des Klimawandels entwickelt. Diese wird dominiert von ikonischen Stellvertreterbildern, wie das des einsamen Eisbären auf einer abdriftenden Eisscholle. Hungernde Kinder in Dürregebieten oder überflutete Dörfer in Entwicklungsländern symbolisieren das „menschliche Gesicht“ der Klimakrise.

Diese Bilder zeigen nicht den Klimawandel an sich, sondern symbolisieren auf emotionale und vereinfachende Weise die ökologischen und sozialen Folgen einer drohenden Klimakatastrophe. In dieser Form ist das aber nicht unbedingt hilfreich.

Als Sichtbarkeitsregime bezeichnet der französische Philosoph Jacques Rancière etablierte Formen des Sehens und Zeigens und ihre zugrundeliegenden ästhetischen Konventionen. Nach Rancière haben diese Sichtbarkeitsregime eine große politische Bedeutung, denn sie beeinflussen, wie bestimmte Phänomene gesellschaftlich verhandelt werden. Man denke etwa an Bilder von Geflüchteten als anonymer Menschenstrom ohne klar erkennbare Gesichtsmerkmale, die Migrant*innen gleichsam entmenschlichen und als Naturgewalt erscheinen lassen.

Das Sichtbarkeitsregime des Klimawandels lässt diesen als etwas Abstraktes und Fernes erscheinen. Denn wann ist schon das letzte Mal ein Eisbär auf einer Scholle durch die Elbe getrieben? Auch Bilder von hungernden Kindern in Subsahara-Afrika machen uns zwar betroffen, lassen aber den Klimawandel auch als ein entferntes Problem der sogenannten Dritten Welt erscheinen.

Als Armuts-Pornographie bezeichnet man in der Forschung einen solchen Bilddiskurs, in dem Menschen in Entwicklungsländern als passive Opfer höherer Naturgewalten dargestellt werden. Klimawandel, das ist in dieser Bildsprache entweder ein abstraktes Phänomen, das nur Expert*innen durchdringen oder eine konkrete Katastrophe, die aber woanders stattfindet. In beiden Fällen bleibt der Bezug zu unserer eigenen Lebenswelt unklar.

Unsere etablierte Sicht wurde brüchig

Während des Extremsommers 2018 wurden unsere etablierten und festgefahrenen Sehgewohnheiten und Sichtweisen auf den Klimawandel brüchig. Man könnte sagen, dieser Sommer hat weniger zu einem Umdenken in der Klimadebatte geführt als zu einem Umfühlen.

Die Bedeutung des Sommers 2018 ist in meinen Augen unabhängig von der wissenschaftlichen Frage, ob oder mit welcher Wahrscheinlichkeit der Klimawandel wirklich die Ursache der Hitzewelle war. Dieser Sommer fühlte sich an wie eine Heißzeit und er sah aus wie eine Heißzeit. Nach wochenlanger Hitze erschien der Klimawandel in diesem Jahr plötzlich nicht mehr als etwas, das auf anderen Kontinenten oder in der Zukunft stattfindet, sondern in unseren Hintergärten.

Am 6. August teilte der deutsche Astronaut Alexander Gerst auf Twitter zwei Bilder, die er von der Internationalen Raumstation ISS aus gemacht hatte. Nach mehreren Wochen, in denen die ISS Europa nur nachts überflogen hatte, konnte Gerst am 6. August ein Bild von Mitteleuropa und Norddeutschland machen. Seine Eindrücke teilte er auf Twitter: „Schockierender Anblick. Alles vertrocknet und braun, was eigentlich grün sein sollte.“

Alexander Gersts planetarer Fotoessay

Im Verlaufe seines Aufenthalts auf der Raumstation teilte der an der Universität Hamburg promovierte Astronaut viele weitere Bilder, die das Ausmaß einer globalen Umweltkrise verdeutlichten: vom gerodeten Regenwald im Amazonasgebiet, über verheerende Waldbrände in Kalifornien bis zu dichten Smogwolken über den großen Metropolen des Planeten. Die visuellen Eindrücke seines 200 Tage langen Aufenthalts auf der ISS wurden zu einem planetaren Fotoessay über den Zustand der Erde im Jahr 2018.

Eindrücke lokaler Umweltprobleme und Naturkatastrophen verdichteten sich durch den Blick aus dem All zu einem umfassenden Krisennarrativ. Gersts Tweet vom vertrockneten Deutschland im August 2018 wurde mehrere tausend Male geteilt.

Viel entscheidender ist aber die Tatsache, dass die Menschen in ihren Reaktionen den Blick von außen auf ihre direkte Umgebung bezogen. Eine Nutzerin identifizierte auf dem Bild den Hambacher Braunkohle-Tagebau. Der Hamburger Journalist Henning Sußebach teilte als Reaktion auf Gersts Foto ein Bild seines vertrockneten Gartens, versehen mit dem Kommentar „Aus 4m Höhe sieht’s genauso aus“.

Ein Chance auf einen ehrlichen Diskurs

Dieser so banale wie geniale Kommentar bringt den Bewusstseinswandel des Sommers 2018 auf den Punkt. Luftbilder von vertrockneten Landschaften gehören zur etablierten Bildsprache des Klimawandels. Doch sind wir gewohnt, dass diese Bilder Regionen in Subsahara-Afrika oder Ostasien zeigen – und nicht, wie in diesem Sommer, die norddeutsche Tiefebene. Wie in einem Spiegel, der uns unser wahres Ich zeigt, meinten wir auf dem Bild von Gerst den Klimawandel in unserer eigenen Umgebung zu erkennen.

Der Sommer 2018 hat keine neuen Erkenntnisse über den Klimawandel geliefert. Aber er hat dafür gesorgt, dass lange bekannte aber verdrängte Fakten zurück ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt sind.

Vielleicht stellt der Extremsommer 2018 im Nachhinein eine Chance dar, einen ehrlicheren Diskurs über den Klimawandel zu führen. Zu einer solchen Debatte gehört die Einsicht, dass wir die Klimakatastrophe nicht mehr verhindern können.

Kein großer Knall

Die Klimakrise ist längst da, aber sie sieht nicht so aus, wie wir sie aus Zeitungsberichten und Hollywood-Filmen kennen. Die Klimakatastrophe kommt nicht mit einem großen Knall und ist keine globale Apokalypse. Stattdessen schreitet sie schleichend voran, bleibt oftmals zunächst unbemerkt. Sie manifestiert sich lokal auf ganz unterschiedliche Weise und ist deshalb schwer zu erkennen.

Wie ungleich die Folgen des Klimawandels weltweit verteilt sind, zeigte sich mit vermeintlich jedem Bericht über verheerenden Waldbrände in Südeuropa oder Kalifornien, Überschwemmungen in Ostasien oder hitzegeplagte Weltmetropolen.

Es gibt kein Zurück zu einem vorindustriellen Zustand des Erdsystems. Sich dies einzugestehen ist kein Fatalismus und kein Freifahrtschein, so weiterzumachen wie bislang. Ganz im Gegenteil. Der herrschende Klimadiskurs suggeriert, es gäbe nur zwei Optionen: Entweder eine gefährliche Erderwärmung zu verhindern oder dieses Ziel zu verfehlen. Richtig ist hingegen, dass es keinen ungefährlichen Grad an Erderwärmung gibt. Jede Tonne CO2, die wir ausstoßen, ist bereits eine zu viel. Und jede zusätzliche Tonne CO2 in der Atmosphäre lässt die Anpassungschancen in besonders bedrohten Regionen sinken.

Ein ehrlicher Klimadiskurs sollte sich ebenso eingestehen, dass, selbst wenn es uns gelingen sollte, die Erderwärmung im Zaum zu halten, dadurch noch nichts gewonnen ist. Die Welt wird damit kein Stück besser als heute – nur nicht noch schlimmer.

Ein Ziel von klimapolitischen Maßnahmen muss deshalb immer sein, die Lebensbedingungen und die Chancengleichheit der Menschen zu verbessern. Rein technische Lösungen, die sozio-ökonomische Strukturen unverändert lassen oder Steuerungsinstrumente, die wie die Ökosteuer sozial-benachteiligte Schichten besonders hart treffen, sind für eine emanzipative Klimapolitik ungeeignet.

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