Kieler Ideen zur Luftverbesserung: Umleitung durchs Wohnviertel

Die Stadt Kiel will die hohe Luftverschmutzung ohne Fahrverbote für Dieselautos bekämpfen. Die Landesregierung ist mäßig begeistert.

Der sechsspurige Theodor-Heuss-Ring in Kiel.

Dieselautos nur noch auf der linken Spur: So soll in Kiel in Luft besser werden Foto: dpa

HAMBURG taz | Mit einem Linksfahrgebot für Dieselautos will Kiel die Atemluft in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt verbessern. Damit sollen drohende Fahrverbote verhindert werden. „Wir müssen die Grenzwerte rasch einhalten und damit die Gesundheit der Anwohner schützen, gleichzeitig aber auch die Mobilität sichern“, begründete Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) am Dienstag seinen ausgefeilten Plan, der auf ein geteiltes Echo traf: Die oppositionelle SPD-Fraktion im Kieler Landtag sprach von „sinnvollen Vorschlägen“, die regierende CDU hingegen von „Taschenspielertricks“.

Die Luft in Kiel ist seit Jahren hoch belastet, die sechs- bis achtspurige Stadtautobahn Theodor-Heuss-Ring ist die viertgiftigste Straße Deutschlands. Nach Messungen des Umweltbundesamtes (siehe Kasten) wurden lediglich in Stuttgart, München und Reutlingen höhere Stickoxid-Jahresmittelwerte gemessen als in der Stadt an der Förde. Der Grenzwert von 40 μg (Mikrogramm) des Atemgifts pro Kubikmeter Luft wurde 2016 mit im Schnitt 65 μg deutlich überschritten.

Eine Luftverbesserung an der Hauptverkehrsachse soll nun in mehreren Schritten erreicht werden. Ab Frühjahr soll Tempo 50 statt bislang 70 km/h gelten. In einigen Abschnitten dürfen Diesel-Fahrzeuge – auch die neuesten mit der Euro-6-Norm – künftig nur noch ganz links auf der Überholspur fahren. Die Hoffnung: Damit sind sie ein paar Meter weiter entfernt von Wohnungen und Messstationen.

Zudem sollen ab Frühjahr Lkw vom Schwedenkai mitten in der Stadt, wo die Fähren nach Göteborg ablegen, früher aus der City heraus und zum Theodor-Heuss-Ring und zur Autobahn 215 geführt werden. Allerdings führt diese Strecke durch Wohnviertel mit begehrten Gründerzeithäusern und Parks. Ab 2019 sollen zudem Geh- und Radwege am Theodor-Heuss-Ring photokatalytische Plattenbeläge erhalten, die Schadstoffe aus der Luft binden.

Nach Einschätzung der EU-Kommission werden in 170 Städten in 23 EU-Mitgliedstaaten die Vorgaben für gute Luft verletzt.

Nach EU-Angaben sterben jährlich etwa 70.000 Menschen in der EU an den Folgen zu hoher Belastung mit Stickstoffdioxid (NO2) in der Atemluft.

Stickstoffdioxid gilt als Auslöser für Atemwegserkrankungen und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Für etwa drei Viertel dieser Emissionen ist unstrittig der Autoverkehr verantwortlich.

Laut Umweltbundesamt (UBA) ist der EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickoxiden pro Kubikmeter Atemluft 2016 in Deutschland an fast 60 Prozent der Messstationen überschritten worden. Das bedeutet, dass in mehr als 80 Städten der Grenzwert überschritten wurde.

Im Norden sind Hamburg, Hannover, Kiel, Osnabrück und Göttingen besonders betroffen.

Dieselfahrverbote gibt es bislang nur auf zwei Hauptverkehrsstraßen in Hamburg.

Von einem Fahrverbot wären allein 44.000 in Kiel zugelassene Dieselfahrzeuge betroffen. Eine gewichtige Rolle spielen aber auch der Dieselruß der Kreuzfahrtschiffe und der täglichen Skandinavien-Fähren. Kiel will nun versuchen, die Schadstoffbelastungen bis 2021 auf unter 40 Mikrogramm zu senken. Wegen jahrelanger, zu hoher Belastungen haben Gerichte bereits mehrere deutsche Städte zu Fahrverboten verdonnert, als einzige deutsche Stadt hat Hamburg bereits zum 1. Juni zwei „Durchfahrtsbeschränkungen“ eingeführt.

„Fahrverbote hätten viele Nachteile“, sagt Oberbürgermeister Kämper. Sein Konzept, ist er überzeugt, schütze die Gesundheit der BewohnerInnen Kiels besser. Hilfreich wäre es allerdings auch, wenn die Bundesregierung mehr Druck auf die Autoindustrie bei der Hardware-Umrüstung von Dieselautos machen und Elektromobilität sowie Landstrom für die großen Passagierschiffe stärker fördern würde.

Entscheidend wird jedoch sein, wie der grüne Umweltminister Jan Philipp Albrecht die Idee findet. Seine erste Reaktion fiel verhalten aus: „Inwiefern die Maßnahmen geeignet sind, die Schadstoffbelastung kurzfristig ausreichend zu reduzieren, werden wir nun eingehend prüfen müssen.“ Begeisterung klingt anders.

Albrecht muss nun die Kieler Vorschläge prüfen lassen und zum nächsten Jahr in einen verbindlichen Luftreinhalteplan einarbeiten. Er will Fahrverbote „mit allen Mitteln vermeiden“, könne sie aber „als letztes Mittel nicht ausschließen“.

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