Das Ohr zur Welt

HAFENMUSIK Eine Tagung bei den Hamburger Musikwissenschaftlern beschäftigt sich mit der akustischen Seite des Hafens und ihrer identitätsstiftenden Bedeutung für die Bewohner der Stadt

Die Studierenden animierten unter anderem Seeleute im Clubhaus „Duckdalben“ zum Singen

Wenn Hans Albers Buddelschiffe bastelte, ließ er gern ein Tonband laufen. Darauf: Möwengeschrei, Nebelhörner von Schiffen und andere Geräusche vom Hamburger Hafen. Auch wenn der gebürtige Hamburger von seinem Bootshaus am Starnberger See auf das Wasser blickte, schaltete er oft sein Tonbandgerät an. Albers’ Paraderollen waren im Hamburger Hafenmilieu angesiedelt, insofern passt das, was sein Neffe berichtete, perfekt zu seinem Image.

Mit der akustischen Seite des Hafens befasst sich die Tagung „Hafenmusik. Der Hafen als kultureller Ort und musikalische Chiffre“. Am ersten Abend stimmt heute ein Konzert auf das stramme Programm ein, das am Donnerstag und Freitag aus vielen Perspektiven Hafenmusik betrachtet. Es geht um die maritime Musikgeschichte von Oper und Kunstlied bis Pop und Schlager, aber auch darum, was Seeleute singen oder welche Musik der Hafenalltag hervorgebracht hat. Der Bogen reicht vom Barock bis in die Gegenwart – so nutzen heutige Komponisten etwa Hafensoundscapes als Ausgangspunkt für Kompositionen und Installationen.

Die Tagung nähert sich mit ihren 16 Referenten der Hafenmusik interdisziplinär. Vorträge geben Einblicke in den Wandel der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Hafens. Und der Osnabrücker Historiker Lars Amenda hat sich damit befasst, wie Hafengeräusche im 19. und 20. Jahrhundert Identität gestiftet haben. Er betrachtet den Hamburger Hafen als „Ohr zur Welt“ in Anlehnung an das bis heute gängige Bild der Stadt als „Tor zur Welt“. Denn ein Hafen nährt zum einen Fernweh, zum anderen bringt er Menschen ans Ufer, die viele verschiedene Sprachen sprechen und das Ohr für andere Länder öffnen.

Der spezifische Klang des Hamburger Hafens wandelte sich insbesondere, als Mitte des 19. Jahrhunderts die fast lautlos dahingleitenden Segelschiffe weniger wurden und stattdessen Dampfschiffe aufkamen. Mit ihren Kesseln und Signalhörnern keuchten und tuteten sie über das Wasser. Und in den Werften nieteten die Arbeiter mit ihren Hämmern Schiffsrümpfe.

Bis ins 20. Jahrhundert hinein breitete sich dieser Hafensound noch weit bis in die Stadt aus. Manche empfanden den Hafenklang als „Orgelton“. Der Hamburger Schriftsteller Hans Leip notierte: „Über die Straßenschluchten bis in die fernsten Vororte brummt und summt immer das Gefühl von Hafen, Wasserwind und weiter Welt, so dicht liegen die großen Seeschiffe am Herzen der Stadt.“

Und wie ist es heute? Eine Gruppe von Hamburger Studierenden hat im vergangenen Semester eigene Feldforschungen betrieben – nachzulesen und vor allem nachzuhören auf der Website zur Tagung unter www.hafenmusik.com. Außerdem gibt es dazu einen Vortrag am Donnerstag früh. So animierten die jungen Leute unter anderem Seeleute im Clubhaus „Duckdalben“ zum Singen.

Die Musikwissenschaftlerin Christiane Wiesenfeldt war vom Hafen als Klangort so fasziniert, dass sie die Tagung organisiert hat. Wiesenfeldt hofft, dass so eine möglichst umfassende Sicht auf die maritime Musikgeschichte entsteht: „Da klafft noch eine Lücke in der Forschung.“

  DAGMAR PENZLIN

Eröffnungskonzert: heute, Mi, 19 Uhr, Universität Hamburg, Musikwissenschaftliches Institut, Neue Rabenstraße 13; Tagung: Do und Fr