Bildungssenatorin Scheeres im Interview: „Ich bin nicht in der Defensive!“

Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) verteidigt ihre Einstellungspolitik. Auch die Verbeamtung der LehrerInnen wird wieder diskutiert.

Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) Foto: picture alliance/Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

taz: Frau Scheeres, alle in der rot-rot-grünen Koalition geben Geld en masse aus, nur Sie können sich dafür nicht das kaufen, was Sie am dringendsten bräuchten: Lehrkräfte und Erzieherinnen und Erzieher. Ist das nicht frustrierend?

Sandra Scheeres: In meinem Bereich wird ja auch viel Geld ausgegeben. Und was die Lehrerinnen und Lehrer betrifft: Es ist doch positiv, dass ich so viele von ihnen einstellen kann, wie Berlin braucht. Da gab es auch schon andere Zeiten. Aber Sie haben recht: Wir haben in ganz Deutschland einen Lehrermangel. Das ist eine schwierige Situation, wie wir besonders in Berlin spüren.

Die Stadt wächst, die Zahl der Kinder auch …

Das ist auch sehr schön. Und es ist mir auch in diesem Jahr wieder gelungen, alle Stellen zu besetzen.

Leider nicht mit den Lehrkräften, die Sie wollten, sondern mit zwei Dritteln QuereinsteigerInnen.

Richtig. Aber die Konsequenz wäre sonst, die Stellen nicht zu besetzen. Und wir bilden diese Lehrkräfte weiter aus: Quereinsteiger haben ein abgeschlossenes Masterstudium. Sie machen dann eine Staatsprüfung.

Wie lange ist Berlin noch auf QuereinsteigerInnen angewiesen?

Alle Bundesländer setzen auf Quereinsteiger. Das bleibt noch Jahre so.

48, gebürtige Düsseldorferin, ist seit 2011 Bildungssenatorin von Berlin. Von 2006 bis 2016 saß die Sozialdemo­kratin als direkt gewählte Abgeordnete für ihren Wahlkreis Pankow 5 im Berliner Abgeordnetenhaus und war dort bildungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Die zweifache Mutter ist ausgebildete Erzieherin und Diplom­pädagogin.

10 Jahre? 15 Jahre?

In den nächsten zwei, drei Jahren wird sich das Thema jedenfalls nicht erledigt haben.

Wie lange kann es sich Berlin noch leisten, seine Lehrkräfte nicht zu verbeamten? Alle anderen Länder tun das inzwischen.

Das ist für mich kein Tabuthema. Wir prüfen derzeit, was sinnvoll und möglich ist.

Könnte die Verbeamtung helfen, den Lehrkräftemangel zu beheben?

Der Wettbewerb mit den anderen Ländern bleibt, Verbeamtung kann das Problem nicht lösen. Wer das sagt, ist naiv. Es kann aber die Situation entschärfen.

Haben Sie durchgerechnet, was es kosten würde, wieder zu verbeamten?

Sandra Scheeres (SPD)

„Die SPD will die Gymnasien nicht schließen, auch perspektivisch nicht. Und auch diese Koalition steht zu unserem Schulsystem.“

Es ist kompliziert: Welche Altersgruppe nimmt man, bis zu welchem Jahr etc. Aber sicher ist: Verbeamtung ist nicht teurer.

Auch nicht langfristig, wegen der Pensionen?

Nein, hier müsste man Vorsorgemaßnahmen treffen.

Sie agieren als Bildungssenatorin oft aus einer defensiven Situation heraus, sowohl was QuereinsteigerInnen als auch was Verbeamtung angeht.

Ich fühle mich überhaupt nicht in der Defensive! Ich finde es sehr offensiv, sich das Ziel zu setzen, alle Lehrerstellen in der derzeitigen Situation zu besetzen.

Die CDU hat wegen der hohen Zahl der QuereinsteigerInnen Ihren Rücktritt gefordert …

Ach ja, die CDU … Wen haben die nicht aufgefordert, zurückzutreten?

Ärgert es Sie, dass Sie in vielen Bereichen Versäumnisse Ihrer VorgängerInnen ausbügeln müssen?

Im Bildungsbereich hat man immer was zu tun. Es gibt keinen Bildungsminister, der keine Probleme hat. Und gerade in den Stadtstaaten arbeiten wir an Riesenthemen. Erinnern Sie sich an die Situation 2015: Gemeinsam mit den Schulen ist es uns gelungen, 20.000 Flüchtlingskinder zu integrieren. Auch dadurch, dass wir 1.000 Willkommensklassen eingerichtet haben. Da redet heute keiner mehr drüber. Die CDU hatte damals übrigens kein besonders großes Interesse daran gezeigt, dass die Kinder und Jugendlichen in die Schule integriert werden.

Sie haben auch Konkurrenz in den eigenen Reihen: Dass das Schulessen ab 2019 kostenlos wird und der Hortbesuch für die ersten beiden Schuljahre auch, das hat SPD-Fraktionschef Raed Saleh zuerst so gesagt. Warum gönnen Sie ihm das?

Raed war immer schon auch Bildungspolitiker. Ich arbeite eng mit ihm zusammen, und wir sprechen uns ab. Das ist doch etwas sehr Positives!

Trotzdem: In der Öffentlichkeit wirkt Saleh als Gestalter, Sie wirken wie die Verwalterin. Ist das ­ungerecht?

Das Thema Schulbau habe ich vorangetrieben, die höhere Bezahlung der GrundschullehrerInnen auch. Und der Bildungshaushalt, über den ich verhandelt habe, kann sich auch sehen lassen. Das Geld fliegt da nicht einfach vom Himmel.

Letztens sind Sie mit der Gemeinschaftsschule vorangegangen. Die ist jetzt Regelschulform im Schulgesetz. Ist das die Schule der Zukunft?

Die Evaluation hat gezeigt, dass Gemeinschaftsschulen erfolgreich sind. Deswegen war es richtig, sie nach zehn Jahren aus der Pilotphase herauszunehmen. Wir stehen aber zu den beiden Säulen: Gemeinschaftsschule und integrierte Sekundarschule einerseits, Gymnasien andererseits.

Wie viele der neuen Schulen, die in den nächsten Jahren im Rahmen der Schulbauoffensive entstehen, werden Gemeinschaftsschulen sein?

Ich würde mich freuen, wenn es noch mehr Gemeinschaftsschulen geben würde. Den Beschluss darüber fassen aber die Schulträger, also die Bezirke. Pankow zum Beispiel hat entschieden, dass die Schule auf dem Güterbahnhofsgelände eine Gemeinschaftsschule sein soll.

Gemeinschaftsschule ist die Schule der Zukunft, aber Berlin braucht trotzdem noch das Gymnasium?

Ja. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass Eltern Gymnasien haben wollen. Ich halte gar nichts davon, die Bedürfnisse der Eltern zu ignorieren.

Die Politik muss aber immer auch Vorreiter sein, sonst würde sich ja nie was ändern!

Stimmt, aber noch einmal: Ich halte nichts von Politik, die über die Inte­ressen der Eltern hinweggeht. Deswegen ermögliche ich auch die Wahl zwischen den Schulformen. Das ist das Entscheidende. Auch bei der Inklusion: Mein Vorgänger wollte die Förderzentren schließen. Das kommt für mich nicht infrage. Denn es gibt Eltern, die sagen: „Für unser Kind ist der beste Ort das Förderzentrum!“ Und ich sehe übrigens keine Berliner Eltern, die fordern, die Gymnasien sollten geschlossen werden.

Mit dieser Einstellung hätte die Linkspartei vor gut zehn Jahren es nie geschafft, die Gemeinschaftsschule überhaupt als Pilotprojekt auszuprobieren …

Es war nicht nur die Linkspartei, auch die SPD hat das gewollt …

zähneknirschend!

Die Gemeinschaftsschule war und ist in meiner Partei gewollt. Sonst hätten wir unter Rot-Schwarz auch nicht um weitere Schulen dieser Art gekämpft.

Aufreger Neutralitätsgesetz: Kopftuch tragende Lehrerinnen beschäftigen die Gerichte Foto: picture alliance / Jens Kalaene/dpa

Selbst die Grünen gingen beim letzten Parteitag Anfang Dezember auf Distanz zum Gymnasium.

Die SPD will die Gymnasien nicht schließen, auch perspektivisch nicht. Und auch diese Koalition steht zu unserem Schulsystem.

Konfliktstoff für Rot-Rot-Grün bietet auch das Neutralitätsgesetz. Vor Kurzem hat erneut eine Lehrerin, die in der Schule Kopftuch tragen will, vor dem Arbeitsgericht geklagt und eine Entschädigung bekommen. Wie lange kann das Gesetz noch bestehen?

Hier geht es um Haltung. Ich stehe ganz klar zum Neutralitätsgesetz, genauso wie der dafür zuständige SPD-Innensenator Andreas Geisel. In der Diskussion ist das Gesetz wegen jener Lehrkräfte, die mit Kopftuch unterrichten wollen. Aber es ist ja kein Kopftuchverbot: Es dürfen auch keine Kreuze getragen werden und keine Kippa oder andere religiöse Zeichen. Und es ist richtig und wichtig, dass wir eine neutrale Situation an den Berliner Schulen haben, denn Lehrkräfte sind immer Vorbilder und sollten Kinder nicht in der Religionsausübung beeinflussen. Meine Schulleitungen bestärken mich in dieser Auffassung.

Werden Sie deshalb gegen das jüngste Urteil in Revision gehen?

Scheeres zum Neutralitätsgesetz

„Generell hätte ich kein Problem damit, in die Revision zu gehen.“

Wir haben die schriftliche Begründung noch nicht. Wir werden uns diese anschauen. Generell hätte ich kein Problem damit, in die Revision zu gehen.

Selbst in der SPD gibt es viele prominente Stimmen, die sagen, das Neutralitätsgesetz sei in der Form nicht mehr zu halten. Wir seien eine multireligiöse Gesellschaft, und das müsse auch die Schule anerkennen.

Zunächst mal zu meiner Partei: Wir haben im Januar auf der Fraktionsklausur einen einheitlichen Beschluss pro Neutralitätsgesetz gefasst. Und die Partei hatte in einer Mitgliederbefragung ein ebenso eindeutiges Votum er­halten.

Und die Stimmung in der Stadt?

Ich bekomme viel Zuspruch von den Berlinern, dass ich da nicht lockerlasse und mich klar positioniere, auch gegen die Koalitionspartner. Ja, wir sind eine multikulturelle Stadt – übrigens mit vielen Familien, die keiner Konfession angehören. Gerade deshalb muss sich der Staat neutral verhalten. Gehen Sie mal in die Schulen: Man kann nicht auf der einen Seite kritisieren, dass wir religiöse Konflikte haben – und dann selber nicht neutral auftreten wollen. Und das kann man schwer, wenn Religiosität durch das pädagogische Personal, auch optisch, gezeigt wird. Und das Kopftuch in der Schule birgt nun einmal Konfliktpotenzial in sich.

Was meinen Sie genau?

Ein elfjähriges Mädchen sucht sich nicht selbst aus, ob es ein Kopftuch trägt! Da ist doch die Frage: Was macht das mit einem Mädchen, das aus einer religiösen Familie kommt, aber einen anderen Weg gehen möchte, wenn es seine Lehrerin mit Kopftuch vor der Klasse stehen sieht?

Gute Frage. Wissen Sie es?

Gerade in der Grundschule ist es so, dass die Lehrkräfte absolute Vorbilder sind. Und wenn ich aus einer Familie komme, in der kein Kopftuch getragen wird, und meine Lehrerin trägt Kopftuch, dann stelle ich mir natürlich die Frage: Bin ich jetzt eine gute oder eine schlechte Muslimin?

Kann man nicht auch sagen: Eine selbstbewusste, erwerbstätige Frau mit Kopftuch als Lehrerin ist auch ein positives Rollenvorbild?

Wir können uns im Werteunterricht oder im Religionsunterricht positiv und gleichzeitig neutral mit Religion auseinandersetzen. Mir geht es um die Trennung von Staat und Religion im Unterricht. Ich möchte auch nicht, dass die Lehrkraft ein großes Kreuz oder ein anderes religiöses Symbol vor sich herträgt.

Hat der grüne Justizsenator Dirk Behrendt, zuständig ebenfalls für Antidiskriminierung, das auch verstanden?

Fragen Sie ihn doch mal. Aber ich glaube, Herr Behrendt und ich sind da einfach unterschiedlicher Meinung.

Das wird man also die nächsten drei Jahre Rot-Rot-Grün aushalten?

Wir haben uns nicht in den Koali­tions­vertrag geschrieben, dass wir das Neutralitätsgesetz anfassen.

Glück gehabt!

Ich scheue nicht die Debatte. Auch der Innensenator ist da sehr deutlich.

Ein anderes Thema: Das AfD-Onlineportal Neutrale Schule hat im Herbst für viel Unruhe gesorgt. LehrerInnen sollen auf diesem Portal denunziert werden, wenn sie sich negativ über die AfD äußern. Aus der Schülerschaft kam viel Protest dagegen. Unterstützen Sie diese Courage?

Ich bin sehr stolz darauf, was da aus der Schülerschaft heraus passiert ist, denn dieses Portal stiftet Unfrieden in der Schule und denunziert unsere Lehrkräfte. Es ist mein grundsätzliches Ziel, dass sich junge Leute aktiv in die Gesellschaft einbringen, zum Beispiel durch die Stärkung der politischen Bildung an den Schulen.

Sie haben die Landesdatenschutzbeauftragte um Prüfung des Portals gebeten. Die sagt, sie sei nicht zuständig. Legen Sie jetzt die Hände in den Schoß?

Die Datenschutzbeauftragte hat gesagt, es sei Aufgabe des Parlaments, sich eine Datenverordnung zu geben. Dabei ist sie natürlich zuständig! Warum sollte sie plötzlich nicht für die Daten von Schülern und Lehrkräften zuständig sein, an anderer Stelle ist sie es ja auch.

Die Diskussion ist also noch nicht zu Ende?

Ich fand die Antwort der Landesdatenschutzbeauftragten nicht befriedigend und habe ihr gesagt, dass ich das nicht so stehen lasse.

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