Schweizer „Tatort“: Verzweiflung trifft Superreichtum

Nach dem Experiment vom August kommt der neue Schweizer „Tatort“ sehr klassisch daher. Er gewinnt an Tiefe, als alles zum Kammerspiel gerinnt.

Ein Mann hält eine Frau mit einem Arm fest, mit dem anderen hält er ihr eine Waffe an den Kopf

Mit der Geiselnahme gewinnt der Luzerner „Tatort“ an Tiefe Foto: ARD Degeto

Keine Experimente! Um Himmels willen, keine Experimente! Und wenn es doch sein muss, dann höchstens zwei davon pro Jahr! Diese Zahl hat der WDR-Fernsehchef Jörg Schönenborn zur Vorgabe gemacht.

Und die Schweizer „Tatort“-Verantwortlichen haben sich diese Worte wohl zu Herzen genommen. Nach ihrem in einer Einstellung gedrehten „Tatort“ vom August (so was ist vermutlich mit „Experiment“ im Sinne der ARD-Entscheider gemeint), geht das Luzerner ErmittlerInnen-Duo Flückiger (Stefan Gubser) und Ritschard (Delia Mayer) diesmal ganz klassisch auf Mörderjagd: Eine Uni-Dozentin ist ermordet worden.

Kurz zuvor hatte sie noch einen Anruf bekommen. Und vor der Tür hat jemand mit seinem Auto ein anderes Auto gerammt. Und außerdem gab es wütende Drohmails von einem Vorgesetzten. Und der junge Mann vom Studentenrat sagt: „Ich kann das nicht glauben, das ist doch nicht wahr“, die Dozentin sei doch „echt cool drauf“ gewesen. Wie Studenten halt reden. Zumindest im „Tatort“. Und es beschleicht einen das Gefühl, dass es die MacherInnen vielleicht etwas zu klassisch angegangen sind und zu wenig experimentell und … gähn.

Aber: Geben Sie diesem Krimi eine Chance. Denn der Mord ist hier nicht mehr als Mittel zum Zweck, um die KommissarInnen in die Villa von Swisscoal-Chef Anton Seematter (Roland Koch) zu locken. Dort hat Mike Liebknecht (Mišel Matičević) die drei Familienmitglieder als Geiseln genommen. Swisscoal hat Liebknechts Schraubenfirma übernommen – und dichtgemacht, „weil jetzt irgendein Maschinenbaubetrieb in Asien das gleiche Gewinde für 65 Cent herstellt anstatt wie wir für 78 Cent“.

Nichts läuft so, wie der Regisseur es sich ausgemalt hat

Luzern-„Tatort“: „Friss oder stirb“, So., 20.15 Uhr, ARD.

Und hier, zwischen Innenpool und riesiger Glasfront zum Garten, in diesem Kammerspiel, in dem Verzweiflung auf Superreichtum trifft, entfaltet der Film seine Kraft. Da sitzen sie, gefesselt, die ErmittlerInnen, die Mutter, der Vater, die Tochter („Es kann nicht jeder mit Privilegien geboren werden, sonst wären es ja keine mehr“). Liebknecht liest aus Flückigers Notizen vor, warum die PolizistInnen überhaupt hier sind – der Mord, das Auto, der Anruf, eine Affäre? – und lässt die eh schon nur mäßig heile Welt der Seematters zusammenbrechen.

Mit dem gelben Notizbuch in der Hand wirkt er wie der strenge Lehrer mit dem Reclam-Heft, der will, dass seine SchülerInnen diesen verdammten Molière vernünftig auf die Bühne bringen. Natürlich läuft nichts so, wie es sich der Regisseur ausgemalt hat. Zu seinem Leid, aber zum Wohle der Zuschauer.

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