Dritte Geschlechtsoption: Sicher nicht der große Wurf

Der Bundestag beschloss den dritten Geschlechtseintrag „divers“ – mit verpflichtendem Attest. Kritiker*innen sehen darin eine Bevormundung.

Eine bunte Menschenmenge beim Christopher Street Day

Geschlecht und Sexualität – ein buntes Spektrum Foto: dpa

BERLIN taz | Es hätte ein historischer Tag sein können. Künftig gibt es neben „männlich“ und „weiblich“ im Personenstandsregister die dritte Geschlechtsoption „divers“. Das hat der Bundestag am späten Donnerstagabend beschlossen und damit einem Gesetzentwurf der Koalitionsparteien zugestimmt.

SPD und Union befanden sich mit der Gesetzesänderung in Zugzwang. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Herbst 2017 festgestellt, die bisherige Rechtslage sei diskriminierend. Nur noch bis Ende des Jahres – also in knapp zwei Wochen – hatte die Regierung Zeit, daran etwas zu ändern.

Glaubt man der CDU-Abgeordneten Bettina Margarethe Wiesmann, wird Diskriminierung nun endlich entschieden entgegengewirkt: „Intersexuelle Kinder wachsen künftig nicht mehr mit dem Gefühl einer Differenz zwischen der (…) Außenwahrnehmung und dem eigenen (…) Empfinden auf“. Ob sich diese Prognose bewahrheitet, wird allerdings von vielen Seiten angezweifelt.

Die Freude hält sich auf Seiten der Betroffenen und Fürsprecher*innen der Geschlechtervielfalt in Grenzen. Verhalten erklärt der Bundesverband Intersexuelle Menschen e.V.: „Das neue Gesetz ist möglicherweise ein erster Schritt in eine richtige Richtung, aber ganz sicher nicht der ‚große Wurf‘, den wir und mit uns viele andere Menschen in unserem Staat, die sich für eine volle Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt einsetzen, erhofft hatten.“

Grüne wollten Geschlecht weniger eng auslegen

Auch Linke und Grüne im Bundestag sind unzufrieden mit der ausgehandelten Lösung. Die Änderung betrifft ausschließlich Menschen, die biologisch angeblich widersprüchliche Merkmale aufweisen und daher nicht einem Geschlecht zugewiesen werden – also Intersexuelle.

Geschlecht definiert die Bundesregierung im Entwurf damit im engen Rahmen biologischer Merkmale. Ein Antrag der Grünen, dies bei der aktuellen Gesetzesänderung weiter zu fassen, wurde abgelehnt. Die Fraktion wollte auch Menschen, die weder Männer noch Frauen sind, die Möglichkeit des Eintrags „divers“ geben – selbst wenn sie scheinbar eindeutige Geschlechtsmerkmale besitzen und daher traditionell einem Geschlecht zugewiesen würden.

„Niemand kann über sein Geschlecht besser Auskunft geben als jeder Mensch selber“, sagte der Grünen-Abgeordnete Sven Lehmann. Er kritisierte zudem, dass der Entwurf Intersexuelle pathologisiere und bevormunde. Damit sprach er auch die Quasi-Attestpflicht an, die auf großen Widerstand in der Opposition und bei Interessensverbänden gestoßen war.

Auf Drängen der Union wurde festgeschrieben, dass Betroffene zur Änderung ihres Eintrags im Geburtenregister ein ärztliches Attest benötigen. Nur in begründeten Ausnahmefällen soll auch eine eidesstattliche Erklärung des*der Betroffenen ausreichen.

CDU vergleicht Geschlecht mit Alter

Die Notwendigkeit einer ärztlichen Bescheinigung bemängelt auch Intersexuelle Menschen e.V. Dem liege offensichtlich die „veraltete Sichtweise der ‚Störung der Geschlechtsentwicklung‘ zugrunde“. „Zudem wird durch diese Vorgabe intergeschlechtlichen Personen das Selbstbestimmungsrecht vorenthalten“, erklärt der Verband.

Doris Achelwilm von der Linksfraktion warf im Bundestag die Frage auf: „Was soll eigentlich Schlimmes passieren, wenn Menschen ab einem gewissen Alter über ihren Geschlechtseintrag durch Selbstaussage auf dem Standesamt entscheiden können?“ Die Antwort aus Unions-Perspektive lieferte der CDU-Politiker Marc Henrichmann.

Er argumentierte, dem Personenstandsregister komme etwa im rechtlichen Kontext „Beweiswert“ zu. Daher lasse es „keine subjektive Komponente der Selbsteinschätzung zu“. Er erinnerte jedoch auch daran, dass die ärztliche Bescheinigung zur Registeränderung nicht neu ausgestellt werden und keine Diagnose enthalten müsse. Ihmzufolge dürfte eine solche Bescheinigung in den meisten Fällen bereits vorliegen.

Koalition gelobt weitere Gesetzänderungen für 2019

Dann jedoch zog Henrichmann das gesamte Thema ins Lächerliche. Er erzählte im Bundestag von dem Niederländer, der unter anderem wegen Problemen beim Online-Dating gerichtlich erwirken lassen wollte, dass sein offizielles Alter um 20 Jahre gesenkt wird. Eine lustige Geschichte. Aber keineswegs vergleichbar mit dem zugewiesenen Geschlecht.

Nicht nur befindet sich Geschlecht biologisch in einem Spektrum – anders als das eindeutig feststellbare Alter. Zudem ging selbst aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hervor, dass Geschlecht auch von sozialen Faktoren mitbestimmt wird.

Zwar gelobten SPD und Union, im Jahr 2019 dann auch das diskriminierende Transsexuellengesetz anzugehen und sogenannte geschlechtsangleichende Operationen von Minderjährigen zu verbieten. Auch beinhaltet der aktuelle Gesetzentwurf inzwischen, dass der Eintrag „divers“ bei nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen nicht vorgenommen muss, sondern kann – um Zwangsoutings vorzubeugen. Dennoch hätte der Bundestag bereits in diesem Jahr deutlich weitergehen können.

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