Umgang mit Terroropfern in Deutschland: „Ein Kampf wie David gegen Goliath“

Der Spediteur, dessen Lkw beim Breitscheidplatz-Anschlag zerstört wurde, kritisiert die fehlende Unterstützung deutscher Behörden.

Der polnische Speditionsbesitzers Ariel Zurawski steht bei einem Pressetermin vor Journalisten

Fühlt sich von deutschen Behörden alleingelassen: Ariel Żurawski Foto: dpa

BERLIN taz | Sein Cousin war das erste Opfer des islamistischen Attentäters Anis Amri, sein Lastkraftwagen wurde als Tatwaffe verwendet. Der polnische Spediteur Ariel Żurawski ist einer von vielen Geschädigten des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz vor zwei Jahren. Erst erschoss Amri den Fahrer des Sattelzugs, Łukasz Urban, raubte das Fahrzeug, fuhr damit in die Menschenmenge und ermordete so elf Besucher des Weihnachtsmarkts und verletzte 55 weitere.

Ein Jahr später verkündete der damalige Justizminister Heiko Maas (SPD): „Diese Menschen sind zu Opfern geworden, weil sie stellvertretend für uns alle getroffen worden sind. Und deshalb dürfen der Staat und die Gesellschaft sie jetzt auch nicht alleine lassen.“

Wurde dieses Versprechen eingehalten? Ariel Żurawski würde diese Frage verneinen. Am Montag teilte er mit, dass er sich von den deutschen Behörden alleine gelassen fühlt. Durch die Zerstörung des LKWs sei ein finanzieller Schaden von etwa 90.000 Euro entstanden, bekommen habe er allerdings lediglich 10.000 Euro Schmerzensgeld. „Sehr unfein“ habe sich Berlin ihm gegenüber verhalten, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Er fühlt sich ungerecht behandelt, und das „nur, weil ich Pole bin.“

Den Kampf für eine Entschädigung gibt Żurawski jetzt vorerst auf, da ihm sein Anwalt mitgeteilt habe, dass er keine Chance habe, solange die Ermittlungen nicht abgeschlossen sind. „Das ist ein Kampf wie David gegen Goliath.“ Bereits ein Jahr nach dem Breitscheidplatz-Anschlag warfen Angehörige aller Todesopfer der Bundesregierung Versagen vor. Der Umfang der staatlichen Unterstützung bleibe weit hinter den Erwartungen zurück, monierten sie in einem Offenen Brief.

„Definierter Schädigungsgrad“

Zudem warfen die Angehörigen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, dass sie weder persönlich noch schriftlich kondoliert habe. „Es ist eine Frage des Respekts, des Anstands und eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass Sie als Regierungschefin im Namen der Bundesregierung unseren Familien gegenüber den Verlust eines Familienangehörigen durch einen terroristischen Akt anerkennen“, hieß es in dem Brief.

Die Sprecherin der Hinterbliebenen, Astrid Passin, kritisierte im Juni, dass die Angehörigen erst dann eine Grundrente erhielten, wenn ein „definierter Grad der psychischen Schädigung“ erreicht ist. „Ich weiß nicht, wie man das katalogisieren kann. Wenn ich bei der Untersuchung zusammenklappe und einen psychisch angeschlagenen Eindruck hinterlasse, bekomme ich etwas. Wenn ich am Tag der Untersuchung aber gefestigt auftrete, gehe ich leer aus? Das kann doch nicht sein“, kritisierte sie im rbb.

Der Bund hat die Entschädigungsbeträge später teilweise erhöht, mittlerweile wurden insgesamt 3,8 Millionen Euro ausgeschüttet. Die Bundesregierung verkündete am Freitag zudem eine Reform des Opferentschädigungsgesetzes, nach der Opfer und Hinterbliebene höhere Entschädigungen erhalten sollen.

Auch an dem Mahnmal vor der Gedächtniskirche gab es Kritik. Die Inschrift lautet neben den Namen der Todesopfer lediglich: „Zur Erinnerung an die Opfer des Terroranschlags am 19. Dezember 2016. Für ein friedliches Miteinander aller Menschen“. Die politische Ideologie des Täters findet darin demnach keine Erwähnung. Der CDU-Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus, Burkard Dregger, fordert, dass die islamistische Motivation explizit benannt werden müsse.

„Ich finde es immer schön, wenn wir auch Zeichen des friedlichen Zusammenlebens formulieren. Aber das ist in Deutschland sowieso unstreitig. Ich würde mir eher wünschen, dass man zum Ausdruck bringt, dass man zusammensteht gegen die Gefahren des islamistischen Terrorismus“, sagte Dregger im Oktober 2017 im Deutschlandfunk.

Fahrtkosten selbst zahlen

Es ist nicht das erste Mal, dass Terroropfer die Handlungsweise deutscher Behörden kritisieren. Als die bayerische Staatsregierung im September 2017 einen Gedenkort für das antisemitisch motivierte Attentat eröffnete, das palästinensische Terroristen im Jahr 1972 auf die israelische Olympiamannschaft begangen hatten, wurde der 81-jährige überlebende Teamkollege Shaul Ladany erst auf Nachfrage eingeladen und musste dann seine Unterkunfts- und Reisekosten selbst tragen. „Ich denke fast täglich an das, was in München passiert ist. Ich bin sauer“, sagte der ehemalige Geher damals dem Bayerischen Runfunk.

Auch die Hinterbliebenen der rechtsterroristischen Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) kritisierten immer wieder ein umfassendes Behördenversagen. Dabei geht es unter anderem um die Vernichtung von Beweismitteln, den Einsatz von V-Leuten sowie die Verdächtigung der Toten und des Umfelds durch die Polizei.

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