Aus taz FUTURZWEI: #EinsamsterMenschDerWelt

Irgendwann hielt unsere Autorin den Hass nicht mehr aus und deaktivierte ihren Twitter-Account. Aber das ist die falsche Reaktion, merkte sie.

Eine junge Frau sitzt auf einem Autodach vor einem Sternenhimmel

Raus aus Twitter, zurück in die Natur? Das ist auch keine Lösung Foto: Nick Reynolds/unsplash

Eines Tages hatte mich das Leben auf Twitter so mürbe gemacht, dass ich raus musste. Ich hielt das ganze System aus Aufmerksamkeitsökonomie, Alltagszynismus und vor allem den Hass nicht mehr aus und deaktivierte meinen Account.

Die Zeit danach war die entspannteste, die ich seit Langem gehabt hatte. Aber keine Sorge: Das wird hier kein Text darüber, wie der Verzicht auf soziale Medien mein Seelenheil rettete. Nein, nein. Ich nehme das Ende vorweg: Ich bin wieder auf Twitter und der Hass ist der gleiche wie vorher. Und trotzdem geht es mir besser. Und das liegt an einer entscheidenden Veränderung.

Grundsätzlich gibt es ja vieles, was ich an Twitter und den 33 Möglichkeiten der Vernetzung dort mag. Freundschaften, Jobs, Liebe: Das soziale Netzwerk hat mir in diesen Hinsichten mehr gegeben, als ich je erwartet habe. Twitter ist auch, dass wildfremde Menschen zusammenhalten und miteinander sprechen. Ich denke nach wie vor, dass Twitter ein kreativer Ort des zivilgesellschaftlichen Engagements sein kann: Von #aufschrei bis #metoo und #metwo oder auch zuletzt #unten gibt es in Deutschland in den letzten Jahren viele Debatten, die hier entsprungen sind.

Doch neben den schönen Seiten des Menschseins gibt es eben auch die andere: Es wird gemeckert, geschrien, belächelt, bekämpft, gestritten und vor allem gehasst – auf so kreative und nachhaltige Art und Weise, dass man das fast bewundern muss.

Tausende Follower für Frauenhass

Manche Männer auf Twitter haben sich mit Frauenhass Tausend Follower erschrieben, andere posten leidenschaftlich unter jeden aktivistischen Hashtag, dass Angela Merkel ein Teil der jüdischen Weltverschwörung sei. Manche machen sich gleich mehrere Accounts, nur um ihnen fremden Personen auf Twitter zu sagen, dass sie sich doch lieber umbringen sollen. Einmal habe ich beobachtet, wie sich ein Mann eine komplett erfundene Identität verschaffte, um als angebliche Frau gegen Feminismus zu hetzen.

Das Cover des Magazins taz FUTURZWEI

Künstliche Dummheit. Es gibt bisher keine gesellschaftliche Diskussion über KI, sondern nur ihre Verabsolutierung. Tenor: Das kommt jetzt, damit die Wirtschaft nicht abgehängt wird, die Autos selbst fahren und die Roboter beim Sex deinen Namen herausschreien. Brauchen wir das?

Was wir wirklich brauchen, ist eine gesellschaftliche Klärung: Moment mal, was wollen wir und wozu? Damit fangen in der neuen Ausgabe von taz FUTURZWEI an. Mit Yuval Noah Harari, Dorothee Bär, Kevin Kühnert, Yasmina Banaszczuk, Pippa Goldschmidt, Wolf Lotter, und vielen weiteren.

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Kaum eine Woche vergeht, in der ich nicht Vergewaltigungsdrohungen, Verleumdungen bei Arbeitgebern oder so drastische rassistische, antisemitische oder transfeindliche Beleidigungen beobachte, dass sie im analogen Leben vollkommen unsagbar wären. Auf Twitter bleiben sie jedoch fast immer ohne Konsequenzen für die Hassenden. Im Gegenteil: Die Tech-Seite Motherboard berichtete Anfang des Jahres, dass sogar das zur Unterbindung von Hass eingeführte Netzwerkdurchsetzungsgesetz von rechten Gruppen dazu genutzt wird, ihre Opfer anzuklagen.

Twitter scheint das alles egal. Es war dieser Mix aus digitaler Gewalt und gleichzeitiger Schutzlosigkeit davor, der mich so stresste, dass er aus „Leben im Netz“ irgendwann ein bloßes „Überleben im Netz“ machte. Menschen schrieben anonym die widerlichsten Dinge über mich, kontaktierten Freundinnen oder sogar Vorgesetzte, bedrohten mich schließlich sogar – und Twitter ließ alles geschehen. In dieser Hinsicht ist man dort der einsamste Mensch der Welt – und der ohnmächtigste.

In meinem Exil jenseits von Twitter dachte ich darüber nach, was ich eigentlich gewollt hatte und warum es schieflief. Dauernd hatte ich versucht, andere Leute dazu zu bewegen, das System zu verändern: das Unternehmen Twitter, die Gesetzgebung oder gar die Menschen, die den Hass verbreiteten. Null Erfolg.

Empörung, Wut und Hass klickt besser

Zuallererst gab ich die Hoffnung auf, dass Twitter als Unternehmen jemals ein Interesse daran haben wird, dass es marginalisierten Gruppen auf ihrer Plattform gut geht. Der Hass gehört mindestens zum Geschäftsmodell – maximal ist er längst Kollateralschaden im Profitstreben jener Medien, für die Interaktionen mehr zählen als Integrität. Interaktionen bedeuten in der Branche Geld und da ist es egal, ob die Klicks durch Empörung, Verzweiflung oder aufrichtiges Interesse kommen. Im Gegenteil: Empörung, Wut und Hass klickt besser.

Hass ist erst dann nicht mehr rentabel, wenn soziale Plattformen nicht mehr der Aufmerksamkeitsökonomie unterliegen. Das wird entweder durch ein rentableres Geschäftsmodell geschehen oder durch politischen Druck. Aber nicht durch meinen persönlichen Rückzug. „Lösch doch einfach deinen Account“, wurde mir schon öfter in Artikeln des deutschen Feuilletons vorgeschlagen. Die Argumentation ist üblicherweise: Sich aus der kapitalistischen Logik von Twitter und Co rausziehen, so unsere Daten schützen und in der Konsequenz das System verändern.

In anderen Worten: der heilige Dreiklang privilegierter Männer. Nur denen stehen überall sonst Türen offen, nur die werden sonst überall gehört, nur die sind auch sonst sichtbar. Kurz: Nur privilegierte Männer können sich dem Spiel der Aufmerksamkeitsökonomie auf diese Art entziehen.

Ein Traum für Männer mit Langeweile

Als würde eine Einzelperson genügend Momentum erzeugen können, um ein global agierendes Imperium zu stürzen. Oder soll ich dann warten, bis mir Milliarden folgen? Sicher wäre es ein schöner Nebeneffekt, damit auch noch den Kapitalismus abzuschaffen. Aber das ist ein Traum für Männer in festen Jobs und mit viel Langeweile.

Außerdem bürdet es gerade denjenigen eine Last auf, die mit verschiedenster Gewalt – emotional, physisch, psychisch, finanziell – konfrontiert sind. Für alle anderen besteht ja kein Grund, die Plattform zu verlassen, weil sie die entweder nicht brauchen oder der Druck, etwas zu ändern, nicht relevant genug ist. Ihnen kann es egal sein, ob sich Twitter oder das System ändert.

Der Hass gehört für Twitter mindestens zum Geschäftsmodell – maximal ist er längst Kollateralschaden im Profitstreben jener Medien, für die Interaktionen mehr zählen als Integrität

Nein, ich habe bescheidenere Träume – oder größenwahnsinnigere, je nachdem: Ich will meine Existenz in den sozialen Medien genießen können. Ich will dort gut leben. Lange dachte ich, dass ich dafür das System verändern müsste. Inzwischen weiß ich, dass das gute Leben vor allem beim Selbstschutz anfängt. Als Individuen können wir weder soziale Netzwerke verändern, noch den Hass stoppen. Wir können nur damit leben, und den Hass gleichzeitig als das benennen, was er ist: falsch, gefährlich, inakzeptabel. Das bedeutet aber nicht, dass ich mich jeden Tag damit konfrontieren lassen muss.

Und das ist die entscheidende Veränderung, mit der ich zu Twitter zurück bin. Ich habe mich selbst verändert. Ich klicke nicht mehr auf Hashtags zu Hasskampagnen, dagegen filtere ich Antworten an mich von fragwürdigen Accounts raus. Das geht glücklicherweise mittlerweile.

Mehr Energie für die guten Dinge

Gleichzeitig bin ich mir des leicht erhöhten Einflusses meines verifizierten Accounts bewusst, denn Twitter scheint diesen eine Art Priorität in der Meldung zuzuweisen. Also melde ich fleißig die Drohungen, Beleidigungen und Belästigungen – auch an Dritte –, die ich noch mitbekomme. Ich schalte die Accounts stumm, die mich reizen, und interagiere nicht mehr in sinnlosen Diskussionen.

Ja, ich sehe trotzdem noch immer Hass. Mehr als mir lieb ist. Ja, ich erlebe noch immer Drama. Ja, ich rolle oft genug mit den Augen.

Und dann schließe ich die App und nutze meine Zeit, um an produktiven Baustellen zu basteln. Vernetzungstreffen, Textideen, Rechercheprojekte und vor allem viel Solidarität mit Opfern dieses allgegenwärtigen Hasses.

Mein radikaler Selbstschutz gibt mir die Energie, für die da zu sein, die ein offenes Ohr oder ein Ventil zum Druckablassen brauchen. Statt mit Fremden auf Twitter über meine Daseinsberechtigung zu streiten, diskutiere ich mit Freundinnen im analogen Leben unsere persönliche Weiterentwicklung, unsere Karrieren.

Also: Seit ich auf Twitter nicht mehr das System, sondern nur die Welt verändern will, geht’s. Um neue Kraft für konkrete Projekte zu schöpfen, ist mir das eigene Wohlbefinden wichtiger als digitale Dauerpräsenz. Und diese Einstellung ist wohl die radikalste und nachhaltig wichtigste, die ich als junge Frau in Zeiten von rechtsreaktionärem Hass haben kann.

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Dr. Yasmina Banaszczuk ist selbstständige Journalistin und Autorin. Sie hat als @lasersushi über 12.000 Twitter-Follower und mehr als 111.000 Tweets abgesetzt.

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