Kommentar Hartz-IV-Gesetze: Schafft endlich die Sanktionen ab!

Das Strafregime von Hartz IV ist in Paragrafen gegossene Menschenverachtung. Der Staat müsste seinen BürgerInnen auf Augenhöhe begegnen.

DemonstrantInnen mit Schildern stehen vor kahlen Bäumen

Gegen Sanktionierung: Demonstration gegen Hartz IV vor dem Bundesverfassungsgericht Foto: dpa

Der deutsche Staat hält arbeitslose Menschen für Drückeberger. Er behandelt sie wie notorische Faulpelze, die nur durch Androhung harter Strafen zum Arbeiten zu bewegen sind. Das Sanktionsregime der Hartz-IV-Gesetze, das seine Fans euphemistisch als „Fördern und Fordern“ beschreiben, ist Ausdruck eines misstrauischen Behördenapparats, der auf die BürgerInnen herabschaut.

Diese in Paragrafen gegossene Menschenverachtung muss endlich abgeschafft werden. Man kann sich nur wünschen, dass das Verfassungsgericht, das sich im Moment mit den Sanktionen beschäftigt, ein entsprechendes Signal sendet.

Schon ihre verfassungsrechtliche Grundlage ist brüchig. Jobcenter kürzen Menschen, die nicht in ihrem Sinne kooperieren, das Existenzminimum. Wohlgemerkt, es geht um das Existenzminimum. Jenes sollte eigentlich nicht verhandelbar sein, denn es liefert gerade mal das, was für ein bescheidenes Leben unbedingt nötig ist. Von Sanktionen Betroffene leiden Hunger, ihnen wird der Strom abgestellt, manche verlieren ihre Wohnung.

Hartz IV stützt sich im Kern auf schwarze Pädagogik. Ein solches Strafprinzip ist eines reichen Gemeinwesens unwürdig. Und es verkennt, dass die wenigen Arbeitslosen, die überhaupt gegen Auflagen verstoßen, oft persönliche Probleme haben. Sie weigern sich nicht, zu kooperieren – sie können es schlicht nicht.

Perversion unserer kapitalistischen Leistungslogik

Ein Sozialpolitiker der Grünen hat im Bundestag mal von einer depressiven Mutter erzählt, die Vorladungen des Berliner Jobcenters aus Angst ignorierte. Wem nutzt es, einer solchen Frau das Geld zu kürzen? Wie rechtfertigt man, dass Kürzungen auch die Kinder treffen? In dem Sanktionsprinzip drückt sich die Perversion unserer kapitalistischen Leistungslogik aus. Es ist okay, die ganz unten zu verachten, sie werden schon selbst an ihrem Unglück schuld sein.

Die Sanktionen selbst wirken oft kontraproduktiv. In Berlin tauchten mit Strafen belegte junge Leute ab, meldeten sich nicht mehr beim Jobcenter und gingen vielleicht sogar lieber betteln. Auch volkswirtschaftlich gesehen hätte der Verzicht auf Sanktionen heilsame Effekte.

Im Moment werden Leute in Niedriglohnjobs gezwungen, getreu dem Grundsatz: Jede Arbeit ist besser als keine. Ohne Sanktionen müssten Billigfirmen ihre Löhne erhöhen, um Arbeitskräfte zu finden. Daran, liebe SPD, müssten Parteien, die Altersarmut bekämpfen wollen, eigentlich ein Interesse haben.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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