„Die verlorene Oper“ in Hannover: Scheitern am Scheitern

Dramatiker Albert Ostermaier und Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson machen sich auf die Suche nach einem nie realisierten Brecht/Weill-Gesamtkunstwerk.

Auch Arnarssons bunte Bühnenfantasien können den Abend nicht retten Foto: Katrin Ribbe

HANNOVER taz | Kunst ist nichts anderes als eine Form der Arbeit, die scheitern kann und darf. Die Malocher von „Die verlorene Oper. Ruhrepos“ erklären das zu ihrer Kunstform. Der bei den Ruhrfestspielen im vergangenen Jahr uraufgeführte Abend feierte nun Hannover-Premiere. Aussichtslos scheint das Projekt: Ein aus der Vergangenheit mit keinem Wort, keiner Note überliefertes Werk über das größte Industrierevier Deutschlands soll neu verloren und dabei der Verlust des Ruhrkohlepotts thematisiert werden.

Schlöte, Zechen, Kokereien und Stahlwerke sind stillgelegt, Halden, Geröllberge, Museumsschächte und das Steigerlied erinnern noch an identitätsstiftend ruhmreiche Historie. Wohl nirgendwo sonst als am Nordrhein ist eine Landschaft Deutschlands derart aufgerissen, umgewälzt, ausgehöhlt, wieder zugeschüttet, überbaut und so auf engstem Raum urbanisiert worden. Mit der Förderung der letzten Lore Steinkohle auf „Prosper Haniel“ in Bottrop gab am 21. Dezember 2018 die letzte dieser einst 150 Montangruben im Ruhrgebiet auf.

Ein Requiem: Der derbe Feingeist Albert Ostermaier wurde beauftragt, es zu schreiben, der bildmächtig inszenierende Thorleifur Örn Arnarsson soll es auf die Bühne fantasieren. In memoriam Bert Brecht, der 1927 mit Komponist Kurt Weill und Filmemacher Carl Koch den Auftrag erhalten hatte, für die aufstrebende Oper in Essen ein „Ruhrepos“ zu kreieren über die Ausbeutung von Mensch und Natur als Gesamtkunstwerk der Maschinenmoderne.

Prompt wurde gegen Weill als Juden und den Antikapitalisten Brecht gehetzt, die Auftraggeber bekamen kalte Füße und sagten die Uraufführung ab. Exposé und Schriftwechsel der Beteiligten sind nun im Programmheft dokumentiert.

Um all das dem Publikum heute zu vermitteln, sitzt das Ensemble in 1920er-Jahre-Bürotracht an der Rampe, betreibt Stummfilmslapstick mit kaputten Stühlen und flackernden Lampen, wechselt dann in den Tonfilmmodus und verliest Rechercheergebnisse über die expressionistisch golden glitzernden 1920er-Jahre in Berlin. Das hat die Anmutung einer ersten Lesung im Probenraum.

Also garnieren die Darsteller ihre solistischen und chorischen Darbietungen ganz wie im echten Künstlerleben mit flammenden Eitelkeiten, Streitattacken und mauligen Anfällen von Beleidigtsein. Aljoscha Stadelmann kritisiert, dass Worte wie Goebbels, SS und Führer-Schein im Textbuch stehen, aber doch nicht schon wieder ein Abend über Nationalsozialismus entstehen soll. Der Mime rutscht dann aber peu à peu in die Rolle Brechts, gibt ihn (mit Worten aus seinen Briefen) betont unsympathisch als Pornograf, Frauenaufreißer und Fußfetischist, macht Rilkes Poesie mal eben als „schwul“ lächerlich – und sich selbst, indem er ständig in den Vordergrund drängt und Dialekte ausprobiert.

Seine Erstbegegnung mit Weill, dem Mathias Max Hermann etwas seriös Trotteliges gibt, kommt wie Michelangelos „Erschaffung Adams“ daher: Wenn sich beider Finger berühren, ist zur Illustration der elektrisierenden Wirkung ein Schild mit der Kreideaufschrift „Britzel“ zu sehen. Immer wieder wird auch ein Gemeinschaft bildendes Ritual vollzogen: Arme schnellen in die Höhe, damit sie ein V über dem Kopf bilden – als Verweis auf den von Brecht propagierten Verfremdungseffekt.

Weit über drei disparate Stunden, von denen man sich gewünscht hätte: Mehr Inhalt, weniger Nabelschau

Statt der Inszenierung ihre Erarbeitung ironisch auf die Bühne zu heben, ist deutlich weniger unterhaltsam, als es die Beteiligten wohl erhofft hatten. Leider ist jetzt schon eine Aufführungsstunde vorbei. Die nächste gehört Ostermaier-Darsteller Jakob Benkhofer. Angefeuert vom Regisseur scheitert er in peinvoll eitel auf Tragödie getrimmten Monologen an der Unmöglichkeit, ein Stück zu rekonstruieren, das Brecht nicht geschrieben hat.

Und an der Frage, wie politisches Theater heute funktionieren könnte, garniert mit bildungsbürgerlichen Späßen.So nutzen die Darsteller der beiden Literaten die hin- und herstiebitzte Brecht-Mütze als Tarnkappe – als wären sie Siegfried und Zwerg Alberich in Wagners „Ring des Nibelungen“. Irgendwann vermuten sie, dass es nur ein allzu langer Witz sei, den sie da aufführen – leider haben sie recht. Ostermaier notiert ins Programmheft, wie sein wohl tatsächlich verfertigtes „Ruhr­epos“ während der Proben verloren ging und räsoniert über sein „Ende als Dramatiker“.

Und auch die Bühnenbildnerin kommt nicht zum Zuge. Auf die Frage, ob ihre Entwürfe umgesetzt werden können, antwortete das Staatstheater in einer Mail mit einem „eindeutigen Nein“. Hubert Wild singt diese Mitteilung – so innig verträumt, wie er auch Schubert-Lieder intoniert. Derweil lässt die Kostümbildnerin ihre nicht benötigten Entwürfe als Modenschau vorführen. Nun sind zwei Stunden vergangen und es war nicht mehr zu erleben als die Blockade von Autor, Regie und Darstellern, mit der künstlerischen Aufgabenstellung etwas anzufangen.

Nach der Pause sind die Parkettreihen deutlich gelichtet. Endlich geht es um Kohle. Fix wird die Geschichte des Bergbaus heruntergerattert und die Vorderbühne mit schwarzen Plastikkugeln geflutet. Das Ensemble stolpert durchs Bällebad, legt Kunstrasen darauf, denkt über Renaturierung nach. Zu Wagners Lohengrin-Vorspiel läuft ein romantischer Bergbau-Clip, ein in Frührente abgeschobener echter Kumpel kommt kurz zu Wort.

Schimpfkanonaden aus dem Ruhrpottlexikon erklingen, während Requisiten auf der Drehbühne rotieren, die an diesem verlorenen Abend über ein verlorenes Stück über eine verlorene Tradition nicht gebraucht werden. Wohl aber einige Verse aus Ostermaiers Lyrikwerkstatt, pompös mit Live-Video inszeniert kommen sie melancholisch daher. Eine doch noch dezent poetische Einlassung aufs Scheitern – nach weit über drei disparaten Stunden, von denen man sich gewünscht hätte: mehr Inhalt, weniger Nabelschau.

Weitere Aufführungen: 16. + 17. 3., Schauspielhaus Hannover

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