Dolmetscher bitte selber zahlen

ASYL I Weil sie Asylbewerbern höhere Sozialleistungen auszahlen müssen, greifen manche Brandenburger Landkreise zu Tricks: Sie ziehen das Geld an anderer Stelle wieder ab

Im Potsdamer Sozialministerium weiß man nichts von den neuerlichen Kürzungen

VON MARINA MAI

Der Brandenburger Flüchtlingsrat kritisiert die finanzielle Schlechterstellung von Flüchtlingen durch mehrere Landkreise. Mit ihrer Praxis verstießen diese gegen den Geist des Urteils, das das Bundesverfassungsgericht im Juli zu den Sozialleistungen für Asylbewerberleistungen gefällt hat. „Die Landkreise zahlen den Flüchtlingen zwar exakt den Geldbetrag aus, den Karlsruhe gefordert hat“, erklärt die Sprecherin des Flüchtlingsrats, Dorothea Lindenberg. „Sie ziehen ihnen aber das Geld an anderer Stelle wieder ab.“

Im Juli hatte das Gericht die Höhe der Sozialleistungen für Flüchtlinge für grundgesetzwidrig erklärt. Die Richter forderten den Gesetzgeber auf, das Asylbewerberleistungsgesetz unverzüglich zu novellieren und erhöhten für die Übergangszeit die Sätze. Ein alleinstehender Erwachsener erhält seitdem beispielsweise 336 statt 224 Euro.

Im Visier hat der Flüchtlingsrat vor allem die Landkreise Oberhavel und Oberspreewald-Lausitz: Dort müssten Flüchtlinge jetzt Fahrten zum Amt sowie Dolmetscher für Arzt und Amtsbesuch selbst bezahlen. Bisher wurden diese Kosten erstattet. Begründung: Die Flüchtlinge hätten jetzt ja mehr Geld. Behördengänge fallen bei Flüchtlingen aber mehrmals im Monat an. Besonders bitter sei das, so Simone Tetzlaff vom Flüchtlingsrat, weil gerade diese Landkreise die Sozialleistungen bis auf ein Taschengeld in Gutscheinen gewähren: „Damit kann man weder Fahrkarten noch Dolmetscher bezahlen, so dass das Bargeld dadurch meist schon alle ist.“ In Oberspreewald-Lausitz seien die von Karlsruhe geforderten höheren Leistungen zudem erst im September ausgezahlt worden. „Und als Nachzahlung gab es ausschließlich Gutscheine.“

In Berlin gibt es das Problem nicht, weil Flüchtlinge hier schon immer Bargeld erhalten. Auch die Praxisgebühr, die einige Brandenburger Landkreise seit kurzem Flüchtlingen für die Notfallbehandlungen abverlangen, wird in Berlin nicht erhoben. Kenntnisse, ob auch in Berlin Flüchtlingen das Geld wieder abgezogen wird, das ihnen Karlsruhe mehr gewährte, liegen laut Flüchtlingsrat bislang nicht vor.

Und noch einen weiteren Dreh hat die Organisation beobachtet, den die Landkreise anwenden, um Asylbewerbern weniger zu zahlen: Die Behörden behaupteten, die Flüchtlinge könnten freiwillig ausreisen, täten es aber nicht. In diesem Fall könnten sie nach Asylbewerberleistungsgesetz fast die Hälfte ihres Geldes gestrichen bekommen. In letzter Zeit häuften sich Berichte über solche Kürzungen.

„Auch diese Kürzungen widersprechen in unseren Augen dem Grundgesetz und zeigen, dass das Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft gehört“, sagt Simone Tetzlaff. Die Karlsruher Richter hätten eindeutig erklärt, dass die Menschenwürde nicht migrationspolitisch zu relativieren sei. „Und hier geht es um eine migrationspolitische Sanktion“, so Tetzlaff. Im Potsdamer Sozialministerium weiß man nichts von den neuerlichen Kürzungen. „Wir kümmern uns darum“, sagt Sprecher Florian Engels.

In der nächsten Landtagssitzung werden die Grünen eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung des Gesetzes fordern. Das erklärte deren migrationspolitische Sprecherin Ursula Nonnemacher der taz. Nach ihrem Willen sollen Flüchtlinge Sozialhilfe bekommen wie andere Bedürftige auch.