Ein Minister stellt sich selbst ins Abseits: Der Mainstream ist jetzt öko

Verkehrsminister Scheuer und FDP-Chef Lindner stellen sich gegen den Klimaschutz. Wie einst die Grünen sind sie nun in der Minderheit.

Verkehrsminister Andreas Scheuer sitzt im Kanzleramt

Ins Abseits gesetzt: Verkehrsminister Scheuer agiert gegen den Mainstream und die eigene Koalition Foto: Hannibal Hanschke

Ohne die ganzen ungelösten Probleme der Zeit zu ignorieren, lässt die aufgeregte Diskussion der letzten Tage über Mobilität (Stickoxide, Tempolimit, Inlandsflüge) und ihre politische Ins­trumentalisierung doch einen sehr positiven und bisher nicht thematisierten Schluss zu: Ökopolitik ist jetzt politischer Mainstream, und ihre Kritiker heulen und schreien vom Rand aus. Also genau umgekehrt wie früher.

Das lässt sich an den eingesetzten Instrumenten belegen. Konkret: Was früher und vor allem in der Atomfrage die Umweltverbände und die Grünen machten, machen jetzt Unions- und FDP-Politiker. Sie wenden eine Methodik an, die Minderheiten in der Opposition benutzen, um sich gegen den Mainstream Gehör zu verschaffen. Sie machen aus fachlichen Fragen der Verkehrsregelung ideologische Grundsatzfragen, indem sie ständig den Ideologievorwurf erheben. Sie laden kleine politische Detailfragen wie ein Tempolimit auf Autobahnen zu letzten Fragen der Menschheit auf („Ende der Freiheit“).

Sie stellen die Legitimität politischer Entscheidungen infrage. Sie zweifeln wissenschaftliches Expertenwissen an. Sie greifen Gerichtsurteile an, wenn es ihnen nicht in den Kram passt. Sie rufen – wie in Stuttgart – zu Demonstrationen gegen Politik und Gerichte auf. Und wie früher die Umweltminderheit hält die Diesel- und Tempo-Minderheit das für notwendigen zivilen Ungehorsam, weil alles so schlimm läuft in diesem Land, dass Widerstand eine notwendige Bürgertugend ist.

Zunächst einmal ist es in der Realität einer hoch regulierten Gesellschaft nicht nachzuvollziehen, warum eine bestimmte Regulierung das Ende der Freiheit bedeuten soll und nicht, sagen wir, die gesetzliche Festlegung der Neigung von Dachgauben oder das Verbot, zu Hause Hanfpflanzen zu züchten.

Scheuer und Lindner im Abseits

Vor allem aber: Der nationale, europäi­sche und globale Mainstream hat in Paris 2015 festgestellt, dass im Angesicht der fortschreitenden Erderhitzung das Zeitalter des fossilen Wirtschaftens und Lebens zu Ende sein muss, weil die Menschen sonst keine Zukunft haben. Daraus folgen, zum Beispiel, rechtlich bindende gemeinsame Ziele auf EU-Ebene, denen Deutschland im EU-Rat zugestimmt hat und die im Europäischen Parlament eine Mehrheit bekommen haben.

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Das beinhaltet unter anderem künftige Gesetzgebung für einen Ausstieg aus dem fossilen Autoverkehr. Bei dieser Transformation ist ein Tempolimit nur eine Petitesse. Völlig unspektakulär sind die geltenden Grenzwerte der Luftreinhaltung. Es handelt es sich um langjähriges geltendes EU-Recht.

Wenn nun der deutsche Verkehrsminister Scheuer (CSU) so agiert, wie er zuletzt agierte, dann stellt er sich außerhalb des Mainstreams. Des politischen Mainstreams in Sachen Luftreinhaltung, des wissenschaftlichen Mainstreams und des gesellschaftlichen Mainstreams. Das macht ihn genau wie FDP-Chef Christian Lindner zu einem gesellschaftlichen Außenseiter.

Der Unterschied ist allerdings – und hier wird es problematisch: Lindner ist ein derzeit irrelevanter Oppositionspolitiker, der um Aufmerksamkeit kämpft. Scheuer aber ist ein dem Staat und seinen Bürgern verpflichteter Minister, der sich gegen eine seit Jahren konsistente europäische Politik stellt, aus dem Gefühl des Augenblicks heraus, dass das Politikprodukt namens „einfache Antworten“ unter Berufung auf eine höhere Weisheit des Volkes im Moment wachsende Nachfrage hat. Interessanterweise widerspricht er so der langjährigen und erfolgreichen Philosophie der Volkspartei CSU. Die ging mit dem Wind, wenn die gesellschaftlichen Mehrheiten kippten. Nun ist das Volk anscheinend ökologischer als früher, nur hat der CSU-Minister dafür die Antenne nicht.

Selbst wenn Scheuer sich nur als strategischer Amateur erweisen sollte, so steht er doch für einen problematischen Politikertypus – einen, der in Opposition zu sich selbst und seiner Funktion geht

So wird die Umarmung der Stickoxid-Ärzte zum Reinfall und auch beim ökologisch aufgeklärten bayerischen Heimpublikum nicht gut ankommen: Wenn man wie Scheuer suggeriert, dass der gesunde Menschenverstand mehr wiegt als die von der Politik eingesetzten Wissenschaftler und dass man eben mal so in Brüssel die Grenzwerte aussetzen kann, dann hat man ganz offensichtlich eine Überdosis an Trumpisierung abgekriegt (linker Populismus ist es in Scheuers Fall ja wohl eher nicht). Das ist für den Ökomainstream weniger empörend, als viel mehr entspannend: Es zeugt von inhaltlicher und politischer Schwäche.

Sie hassen ihre Vernunft

Ein gern unterschätzter Aspekt der letzten Jahre war nämlich das vernünftige Sprechen von Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin redet einfach keinen Bull­shit, und das hat ihre und unsere Zeit positiv geprägt. Deshalb fiel auch der frühere CSU-Vorsitzende und derzeitige Innenminister Horst Seehofer so auf – weil er sich der Merkel-Kultur des vernünftigen Sprechens nicht anschließen wollte und quartalsmäßig im absurden Sprechen versumpfte. Dieses wird bei uns Medien leider stark nachgefragt, weil uns zu viel Vernunft als geschäftsschädigend gilt, und deshalb wird das Sprechen in bestimmten Fällen desto mehr verstärkt, je absurder es ist. Bei der FAZ kann man mittlerweile sogar einen veritablen Hass gegen Merkels Vernunft herauslesen.

Will sagen: Die Bewegung Merkel-muss-weg enthält auch einen kräftigen Schuss Vernunft-muss-weg – und das meint genau diese wissenschaftlich, realpolitisch und europäisch orientierte Merkel-Vernunft. Selbst wenn Scheuer sich nur als strategischer Amateur erweisen sollte, so steht er doch für einen problematischen Politikertypus – einen, der in Opposition zu sich selbst und seiner Funktion geht.

Der Bundesverkehrsminister – um das noch mal klarzumachen – wendet sich nicht gegen einen Umweltverband, irgendwelche graubärtigen Altökos und auch nicht gegen eine 20-Prozent-Partei namens die Grünen. Er wendet sich gegen die eigene Bundesregierung und die eigenen politischen Ziele mitsamt vereinbarter EU-Grenzwerte und nationaler Gesetze. Das beinahe Tragische: um die Ressentiments einer gesellschaftlichen Minderheit zu bewirtschaften.

Um die gesellschaftliche Unterstützung für sozialökologische Zukunftspolitik ist es nicht so schlecht bestellt, wie man manchmal denken könnte. Die tollkühnen Außenseiteraktionen der Scheuers und Lindners haben das gerade bewiesen. Aber dies ist ja, Gott sei Dank, eine freie Gesellschaft: Man kann sich hier jederzeit gegen den Mainstream stellen – aber dann steht man halt am Rand.

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