berliner szenen
: Auch Punks müssen schlafen

Gegenüber dem Willy-Brandt-Haus steht ein bunt gestrichenes Haus mit Punkkneipe, der „Linie 1“. Für mich eine Entdeckung, als ich die Tür aufmache. Lauter Punkrock dröhnt drin. Hier gibt es Bier zu Preisen wie am Späti. Keine festen Schließzeiten – und die Gläser zur Sicherheit mit Pfand. Eine echte Perle. Und ich dachte schon, Punk sei tot. Ich setzte mich zu zwei Freunden, V. und J., an einen kleinen Tisch. Der steht genau dort, wo Billard-Spieler ihre Stöcke lang strecken, um die Kugeln zu treffen. Wir müssen immer wieder ausweichen, damit sie uns nicht in die Augen stechen oder in den Rücken.

Als ein anderer Tisch frei wird, ziehen wir um, in die „Leninallee“. Das verrät ein Straßenschild, das in der Kneipe steht. Wir trinken Bier und reden. Zuletzt geht es um Lohnarbeit und darum, weshalb V. und J. unter der Woche hier meist zu zweit am Tisch sitzen: weil ihre Freunde früh aufstehen und zum Arbeiten gehen müssen.

V. erzählt von Konzernen, für die er als Selbstständiger arbeitet, zu allen möglichen Tages- und Nachtzeiten, die er sich selbst aussucht. Wir diskutieren darüber, was noch okay ist und bei welchen Auftraggebern er Nein sagt. Es fließt mehr Bier, die Argumente für und wider werden auch ein bisschen flüssiger und vor den Scheiben der Kneipe verschwimmt die Welt.

Es-gibt-kein-richtiges-Leben-im-falschen-mäßig einigen wir uns eben darauf, dass man nicht alles richtig machen kann und manches okay ist, solange man am nächsten Tag nicht so früh rausmuss, als es 2 Uhr ist und die Kneipe dichtmacht. Die Musik verstummt, früher als gedacht.

Auch Punks müssen irgendwann mal schlafen, denke ich. Ich grinse beim Rausgehen über beide Ohren und freue mich, dass es sie noch gibt. Und das hier, gleich am Willy-Brandt-Haus. Lea Diehl