Sarah Kuttners Roman „Kurt“: Trauer im uncoolen Brandenburg

Nicht nur Frauen-Zeitschriften sollten dieses Buch loben: Sarah Kuttner hat einen klugen Roman über die moderne Patchworkfamilie geschrieben.

Sarah Kuttner mit Mütze und in gelber Jacke in einem Wald

Folgt ihren Figuren mit leicht ironischem, aber niemals zynischem Interesse: Autorin Sarah Kuttner Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Seite 136, da ist es dann so weit. Da taucht er auf, der „Papa, der die Ost-taz“ liest. Denn, um das gleich aus dem Weg zu räumen: Sarah Kuttner hat eine Verbindung zur taz. Als sie ein Kind war, baute ihr Vater Jürgen Kuttner in den hyperventilierenden Monaten zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung die kurzlebige Ost-Ausgabe dieser Zeitung auf.

Es ist also auch bei „Kurt“, ihrem neuen Roman, so, wie es bei den drei Romanen davor auch schon war: Die Geschichte ist gespickt mit autobiografischen Details, die Protagonistin erinnert – von der Berliner Kodderschnauze bis zum exquisiten Indie-affinen Musikgeschmack – sehr an die Autorin, aber autobiografisch ist „Kurt“ trotzdem und sehr ausdrücklich eben nicht gemeint.

Auch das Haus, das Romanheldin Lena mit ihrem Freund Kurt kauft und renoviert, liegt zwar in derselben Stadt, nämlich in Oranienburg im Norden Berlins, in der auch die Autorin ein Wochenendgrundstück besitzt. Aber Lena und Kurt ziehen richtig raus in „dieses schöne, raue Brandenburg“, sie wollen leben dort draußen im Speckgürtel, weil dort der sechsjährige Sohn von Kurt aus einer früheren Beziehung, der auch Kurt heißt, mit seiner Mutter lebt. Sie wollen sich einlassen auf eine Gegend, die man, wie Lena feststellt, erst ebenso lieben lernen muss wie ihre Bewohner.

In diesem Land kreischen die Tischkreissägen und heulen die Rasenkantentrimmer, dieses Land „tut nicht so, als wäre es etwas, was es nicht ist. Brandenburg ist einfach nur da.“ Kuttner schreibt wissend, mit freundlichem Blick und voller Detailfreude über eine Gegend, die der Berliner gewöhnlich bloß durchquert auf seinem Weg in die viel schönere Uckermark oder gleich an die Ostsee. Sie zählt die Friedhöfe im Stadtgebiet nach, wandert über die pittoreske, nicht mehr befahrene Bahnbrücke über den Oder-Havel-Kanal und erwähnt, dass „noch etwa dreihundert Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg“ auf Entschärfung warten.

Gern mal „irre schlechtgelaunt“

Aber die Bewohner dieses Landes sind echte Brandenburger, brennen Schnaps im Keller, trinken auf Grillpartys Sangria aus dem Tetra-Pak, verbringen ihre Freizeit bei Pflanzen-Kölle und sind gern mal „irre schlechtgelaunt“. Vor allem aber sind sie keine überzeichneten Originale, wie sie die aktuell grassierenden Brandenburg-Krimis, die Romane von Bela B. oder demnächst Manfred Maurenbrecher bevölkern. Kuttner dient Brandenburg nicht nur als Hintergrundfolie für ein Panoptikum aus möglichst skurrilen Dorftrotteln, sondern sie porträtiert dieses immer noch extrem uncoole Bundesland durchaus realistisch und mit viel leutseliger Neugier.

In den ersten Kapiteln, in denen das Paar das Haus und die neuen Nachbarn kennenlernt, die Umgebung erkundet und die spröde Schönheit des Oberhavellandes beginnt schätzen zu lernen, ist der Ton leicht und heiter, auch wenn die Protagonistin mit ihrer Rolle als Ersatzmutter zu kämpfen hat und sich fragt, ob sie die Einzige ist, die es seltsam findet, wenn das Kind einen Kackehaufen mitten in die Küche setzt. Kuttner gelingt da eine sehr schöne, durchaus humorige, aber nicht gehässige Innensicht auf eine moderne Patchworkfamilie und ihre strukturell angelegten emotionalen Probleme, auf die ganzen Untiefen und Verunsicherungen, die auch und gerade dann entstehen, wenn man sich seine Familie selbst aussucht. Wie Zuständigkeiten und Gefühle, Verantwortlichkeiten und Liebe sich mal ergänzen, mal in die Quere kommen, wie eine Liebe entsteht und wächst, das wird in „Kurt“ mit leichter Hand, aber trotzdem einfühlsam erzählt.

Der Tod kommt leise. Als in dem Buch eine der Figuren stirbt, zeigt sich die Autorin Sarah Kuttner erst ganz auf der Höhe

Kuttner hat einmal beklagt, dass ihre Romane vom Feuilleton im besten Falle ignoriert, in Frauenzeitschriften dafür gefeiert werden. Darin wird, das ist zu fürchten, auch „Kurt“ nichts ändern, obwohl die Handlung eine dramatische Wendung nimmt. Der Tod kommt leise, unspektakulär und vor allem schuldlos. Aber als eine der Figuren stirbt, behält der Roman seine leichte Gangart bei. Zum Glück. Denn hier zeigt sich die Autorin Kuttner ganz auf der Höhe: Statt im Pathos zu versinken, folgt sie ihren Figuren in die Trauer mit demselben mitfühlenden, leicht ironischen, aber niemals zynischen Interesse, mit dem sie sie schon durch glücklichere Zeiten begleitet hat.

Nun werden die Beziehungen neu sortiert, die Gefühle machen sich auf ins Unbekannte und die Liebe, die vor allem, wird auf die Probe gestellt. „Kurt“ beantwortet Fragen, ohne sie ausdrücklich zu stellen. Fragen wie: Was macht so ein Verlust mit denen, die zurückbleiben? Wie verkomplizieren sich eh schon unübersichtlichen Beziehungsgeflechte? Und die eine, alles entscheidende Frage: Wie geht das eigentlich, Trauerarbeit?

Und, wie geht’s? Man kann zu Dusty Springfield tanzen und im Gewitterregen weinen. So viel Pathos darf sein in „Kurt“. Aber noch wichtiger, wir sind schließlich in Brandenburg, im knurrigen, pragmatischen Brandenburg: den Garten immer ganz früh morgens wässern, wenn die Sonne noch nicht so brennt.

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