Sicherheit im Nachtleben: „Unsere Arbeit ist klar feministisch“

Navina Nicke ist Mitbegründerin von Safe Night. Die Awareness-Teams des Vereins arbeiten in Hamburger Klubs und bieten Betroffenen von Gewalt Unterstützung vor Ort

Navina Nicke sieht großen Bedarf an Awareness-Arbeit in Klubs Foto: Miguel Ferraz

taz: Frau Nicke, hat das Nachtleben ein Gewaltproblem?

Navina Nicke: Auf jeden Fall. Aber nicht nur das Nachtleben, die ganze Gesellschaft hat eins. In der Nacht, im Rausch, wenn alle euphorisch sind, zeigen sich aber noch ganz andere Formen, als tagsüber. Da spielt vor allem anonyme Gewalt eine Rolle.

Was ist anonyme Gewalt?

Sexualisierte Gewalt passiert meistens im Nahfeld der betroffenen Frau, also vom Partner, vom Ex-Freund und so weiter. Auf einer Party hingegen ist es öfter die Stimme im Rausch, die sagt, dass es mit Sicherheit eine gute Idee ist, der Frau jetzt an den Hintern zu fassen. Und das passiert dann zwischen sich unbekannten Menschen.

Hat das zugenommen oder warum haben Sie den Verein Safe Night gegründet?

Wir arbeiten alle seit Jahren im Nachtleben und haben das schon immer mitbekommen. Viele von uns machen das im Frauenkörper und kriegen allein dadurch schon so einiges mit. Es gibt so viele Menschen, die auf irgendeine Art marginalisiert sind und dadurch unwahrscheinlicher eine schöne Nacht haben als andere. Wir wollen einfach dafür sorgen, dass alle eine schöne Nacht haben. Was uns zusätzlich genervt hat, war diese rassistische Instrumentalisierung der Silvesternacht von Köln.

Sie meinen die Silvesternacht 2015/2016, als es in Köln und auch in Hamburg vermehrt sexuelle Übergriffe gab?

Genau. Danach forderten insbesondere weiße Strafrechtsfeministen eine total krasse Law-and-Order-Politik. Darauf haben wir gar keinen Bock, weil ganz einfach nichts schlimmer geworden ist. Das war alles schon immer so.

Warum braucht es dann ein extra Awareness-Team?

Im regulären Betriebsablauf eines Klubs gibt es keine Person, die sich zu einer von Gewalt betroffenen Person gesellen kann. Da sind alle in ihrem Alltag, kontrollieren Taschen, füllen die Bar auf oder was auch immer. Das Awareness-Team kann sich diese Zeit nehmen und ist der professionelle Verbündete für Menschen, die gerade ein Gewalterlebnis hatten.

ist 32 Jahre alt und Sonderpädagogin. Sie macht gerade ihren Master in Sozialer Arbeit. 2017 gründete sie den Verein Safe Night mit. Etwa 20 Menschen arbeiten für die Awareness-Teams des Vereins. Sie bieten Betroffenen von Gewalt auf Partys Unterstützung an und sind durch ein leuchtendes A auf ihren Jacken zu erkennen.

Wie genau sieht das aus?

Wenn es so eine Situation gab, gibt es ein reguläres Vorgehen: Die Tür schmeißt den Täter raus. Und wenn sich eine betroffene Person beim Awareness-Team meldet, dann ist das da und unterstützt die Person. Wir arbeiten mit einer Subjektivierungsstrategie, um die Person wieder handlungsfähig zu machen.

Wie geht die?

Wenn du eine Gewaltsituation erfährst, verlierst du deine Autonomie und die Kontrolle über deinen Körper. Das ist ein Entmächtigungsgeschehen, es objektiviert dich, darum geht es den Leuten schlecht. Der eigentliche gesellschaftliche Ablauf ist, dass sofort nach einer Strafe für den Täter geschrien wird. Es werden Beweise gesammelt und es geht darum, den Täter möglichst hart zu bestrafen. Wer aus dem Fokus gerät, ist die betroffene Person. Das ändern wir, indem wir parteilich mit dieser Person sind und ihr die Autonomie und Kontrolle über die Situation zurückgeben.

Wie machen die Teams das?

Wir machen Angebote. Zum Beispiel können wir zusammen mit der Person ihre Friends suchen, damit sie nicht mehr alleine ist. Oder wir gehen in einen Nebenraum und unterhalten uns in Ruhe. Wir können auch eine Runde an der frischen Luft drehen, oder wenn die Person nicht mehr auf der Party bleiben möchte, können wir ihr Geld fürs Taxi geben. Wie geben einfach viele Möglichkeiten, damit die Person sich selbst wieder handlungsfähig erleben kann.

Sind sie auch im Nachhinein Ansprechpartner*innen?

Unsere Awareness-Arbeit ist mehr eine kurzfristige Unterstützung im Klub als eine langfristige Betreuung. Die Leute wissen aber, dass wir im Nachhinein über E-Mail erreichbar sind. Wenn wir den Eindruck haben, dass es gut wäre, verweisen wir zum Beispiel an Frauenberatungsstellen.

Sind denn Frauen meist von Gewalt betroffen?

Die meiste Gewalt, die in der Nacht passiert, findet tatsächlich unter Männern statt, die sich boxen. Da haben wir nichts mit zu tun, wenn das ein konsensuales Boxen ist, sollen sie das gerne machen, das ist ein Fall für die Türsteher*innen. Sexualisierte Gewalt geht aber meist von Männern aus und trifft fast ausschließlich Frauen beziehungsweise andere Geschlechter als Männer. Es gibt sicherlich auch andere Konstellationen, aber die sind bedeutend seltener.

Wie sind die Awareness-Teams ausgebildet?

Unsere Arbeit ist ja letztlich soziale Arbeit, deshalb ist eine entsprechende Vorbildung natürlich gut. Alle unsere Mitarbeiter*innen haben sich beispielsweise in Gesprächsführung oder Krisenintervention fortbilden lassen. Dafür haben wir mit dem Frauennotruf Hamburg kooperiert. Wir haben auch alle einen bestimmten Begriff von Gesellschaft, unsere Arbeit ist klar feministisch.

Wie nehmen die Klubgäste Sie wahr?

Am Anfang war das eher verhaltene Freude, die haben sich gefragt, warum es das nun braucht. Aber mittlerweile hat sich das schon etabliert. Ich merke, dass die Gäste vermehrt danach fragen und teilweise ein Awareness-Team einfordern. Es wird teilweise zum Kriterium, ob sie in den Klub gehen oder nicht.

Wenn sich die Leute in den Klubs der Awareness-Teams so bewusst sind, kann deren Anwesenheit dann auch präventiv wirken?

Das ist unser Meta-Plan. Faktisch ist unsere Arbeit natürlich eine Intervention. Aber wenn die Leute durch unsere Arbeit mitbekommen, dass sie an einem Ort sind, an dem es wichtig ist, dass sie respektvoll miteinander umgehen, dann hat das natürlich auch einen präventiven Aspekt.

Zurzeit sind die Teams nur in einer Handvoll Hamburger Klubs unterwegs und diese buchen sie. Warum sind es bisher nicht so viele?

Wir sind personell noch nicht so gut aufgestellt. Die Einzigen, die bezahlt werden, sind die Awareness-Teams. Aber die ganze Organisation, die Rekrutierung der Leute und die Einarbeitung, das machen wir alles ehrenamtlich. Deshalb freuen wir uns immer sehr über Spenden. Denn die machen möglich, dass wir uns nachhaltig etablieren können.

Die Klubs in denen die Teams unterwegs sind, sind auch Mitglieder in Ihrem Verein. Damit bewegt sich Safe Night also in einer Blase mit all jenen, die sich des Problems bewusst sind. Wie könnten denn die erreicht werden, die noch nicht so weit sind?

Das stimmt, die Klubs, die nach uns fragen, haben das Problem auf dem Schirm. Ich hoffe einfach, dass unser Angebot immer bekannter wird und von Gästen und Klubbetreibern noch mehr eingefordert wird. Wir bekommen auch immer mehr Anfragen von Festivals oder auch Kongressen. Wir schließen auch erst Mal nichts aus, aber wir müssen halt immer schauen, ob wir das leisten können. Der Bedarf an mehr Awareness-Arbeit ist auf jeden Fall da.

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