Theaterstück von Fiston Mwanza Mujila: Schlaflos in Fucking

Das Wiener Akademietheater zeigt „Zu der Zeit der Königinmutter“ von Fiston Mwanza Mujila. Dem Original wird die Inszenierung nicht gerecht.

Eine Person steht vor einem lilafarbenen Vorhang und raucht

Schauspielerin Gertraud Jesserer sitzt viel auf einem Lautsprecher herum und darf rauchen Foto: Elisabeth Gruber/ Burgtheater

In der New-Jersey-Bar erinnert man sich kaum noch, was „Zu der Zeit der Königinmutter“ geschah. Ein vergesslicher Ort neuer Mythen, die überall dort entstehen, wo Gier Berge versetzt, um an deren Reichtümer zu gelangen. Ihre Nächte verbreiten die Gerüche von Männern und Frauen, von Schweiß und anderen Körperflüssigkeiten, feiern die Euphorie gesellschaftlicher Disruption, die die Ungleichen für einen Moment gleich empfinden lässt, bevor sie in neue Machtverhältnisse wieder erkaltet.

Hier blenden sich Goldgräber am Glanz dessen, was ihnen durch die Finger rinnt, und feiern die Glücksritter aller Länder kurze Ekstasen ihres Unglücks. Die Bar ist ein Unort der „einen Welt“ und Fiston Mwanza Mujila der spannende literarische Chronist ihrer Gegenwart. Der im Kongo geborene und in Österreich lebende und bislang französisch schreibende Autor kam 2009 für ein Jahr als Stadtschreiber nach Graz, ist geblieben und lehrt dort mittlerweile afrikanische Literatur.

Seit 2015 gewinnt sein Debütroman „Tram 83“ fortgesetzt Preise. Er spielt im Kongo und orchestriert die Widersprüche eines Landes, das in den globalen wirtschaftlichen Verflechtungen am Reichtum seiner Bodenschätze arm geworden ist, in den Dialogfetzen, Stimmen und Klängen von ein paar Nachtclubnächten. Mujila erhört Unerhörtes, schreibt am Jazz geschult filigrane Sprachkompositionen, feiert darin expressiv die Abgründe wie die Selbstermächtigungspotenziale globaler gesellschaftlicher Umwälzungen.

Für die Produktion am Akademietheater schreibt Mujila erstmals auf Deutsch. Es ist eine Aneignung, die in der Lektüre Genuss verspricht. Seine Sätze scheinen die deutschen Silben wie fremde merkwürdige Früchte kauen und schmecken zu wollen. Die schnarrenden Konsonanten, die zu Umlauten gedehnten Selbstlaute und aberwitzigen Substantivierungsauftürmungen des Deutschen werden für den, der als Schriftsteller wie ein Musiker schreibt, zum wandlungsfähigen Instrument, das seinen HörerInnen die eigene Sprache vertraut fremd klingen lässt.

Eine Welt ohne Grenzen

Seine Literatur ist ortlos und polyzentrisch zugleich. Metropolen von Prag bis Tokio, verwunschene Nester von Fucking/Oberösterreich, Lederhose/Thüringen bis zu einem von Minen durchfurchten Ort in Katanga sind dem Text gleich weit entfernt. Die Welt teilt sich nicht mehr in Ost und West oder Nord und Süd, sondern zwischen denen, die Grenzen überschreiten dürfen, und denen, die es müssen.

Philipp Hauß hat Mujilas Stück für die Bühne eingerichtet. Katrin Brack hat für seinen „Mahagonny“-haften Topos einen Raum entwickelt, der die Fantasie für seine Atmosphäre allein über Vorhänge in verschiedenen Farbwerten steuert. Jazz ist Pflicht. Auf der Bühne kommentiert ein Trio aus Schlagzeug, Gitarre und Saxofon das Geschehen (Patrick Dunst, Christian Pollheimer, Elena Todorova).

Er spielt im Kongo und orchestriert die Widersprüche eines Landes

Sven Dolinki und Simon Jessen geben zwei Nachtclubschönheiten ohne Auftrag in Gardinenfummeln und Puffmutterpantoffeln. Mirco Kreibich agiert in energischem Storytelling. Gertraud Jesserer, die „kleine Gertraud“, die zum Ende hin aufklärt, was es mit der Königinmutter tatsächlich auf sich hat, hockt lange hoch oben auf einer nicht angeschlossenen Bassbox.

Literatur auf der Bühne

In Markus Hering findet Mujila tatsächlich einen Komplizen, der sich seine Gourmandisen der Sprache intensiv schmeckend einverleibt und in ihrer filigranen Konstruktion virtuos auf- und niederklettert. Gertraud Jesserer bildet im unterspannten Wegschleudern der Sätze einen interessanten Kontrapunkt. Ansonsten organisiert Hauß Mujilas feine Polyphonie recht einförmig nach vorne.

Vielleicht ist das doch nicht „Schauspielerfutter“, mit dem man an der Rampe brilliert. Und wo sind eigentlich die Frauen, die unterdrückt und ausgebeutet im falschen Licht der New-Jersey-Bar dennoch zu Königinnen werden? Wieder einmal hat das Theater auf seinem Prokrustesbett ein literarisches Talent hübsch eingespannt.

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