Das Zepter in der Hose

SPEKTAKEL Barrie Kosky, der neue Intendant der Komischen Oper Berlin, lässt Monteverdis drei Opern an einem Tag aufführen

Kamerateams waren rund um die Oper unterwegs, 3sat übertrug das Ereignis live im Fernsehen

VON TIM CASPAR BOEHME

Anfangen, wo es anfängt: Die Zeitrechnung der Oper beginnt mit Claudio Monteverdi, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts die ersten Meisterwerke der damals noch jungen Gattung schrieb. Erhalten geblieben sind von seinen 18 Bühnenwerken zwar nur drei, „L’Orfeo“, „Il ritorno d’Ulisse in patria“ und „L’incoronazione di Poppea“, die aber haben den 400-Jahre-Test mühelos bestanden. Dass der australische Regisseur Barrie Kosky mit ihnen seine Intendanz an der Komischen Oper Berlin einläutet, war daher eine durchaus stimmige Entscheidung.

Doch sollte es für ihn nicht einfach bei einer Neuinszenierung bleiben. Am Sonntag präsentierte er daher die „Monteverdi-Trilogie“, bei der man einen ganzen Tag in Gesellschaft mit dem italienischen Komponisten zubringen konnte. Kosky, der in Berlin zuvor schon an der Komischen Oper, der Staatsoper und dem Deutschen Theater inszeniert hat, ist nicht als Einziger neu am Start. Fast zeitgleich begann Dietmar Schwarz, neuer Intendant der Deutschen Oper, an der am Samstag Helmut Lachenmanns Oper „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ Premiere feierte. Für Kosky allemal ein Grund, sich mit einem Marketing-Coup die erforderliche Aufmerksamkeit zu sichern.

Das Konzept scheint aufgegangen zu sein. Als Spektakel angekündigt, hatte die Dreifachpremiere nicht nur für ein volles Haus, sondern auch für reichlich Medienbegleitung gesorgt. Kamerateams waren rund um die Oper unterwegs, der Sender 3sat übertrug das Ereignis live im Fernsehen.

Die Trilogie wollte dabei nicht allein durch Masse überwältigen, auch inhaltlich gab es einige Neuerungen. So hatte Kosky die australische Komponistin Elena Kats-Chernin beauftragt, für alle Opern eine neue Instrumentierung zu schreiben. Monteverdi, so die Begründung, habe sich in der Wahl der Instrumente stets experimentierfreudig gezeigt. Bei einzelnen Stimmen ließ er die Besetzung völlig offen.

Für jede Oper wählte Kats-Chernin eine neue Besetzung. Von den Streichern hört man in „Orpheus“ nur Geigen, bei „Odysseus“ gibt es ausschließlich Celli, und für „Poppea“ beschränkte sie sich auf die Bratschen. Hinzu kamen verschiedene exotische oder für Monteverdi untypische Instrumente von Cimbalom über Oud bis zu E-Gitarre und Synthesizer.

Amors Bogen

Als Klammer für die Handlungen tritt in allen drei Opern Amor in Erscheinung. Zu diesem Zweck wurden einzelne Rollen aus Monteverdis Vorlagen kaum merklich zusammengelegt. So ist es Amor und nicht die Hoffnung, die Orpheus nach dem Tod seiner Eurydike in den Hades führt. Der Tenor Peter Renz gab den Liebesgott souverän mit freundlicher Ironie.

Zusätzlich spannt die Inszenierung einen weiteren Erzählungsbogen und präsentiert die drei Opern als Etappen der Vertreibung aus Arkadien, der ländlichen Idylle Griechenlands. Während sich Orpheus und Eurydike noch neben Satyrn und fast nackten Nymphen in einem üppig wuchernden Garten mit riesenhaften Tomatenstauden vergnügen, bis der Verlust Eurydikes das Ende der Idylle einläutet, steht die Rückkehr des Odysseus nach Ithaka zugleich im Zeichen der Suche nach diesem verlorenen Paradies. Das Bühnenbild beschränkt sich hier passenderweise auf eine abschüssige Kunstrasenfläche mit wenigen laublosen Bäumen am Horizont.

So ganz will der Kunstgriff allerdings nicht gelingen. Spätestens bei „Poppea“, die als Geliebte Neros danach strebt, die Kaiserin Octavia abzulösen, fragt man sich, warum diese römische Intrige jetzt auf einmal für die Zerstörung Arkadiens stehen soll. Stimmig ist zwar die schroffe Felslandschaft, die sinnbildlich für das kalte Machtspiel ringsum zu stehen scheint – bei dem sich selbst Amor warm anziehen muss und mit seiner Pelzstola meistens stumm in der Ecke sitzt –, doch Orpheus wirkt bei alledem sehr weit entfernt. An „Poppea“ stören die phallischen Plattheiten, die Kosky einem fast pausenlos um die Ohren haut. Als etwa Nero seinem Berater, dem Philosophen Seneca, klarmacht, dass Appelle an Vernunft und Gesetz bei ihm wenig bringen, weil er nun einmal das Zepter in der Hand halte, packt er sich dazu demonstrativ in den Schritt.

Auch mit nackten Darstellern und Kunstblut wird nicht nicht gegeizt. Dass sich die verwickelte Geschichte um Leidenschaft und Staatsgewalt nicht auf die Formel „Macht ist gleich Penis“ verkürzen lässt – geschenkt. Auch musikalisch erwies sich die „Poppea“ als die am wenigsten stimmige der drei Neufassungen.

Willkürliche Neuerungen

Hatten sich die Cimbalom- und Akkordeonklänge bei „Orpheus“ noch geschickt in den Orchesterklang integriert, wunderte man sich bei „Poppea“ gelegentlich über die eher unmotiviert eingestreuten Bluestöne der Gitarren. Hier hätte man den Ansatz, der aus einem „jazzigen“ Anfangsentwurf hervorgegangen war, vielleicht doch noch einmal in eine andere Richtung verfolgen sollen.

Durchwachsen waren auch die Resultate bei „Odysseus“, der seine eigentlich geglückten Versuche mit Oud und Theorbe mittendrin plötzlich in Tango- und Swing-Arrangements kippen lässt, um diese nach wenigen Minuten wieder zu verabschieden. Dass Dirigent André de Ridder bei diesem Marathon am Pult bis zum Ende das Niveau halten konnte, ist als Leistung gleichwohl bemerkenswert.

Unter den starken Solisten fiel besonders die türkische Mezzosopranistin Ezgi Kutlu als Penelope auf, die mit dunkler Stimme unterstrich, dass tugendhaftes Ausharren auch Leid bedeutet. Kleine Abstriche waren hingegen bei den männlichen Solisten zu machen. Dominik Köninger ließ einen impulsiven Orpheus hören, der mitunter von seinen Leidenschaften so stark getrieben schien, dass er sich durch schnellere Passagen beinahe durchhechelte. Als Odysseus wirkte Günter Papendell manchmal unnötig angestrengt, und Roger Smeets durfte als zynischer Nero oft nur aggressiv bellen. Die melodische Eleganz der Musik Monteverdis drohte hinter solchen plakativen Rollenbildern gelegentlich zu verschwinden. Auch die durchgehend auf Deutsch gesungenen Texte konnten mit der rhythmischen Leichtigkeit der italienischen Originale nicht immer mithalten.

Umso erfreulicher, dass Sängerinnen wie die neu ins Ensemble hinzugekommene Mezzosopranistin Theresa Kronthaler in ihren Nebenrollen in „Orpheus“ oder „Poppea“ sensiblere Akzente setzte. Von dieser zarten Zurückhaltung hätte man sich ein wenig mehr gewünscht, „komisch“ muss man ja nicht immer nur mit dem Klamauk-Hammer sein.

Vom Publikum wurde die Großveranstaltung begeistert angenommen. Fast alle Gäste harrten bis zum Ende um 23 Uhr aus, bedachten die rund 200 Mitwirkenden, die dann die Bühne füllten, mit ausgiebigem Applaus. In den Pausen konnte man im und vor dem Haus Festtagsstimmung erleben, wenn Frauen und Männer in Abendgarderobe zu Bierbänken strömten, um in der Sonne einen Imbiss zu nehmen, den die Oper bereitgestellt hatte – andere hatten ihre eigene Brotdose mitgebracht.

Ein mutiger, wenn auch nicht in allen Teilen gelungener Start. Von der Bühne hatte der Bass Jens Larsen – der vorher als Seneca zu erleben gewesen war – seinen neuen Chef mit den Worten begrüßt, Kosky bringe einen „neuen Geist“ an die Komische Oper. Wie der sich im Einzelnen entfalten wird, ließ sich aus diesem Tripelpack noch nicht klar ersehen. Ein bisschen weniger Sex and Crime wäre jedenfalls nicht verkehrt.

■ Komische Oper Berlin; nächste Termine der Monteverdi-Trilogie am 3. Oktober und 4. November