Die Wahrheit: 88 Minuten Ackerkampf

Ein Fußballverein in Dunkeldeutschland trauert um einen Nazi. Hat das was mit Rechtsextremismus zu tun? Eine Platzbegehung beim Chemnitzer FC.

Das Vereinswappen des Chemnitzer Fußballclubs

CFC steht für Chlamydienschleuder Ferein Chemnitz Foto: dpa

Als es im vorigen Jahr in Chemnitz „keine Hetzjagden“ gab, wie der damalige Verfassungs­schutz­präsident Hans-Georg Maaßen feststellte, und rund 1.000 Nazis in der Innenstadt ihrem Bewegungsdrang nachga­ben, waren auch einige Fußball­begeisterte unter ­ihnen. Die Ultra-Vereinigung „Kaotic Chemnitz“ hatte auf ihrer Facebook-Seite „alle Chemnitz-Fans und Sympathisanten“ aufgefordert: „Lasst uns zusammen zeigen, wer in der Stadt das Sagen hat!“

Nun steht der sächsische Verein wieder in den Schlagzeilen: Vor dem Heimspiel des Chemnitzer FC (ein 4:4 gegen VSG Altglienicke, die Zuschauer hatten lange auf ein 8:8 gehofft) hielt der Verein eine Trauerfeier für einen kurz zuvor gefallenen Neonazi ab. Auf der Videoleinwand zeigte man das Bild des Verstorbenen, der die Vereinigung „Hoonara“ (Hooligans-Nazis-Rassisten) mitgegründet hatte. Die Fans ehrten ihn unter anderem mit einer Pyro-Show, einem Banner mit der Aufschrift „Ruhe in Frieden, Tommy“ und einer Schweigeminute Nach seinem Tor präsentierte der Schütze Daniel Frahn ein Shirt mit der Aufschrift „Support your local Hools“. Hat der Chemnitzer FC etwa ein Problem mit Rechtsradikalen?

Um das herauszufinden, treffen wir Platzwart Günther Schnabel. „Völliger Quatsch“, sagt der 18-Jährige und lädt uns auf eine Tour durchs „Stadion Chemnitz“ an der Gellertstraße ein. Zunächst fällt das große Hakenkreuz auf, das sich über dem Tor zum heiligen Rasen befindet. „Ein altindisches Glückssymbol, noch von damals vom Freundschaftsspiel gegen Mumbai City FC“, beruhigt Schnabel.

Hitlerjunge im Logo

Wir gehen hinein ins Stadion. Beiläufig sprechen wir Schnabel auf die größte Ultra-Gruppierung „Ultras Chemnitz 99“ an, deren Nachwuchsgruppe auf den Namen „NS-Boys“ hört. „Das ‚NS‘ steht ja aber nicht für ‚Nationalsozialismus‘, sondern für ‚New Society‘“, beschwichtigt Schnabel. Wir fragen nach dem Logo der NS-Boys, das einen Hitlerjungen mit dem Schriftzug „Good Night Left Side“ zeigt. Enge Kontakte pflegte die Gruppe mit der mittlerweile verbotenen Neonazi-Kameradschaft „Nationale Sozialisten Chemnitz“, wie sich im Verlauf des Prozesses gegen die NSU-Terroristen herausstellte. „Ach, ein paar Patrioten … Verzeihung, Idioten gibt’s doch in jedem Verein, n’wahr?“, meint Schnabel.

Wir erreichen den Wurststand. „Ich lad Sie ein“, sagt unser Guide und fischt ein paar Münzen aus seinem Springerstiefel. „Deutsches Bier und Rostbratwurst“, murmelt er. Als wir fragen, ob wir stattdessen eine Currywurst haben können, winkt Schnabel ab: „Sorry, rote Würste gibt’s bei uns nicht!“

Beim Essen blättert Schnabel im Clubmagazin Olé Olé. Den Titel findet er unangemessen, der ursprüngliche Vorschlag Der Stürmer gefiel ihm besser: „Das hätte besser zu Chemnitz gepasst, weil man hier einfach begeistert ist vom Offensivfußball! Man freut sich, wenn die Spieler so richtig Gas geben!“

Aber bleiben wir beim Sportlichen: Der Chemnitzer FC steht derzeit auf Platz eins der Regionalliga Nordost. Wie schätzt Schnabel die Aufstiegschancen ein? Er sieht einige Faktoren, an denen man arbeiten muss: „Die linke Seite ist sehr schwach besetzt“, seufzt er. „Auch unser Torwart bereitet mir Sorgen: Den rechten Arm hebt er schneller als sein Schatten, aber leider ist er auf dem rechten Auge blind. Und dann noch dieser Trainer! Einfach keine Führerpersönlichkeit. Der von Frankfurt, Adolf ‚Adi‘ Hütter, das wäre einer für uns!“

Niedergang des Vereins

Die Fans unterstützen die Spieler dennoch enthusiastisch. Die erfolgreiche Vergangenheit, die Zeit, bevor sich rechtsradikale Formationen wie „Hoonara“ etablierten und den Niedergang des Vereins einleiteten, vermisst Schnabel nicht: „Damals haben wir zwar sogar international gespielt, im Uefa-Pokal. Aber für Auswärtsspiele muss man halt ins Ausland fahren, das wollen die Fans heute gar nicht mehr.“

Zuletzt betreten wir das Grün. Der Rasen ist in schlechtem Zustand. Kein Geld für die Instandhaltung? „Nein“, verrät Schnabel: „Wir wollen hier gar keinen superintakten Rasen! Wir Chemnitzer Fans stehen auf einen ordentlichen Ackerkampf auf der eigenen Scholle!“

Beim Abschied wird Schnabel plötzlich hektisch. „So, jetzt muss ich Sie aber wirklich bitten“, sagt der Platzwart und schiebt uns gen Ausgang. Was hat er denn? „Wir erwarten eine Delegation des DFB.“ Der Deutsche Fußball-Bund wird gegen den Chemnitzer FC eine „ganz schlimme Strafe verhängen“, wie es aus Frankfurt heißt. Vor jedem Spiel wird künftig ein erfahrener Mediator, der in letzter Zeit öfter auf Geburtstagsfeiern für alte Kameraden auftritt, zur Befriedung die Vereinshymne singen. Und da schält sich auch schon ein Mann mit Gitarrenkoffer aus dem Qualm der Bengalos. Es ist Reinhold Beckmann.

Günther Schnabel aber wirkt trotz der massiven Strafe zufrieden: „Wie sagte schon der Reichs-trainer Sepp Herberger: Ein Spiel dauert 88 Minuten.“

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.