Georg Nüßlein kritisiert Umweltministerin: „Das legt die Republik lahm“

Der Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag lehnt den Entwurf des Klimaschutzgesetzes ab. Der geplante Umbau sei „brandgefährlich“.

Ein rauchender Kraftwerkschornstein

Regulierung oder Innovation? Über den richtigen Weg zu den Klimaschutzzielen wird heftig gestritten Foto: Marcel Kusch/dpa

taz: Herr Nüßlein, was stört Sie am Entwurf des Klimaschutzgesetzes?

Georg Nüßlein: Dass das ein planwirtschaftlicher Ansatz ist, mit dem – wie in der Volkswirtschaft der DDR – die Ziele auf Jahre heruntergebrochen werden. Dann werden sie trennscharf auf Ressorts verteilt, ohne jede Flexibilität. Zweitens ist der Vorschlag undemokratisch, denn am Schluss soll ein „Klimarat“ das Kommando über die Regierung bekommen.

Die Umweltministerin Svenja Schulze sagt, sie setze damit den Koalitionsvertrag um.

Im Unterschied zu Frau Schulze war ich an den Verhandlungen zum Koalitionsvertrag beteiligt. Wir haben immer darauf bestanden, dass das Klimaschutzgesetz ein Artikelgesetz wird, das konkrete Maßnahmen umsetzt. Was Frau Schulze vorlegt, steht so jedenfalls nicht im Vertrag.

Wie sollte die Regierung Ihrer Meinung nach die Klimaziele umsetzen?

Die Alternative ist, sofort Maßnahmen umzusetzen. Zuerst die Empfehlungen der Kohlekommission. Im zweiten Schritt die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung. Dann Maßnahmen für eine saubere Mobilität, etwa mit synthetischen Kraftstoffen und alternativen Antrieben. Es ist sinnvoller, das Machbare zu tun, als sich gegenseitig mit Zielvorgaben den Schwarzen Peter zuzuschieben. Dabei kommt kein effektiver Klimaschutz raus, wenn man sagt, die SPD-Ministerin hat das Ihre getan und die anderen können schauen, wie sie es vollziehen.

Aber Ihr Ansatz, globale Ziele mit technischem Fortschritt zu verbinden, hat nicht funktioniert. Seit 2009 sind die CO2-Emissionen in Deutschland praktisch nicht gesunken.

Georg Nüßlein ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Der CSU-Politiker aus Neu-Ulm ist für Gesundheits- und Umweltpolitik zuständig.

Es gibt nur diese Variante. Wir brauchen Innovationen, die muss man fördern. Aus Deutschland kann als Beitrag zum globalen Klimaschutz nur Innovation kommen, alles andere, was man hier zwanghaft und durch Verzicht umsetzt, wird am Weltklima nichts ändern. Wir brauchen Ideen, die uns die anderen nachmachen.

Eine solche Idee könnte ja Ministerin Schulzes Ansatz sein: Die Minister setzen ihre Sektorziele in Eigenverantwortung um.

Man kann das nicht in dieser Detailschärfe und mit null Flexibilität in einem Gesetz regeln. Das hat doch mit der Realität nichts zu tun. Wenn die Jahresziele damit einklagbar würden, legt man die Republik lahm, ohne den Klimaschutz voranzubringen.

Müsste man nicht etwas Neues versuchen, wo doch der alte Ansatz dazu geführt hat, dass wir das Klimaziel 2020 weit verfehlen?

Union-Vizechef Georg Nüßlein

„Die Mehrheit der Menschen ist für Klimaschutz. Aber wenn Sie anfangen, sie zu gängeln und zu überfordern, dann wird das Klima jedenfalls bei der Bevölkerung schnell umschlagen.“

Die sozialökologische Transformation der Marktwirtschaft wäre ein Systemwechsel und brandgefährlich. Sie stellen damit den Klimaschutz über alles und verhindern, dass wir in unseren politischen Erwägungen zum Beispiel soziale Ziele berücksichtigen. Ich denke dabei unter anderem an Mobilität und bezahlbare Wohnungen. Die Mehrheit der Menschen ist für Klimaschutz. Aber wenn Sie anfangen, sie zu gängeln und zu überfordern, dann wird das Klima jedenfalls bei der Bevölkerung schnell umschlagen. Davon profitiert die AfD, die sagt: Wenn euch das alles nicht gefällt, dann kommt zu uns!

Im Verkehr müssten über zehn Jahre die Emissionen um 40 Prozent sinken. Das wollen Sie über Innovation erreichen?

Das ist die einzige Chance in der Demokratie. Denn wenn Sie den Leuten die Mobilität nehmen, werden die sich wehren. Und dann stelle ich mich an die Seite derer, die sich wehren. Entweder wir lösen das technisch und erhalten die Mobilität oder wir werden an diesem Punkt scheitern.

Aber niemand redet davon, die Mobilität einzuschränken. Schulzes Gesetz sagt nur: Hier sind die Ziele, die wir gemeinsam beschlossen haben. Wie ihr sie erreicht, ist eure Sache.

Das ist ja das Perfide daran! Frau Schulze ist nicht die Superministerin, die den einen die Ziele vorschreibt, während die anderen sie erreichen müssen. So funktioniert Klimaschutz nicht, so wird die Rechnung nicht aufgehen. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich zusammensetzt und sich Gedanken macht, wie sie ihre Ziele gemeinsam erreichen kann. Und nicht, dass einer die Ziele vorschreibt und die anderen sie erreichen müssen.

Bisher war es ja genau andersherum. Die Regierung hat gesagt, wir wollen die Ziele erreichen, und dann war niemand verantwortlich und die Ziele wurden nicht erreicht.

Die Regierung ist in der Summe verantwortlich.

In den letzten zehn Jahren offenbar nicht.

Die Regierung muss sich überlegen, wie sie es besser macht. Aber das ist eine Frage der Geschäftsordnung im Bundeskabinett, dafür brauchen wir kein Gesetz. Viele Maßnahmen müssen sich erst mal entfalten. Der Ausstieg aus der Kernenergie und das Bevölkerungswachstum der letzten Jahre führen genauso wie die wirtschaftlich gute Konjunktur nicht zu weniger, sondern zu mehr CO2-Ausstoß. Das macht die Aufgabe nicht leichter.

Sie sagen, Svenja Schulze legt die Ziele fest. Aber sie stehen im Koalitionsvertrag.

Da sind wir uns uneinig. Jahres- und Ressortziele stehen da jedenfalls nicht. Die Regierung in ihrer Gänze muss verantwortlich sein. Wir machen nichts, was am Ende in einem demokratischen Desaster endet oder vor Gericht oder in Umständen, die uns in ein schwieriges demokratisches Fahrwasser bringen.

Wäre es nicht ehrlicher zu sagen: Wir erreichen die Klimaziele nicht und wollen sie auch nicht erreichen?

Nein, das ist falsch. Aber nur dadurch, dass man irgendwelche Ziele fein ziseliert in ein Gesetz schreibt, erreichen wir keine Ziele. Klimaschutz heißt, Maßnahmen umzusetzen. Je früher wir anfangen, desto besser. Je länger wir streiten, wer die Ziele vorgibt und wer spuren muss, desto länger dauert es.

Aber wer verzögert, sind die Ministerien für Verkehr, Energie, Landwirtschaft und Bauen. Sie sollten ihre Ideen schon im Dezember 2018 liefern.

Die Prozesse laufen. Die Landwirtschaft zum Beispiel hat schon ziemlich konkrete Maßnahmen formuliert. Und der Pfad zum Ausstieg aus der Kohleverstromung ist klar abgesteckt.

Mit Verspätung. Aber da, wo es wehtut, bei Verkehr und Gebäuden, kommt noch nichts.

Es ist klar: Alle stehen in der Pflicht. Und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass auch im Verkehrs- und Gebäudebereich die Herausforderung Klimaschutz sehr ernst genommen wird.

Alle vier Ministerien, die jetzt durch den Vorstoß der SPD-Ministerin unter Druck sind, werden von der Union geführt. Gefährdet der Streit die Koalition?

Das weiß ich nicht. Die SPD baut derzeit zu viele Sollbruchstellen in die Koalition ein. Das ist bedauerlich, aber ich bin gespannt, ob sie das am Ende alles zusammenhalten kann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die SPD das Klimagesetz zum Anlass nimmt, die Koalition zu verlassen. Es leistet ja keinen Beitrag zum Klimaschutz.

Fällt die letzte Entscheidung über das Gesetz die Bundeskanzlerin?

Auch für dieses Gesetz gilt der normale Gang der Gesetzgebung: Und da hat am Ende immer das Parlament das letzte Wort.

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