Voll auf Neurotransmittern

Optimales Drogenlevel: Die Autorin Rebekka Kricheldorf hat Wissenschaft­ler*innen bei der Arbeit beobachtet. Entstanden ist daraus das anregende, aber auch anstrengende Theaterstück „Das Haus auf Monkey Island“, das nun in Oldenburg uraufgeführt wurde

Kricheldorf macht die Wissenschaft­ler*innen zu Laborobjekten ihrer eigenen Theorien – stets auf der Suche nach dem richtigen Kick fürs Belohnungssystem im Hirn Foto: Stephan Walzl

Von Jens Fischer

Nun ist er deutlich über 50 Jahre alt, der Soziologe Hannes: Er hat zwar noch so eine 68er-Mähne, will sich aber nicht länger als verwegener Abenteurer der sexuellen Befreiung und antikapitalistischen Aufklärung feiern. „Ich verlasse alle zwei Jahre meine jeweilige Freundin, weil ich mich neu verliebe. Und zwar in exakt dasselbe Modell, nur ein paar Jahre jünger“, resümiert er selbstkritisch. Hannes fragt, wie sein Leben gelaufen wäre, wenn er selbst seine Lebensabschnittsgefährtinnen ausgewählt hätte und nicht das Belohnungszentrum seines Gehirns.

Mit diesem Stichwort ist er mitten im Thema der jüngsten Uraufführung eines Rebekka-Kricheldorf-Stücks. In „Das Haus auf Monkey Island“ hat es Hannes verschlagen, eine Hightech-Villa auf einer philippinischen Insel. Dort sollen Werbefuzzi Andre, der ständig chaotisiert, Neurowissenschaftlerin Ann, die ständig strukturiert, Psychologin Kristina, die ständig moralisiert, und eben Hannes, der ständig ironisiert, eine Marketing-Strategie entwickeln für In-vitro-Fleisch – das zweite Thema des Abends.

Glückshormon-Junkies

Es ist ja längst möglich, omnipotente Stammzellen von Tieren so zu programmieren, dass sie Muskelgewebe, also Fleisch produzieren. Bald könne man diese Wundermanufakturen „in Teebeuteln kaufen und sich sein Schnitzel zu Hause selbst züchten. Im Meat-Maker! Froschburger gefällig? Krokodil-Leguan-Steak? Alles machbar“, behauptet Kristina. Schluss mit Tierfolter, Welthunger, Klimawandel? „Die Zukunft gehört der Postanimalischen Bio-Ökonomie“, verkündet das Bühnenquartett beim Brainstorming-Meeting.

Wobei als Zuschauer zu beachten ist: Das Verhalten der Figuren wird nicht psychologisch entwickelt, sondern neurophysiologisch erklärt. Sie sind Laborobjekte ihrer eigenen Theorien. Mit steriler Klarheit inszeniert Matthias Kaschig das am Staatstheater Oldenburg in einem abstrakt weißen Raum. Helen Wendt, Caroline Nagel, Thomas Birklein und Johannes Schumacher geben klischeelustige Typen, die die Künstlichkeit des Mixes aus Wissenschafts- und PR-Sprech betonen sowie mit hohem, für die Verständlichkeit häufig zu hohem Tempo den Schlagabtausch der Argumente abarbeiten.

Zu erleben ist dabei, wie sich Geistesarbeiter aus unterschiedlichen Bereichen in einer abgeschotteten Idylle dezent näherkommen, während sie miteinander arbeiten. Kricheldorf kennt das. Zur Vorbereitung des Stücks war sie vier Monate ins Fellowship-Programm vom Hanse-­Wissenschaftskolleg (HWK) geladen, eine Stiftung der Länder Niedersachsen und Bremen, die immer wieder neu 20 Fachleute aus den Gebieten Neurobiologie, Meeresforschung, regenerative Energien und Gesellschaftswissenschaften für einige Monate nach Delmenhorst holt, wo sie zusammen mit Künstlern leben und projektorien­tiert arbeiten. „Selten miteinander“, so hat es die Autorin erlebt, „im bunt zusammengewürfelten Haufen geht jeder seiner Forschung nach, der Austausch über Weltbilder und Seinsweisen findet eher abends privat bei Rotwein statt“.

Sie selbst habe vor allem in der HWK-Bibliothek recherchiert und viel gelesen über das Belohnungssystem, um in ihrem populärwissenschaftlichen Drama-Seminar auch die Perversion des Neuromarketings darstellen zu können. Nicht faktische Vorteile eines Produktes sollen dabei beworben, sondern Gehirnstrukturen potenzieller Kunden manipuliert werden, auf dass Glückshormon­ausschüttungen sie zu Junkies dieses Produktes machen.

Daraus entwickelt die Autorin den Bühnendiskurs – als Abgesang auf das Vernunftwesen Mensch. Gelte doch für ihn „in dubio pro Lustprinzip“ – jeder sei ein unverbesserlicher, sich zu Tode amüsierender Hedonist, behauptet Hannes. Auf die schnellstmögliche Befriedigung werde Handeln ausgerichtet. Um den „körpereigenen Drogenhaushalt auf optimalem Level zu halten“, erklärt Kristina, „grapscht der Mensch wie ein Kind nach dem Nächstbesten, das am meisten Spaß macht. Alles, was dieses berechenbare, gierige Vieh will, ist, an guten Stoff zu kommen. Es wird Sportler, weil’s ans Dopamin will. Es wird Mutter, weil’s ans Oxytocin will“.

Das dafür verantwortliche Belohnungssystem als Ergebnis eines Lernprozesses ergebe evolutionär Sinn, weil so Unterscheidungen möglich würden, welche Verhaltensweisen gut für uns sind, weil sie das Überleben sichern, und daher per Wohlgefühl belohnt werden, erklärt Dorothe Poggel, Leiterin des Bereichs „Brain“ am HWK. „Ohne Belohnungszentrum käme ich nicht auf die Idee, zu essen oder zu trinken, vor einem Säbelzahntiger wegzulaufen, mir einen Partner für die Fortpflanzung zu suchen“ – also etwas für die Arterhaltung zu tun.

Problem: So animiert uns das Hirn auch, immer und immer wieder das zu tun, was sich gut anfühlt, sodass die Stimuli dazu schnell zu einer Sucht nach diesen Reizen führen können. Kricheldorf weiß, wovon sie da schreibt: „Ich habe vor zwei Jahren mühsam meine Nikotinsucht überwunden.“ Was sorgt heute für einen Kick? „Etwa eine gute Formulierung beim Schreiben gefunden zu haben oder beim Lesen.“

Bei Hannes sind es hingegen Mädels vom Typ „blond, etwas fuchsiges Gesicht, Sanduhr-Figur, Apfelbrüste“. Sie flimmern ihm ständig auf dem TV-Schirm seines Zimmers entgegen. Ann wurde von einer Sorte Chips getriggert, die sie esssüchtig werden ließ. Nun liegen die Objekte der Begierde in der Küche. Andre brauchte einst Kokain zur Selbst­optimierung, jetzt findet er es portionsweise verpackt auf dem Kopfkissen. Das Haus auf Monkey Island verhält sich übergriffig, da es online abgelagertes Wissen über die Sehnsüchte der Bewohner in Beglückungstaten umsetzt. So erlebt Kristina, wie das Bad ihr Lieblingsgedicht von Friedrich Schiller rezitiert. Smarthome-Utopie oder -Dystopie? Auch diese Debatte wird im Stück pointiert geführt.

Unverkrampfter Humor

Kricheldorf kommt aber dank ihres ausgebreiteten Hirnforschungswissens mit den Figuren immer wieder auf die Mensch­maschine zurück, eine Idee, die sie als „sehr plausibel“ bei ihren HWK-Studien kennengelernt hat, aber unruhig werden ließ. Wo bleibt der freie Wille? Deswegen legt Kristina Widerspruch ein: „Ich möchte nicht hören, dass alle meine Ängste, Wünsche, und Handlungsmotive nur die innere Neurotransmitter-Fabrik am Laufen halten zum Überleben meiner Gattung. Ich möchte irgendeine Transzendenz, irgendwas Nichtfunktionales, irgendwas, ja, Heiliges in meinem Leben wissen.“

All das und noch viel mehr mit erkenntnishell absurden Zuspitzungen und unverkrampftem Humor angerissen zu haben, macht den Abend zu einem anregenden, durch das Gesprächsstakkato aber auch zu einem anstrengenden. Gerade weil die Figuren in keine äußere Handlung eingewoben sind. Nur ein paar Ängste vor der totalen Überwachung und einem Angriff der Killeraffen sorgen mal für gruselige Abschweifungen aus den artifiziellen Wortgefechtsszenen. Kricheldorf wünscht sich daher eine ultrarealistisch vitale Zweitaufführung des Stücks – als Belohnung für ihren Aufklärungseifer.

Mi, 6. 3., 20 Uhr, Oldenburgisches Staatstheater. Weitere Aufführungen: 8. / 12. /.15. / 21. 3., 3. / 12. / 19. 4.