Fernsehdoku über „Ostfrauen“: Selbstbewusstsein als Lebensgefühl

Die Ostfrau – Mythos und Projektion zugleich. Eine dreiteilige Dokumentation begibt sich auf die Suche nach Wahrheit und Fiktion.

Zwei Frauen in schwarz/weiß

Emanzipation war für die meisten Frauen in der DDR kein Thema, weil sie emanzipiert lebten Foto: ARD

Käte Niederkirchner zieht die Augenbrauen hoch und sagt: „Emanze, das klang so, so … so unweiblich, so eine wollte ich nie sein.“ Niederkirchner ist 75, Kinderärztin und eben doch eine Emanze. Nimmt man der Vokabel den abwertenden und despektierlichen Charakter, bleibt ein weibliches Streben nach Freiheit, Unabhängigkeit und Glück zurück, das insbesondere Frauen aus der ehemaligen DDR nachgesagt wird. Niederkirchner ist Ostfrau und eine von zahlreichen Protagonistinnen in der dreiteiligen Doku „Ostfrauen“, unter anderem von den Filmemachern Lutz Pehnert und Antje Schneider.

Niederkirchner beschreibt mit ihrem „Emanzen“-Satz das Phänomen Ostfrau recht treffend: Emanzipation war für die meisten kein Thema, weil sie emanzipiert lebten: Sie hatten einen Beruf, verdienten eigenes Geld, bekamen Kinder, wann sie es wollten, und ließen sich scheiden, wenn sie mit dem Mann nicht mehr glücklich waren. Denn auf das Glück, das zeigt der Film deutlich, warten Ostfrauen nicht, sie nehmen es sich einfach.

Das konnten sie, weil ihre finanzielle Unabhängigkeit Beziehungen und Ehen von ökonomischen Abhängigkeiten und Zwängen befreite. Frauen und Männer fanden aus Liebe zusammen und blieben Paare, solange die Liebe brannte. Mit einer Scheidungsquote von fast 40 Prozent war die DDR Scheidungsweltmeisterin, 70 Prozent der Trennungen gingen von Frauen aus.

Frauen zahlen die Scheidungen

„Ich wollte niemals von einem Mann abhängig sein“, sagt Regine Sylvester im Film. Die Journalistin, Jahrgang 1946, eine Tochter, hatte zahlreiche Beziehungen und ließ sich scheiden, als das mit der Liebe nicht mehr so klappte. Weil sie mehr verdiente als der Mann, musste sie die Scheidung bezahlen: 70 Ostmark. Im Film gibt es einen schönen Satz aus dem Off: „Selbstbewusstsein ist das neue Lebensgefühl.“

Das Dasein von Frauen im Westen sah vielfach anders aus: Die Ehe diente in erster Linie als soziale Absicherung, kamen Kinder, blieben die Mütter zu Hause und die Männer füllten die Rolle des Versorgers aus. Das kam für Ostfrauen nicht in Frage. Und wenn doch, so wie im Fall von Noreen Klose-Hänsch, dann „eher so im viktoranischen Stil“, sagt die heutige Vizechefin im „Haus der Geschichte“ in Lutherstadt-Wittenberg im Film. Sie wollte ein „offenes Haus mit einem Salon und vielen Freunden“, so was. In der DDR ein Ding der Unmöglichkeit.

„Ostfrauen - Wege zum Glück“. Fr., 8.3., ab 20.15 Uhr und Di., 12.3., 21 Uhr, rbb und MDR.

Nach der Wende fand die heute 53-Jährige einen Mann, der sich eine Hausfrau wünschte, ihr Traum schien in Erfüllung zu gehen. Doch der Mann beanspruchte seine Frau ganz für sich allein, nach fünf Jahren trennte sich Klose-Hänsch. „Schon die Art, wie er in den Raum kam“, erzählt sie, „da sind meine Freundinnen von alleine nach Hause gegangen.“

Das Selbstbewusstsein der Frauen brachte die Männer in die Bredouille: Entweder sie passten sich den Frauen an, genügten deren Ansprüchen – oder sie hatten nichts zu melden. Einen Mann, der nicht im Haushalt hilft, sich nicht um die Kinder kümmert und nur das macht, was er für richtig hält, den „hätte ich auf keinen Fall geheiratet“, sagt Gunda Röstel, Geschäftsführerin der Stadtentwässerung Dresden und von1996 bis März 2000 Grünen-Chefin. Manchmal mussten die Frauen die Männer „aber auch erziehen“, erzählt die Lehrerin Rosemarie Sochor: „Ich habe zu meinen Mann gesagt: Lass uns das zusammen machen, du saugst, ich putze.“

Frauen auf dem Arbeitsmarkt

Die ungebrochene Erwerbsneigung der Ostfrauen darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass deren Ziel nicht Emanzipation und eine neue Selbstverständlichkeit weiblicher Lebensentwürfe war. In erster Linie sollten Frauen dem Arbeitsmarkt in der DDR zu Verfügung stehen. Den größten Anteil der Hausarbeit indes haben dennoch die Frauen getragen. Superweiber wollten Ostfrauen nicht sein, heißt es im Film. Doch sie haben die Bundesrepublik stärker verändert, als es ihnen selbst bewusst ist. Mehr Westfrauen, mit Kindern und ohne Kinder, gehen arbeiten, die Kita-Frage ist Chefinnensache geworden, Männer nehmen Vätermonate.

Am 8. März veröffentlichen wir auf taz.de nur Beiträge von Frauen* und nicht-binären Menschen, und auch nur diese kommen darin vor: als Expert*innen, als Protagonist*innen, auf den Fotos. Trotzdem beschäftigen wir uns nicht primär mit dem, was im allgemeinen Sprachgebrauch gern als „Frauenthemen“ bezeichnet wird – sondern mit dem Tagesgeschehen.

Fragt man den Filmemacher Lutz Pehnert, wo die stärkste Annäherung von Ost- und Westfrauen stattgefunden hat, findet er eine nüchterne Antwort: „In der Politik. In dem Fakt, dass sie dort weniger geworden sind.“ Der Frauenanteil allein im deutschen Parlament ist mit der Bundestagswahl 2017 auf unter 31 Prozent gesunken. Das sind so wenig Frauen wie zuletzt vor zwanzig Jahren.

Und wie stellen sich Ostfrauen nun den idealen Mann vor? Regine Sylvester sagt: „Fürsorglich, witzig, sexy.“ Wer fürsorglich ist, kümmert sich um die Familie, Witz verspricht Intelligenz, sexy steht für Ich-sorge-für-meinen-Körper. Sylvester sagt: „Ich finde, die drei Dinge sind nicht so schwer.“ Da hat sie Recht.

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