Freispruch für Lebensmittelretter: Recycling, kein Verbrechen

Beim Amtsgericht Hannover werden zwei Lebensmittelretter freigesprochen. Rechtlich bleibt das „Containern“ eine Grauzone.

Tobias K. legt Lebensmittel auf einen Klapptisch, der vor dem Amtsgericht in Hannover aufgebaut ist.

Das schmeckt noch: Tobias K. präsentiert Lebensmittel aus Müllcontainern Foto: Christian Wyrwa

HANNOVER taz | Tobias K. hat es schon wieder getan. Er war Containern, das heißt, er hat sich Lebensmittel aus einer Mülltonne geklaubt. Seine „Beute“, Popcorn, Kräuterbaguettes, eine Tüte Orangen – legt Tobias K. vor dem Amtsgericht Hannover auf einen Tisch. Allesamt sind die Lebensmittel, trotz abgelaufenem Haltbarkeitsdatum oder kleiner Macken, noch genießbar. Vergangenes Jahr wurden sie beim Containern erwischt und wegen Diebstahls angeklagt. Gleich beginnt gegen ihn und seinen Bruder Björn K. im Gerichtsgebäude der Prozess. Das Urteil wird heißen: Freispruch.

Ende Mai sollen Tobias und Björn K. Lebensmittel aus den Müllcontainern einer Edeka-Filiale in Laatzen, bei Hannover, geklaut haben. Der Filialleiter und sein Sicherheitsdienst wollen das per Videoüberwachung beobachtet und die beiden gestellt haben. Den Wert der geklauten Lebensmittel schätzte der Filialleiter auf über 50 Euro.

Unklar ist, wer in diesem Fall Strafanzeige erstatten durfte: Der Filialleiter, Edeka, oder gar Refood, die Lebensmittelentsorgungsfirma, der die Container gehören. Auf diese Lücke machte der Verteidiger Sven Adam erst während des Gerichtsprozesses aufmerksam. Kurz darauf zog der Filialleiter den Strafantrag zurück.

Tobias und Björn K. hatten – woher ist nicht bekannt – einen Schlüssel für die Container. Sie mussten also keine Schlösser aufbrechen. In vielen anderen Fällen ist, neben dem umstrittenen Diebstahl, auch Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung im Spiel – weshalb Containern immer noch als Straftat gilt.

Gegen das moralische Empfinden, dass es nicht falsch sei, abgelaufene Lebensmittel zu verwenden, stünden Recht und Gesetz, sagt die Richterin. Eigentümer*in und Wert der Waren zu ermitteln, sei oft schwierig. „Es liegt auf der Hand, dass ich hier nicht den Verkaufspreis angeben kann“, sagt sie. Sie spricht von einem juristischen Dilemma.

Sven Adam, Strafverteidiger

„Dass wir so etwas strafrechtlich verfolgen, ist albern“

„Dass wir so etwas strafrechtlich verfolgen, ist albern“, sagt Adam. Viele Händler*innen würden solche Fälle – aus Publicity- oder ethischen Gründen, nicht mehr anzeigen. Trotzdem: Erst kürzlich hatte ein Gericht im bayerischen Fürstenfeldbruck zwei Frauen eine Geldstrafe von 225 Euro und jeweils acht Sozialstunden auferlegt.

Die Geschwister K. containern nicht aus persönlicher Not. „Das ist unser Protest gegen Lebensmittelverschwendung“, sagt Tobias K.. „Es braucht ein Wegwerf-Verbot“, sagt auch der Verteidiger Adam.

Dieser Auffassung ist auch die „Grüne Jugend“. „Containern ist kein Verbrechen“, steht auf einem Transparent, mit dem deren Mitglieder gestern vor dem Amtsgericht demonstriert haben. „Während andernorts Menschen Hunger leiden, werden in Deutschland jährlich tonnenweise an noch verwertbaren Lebensmitteln vernichtet“, sagt eine Sprecherin. Die Grüne Jugend fordere die Landesregierung auf, eine Bundesratsinitiative zu initiieren, die die Rettung von Lebensmitteln endlich entkriminalisiert.

Einen entsprechenden Antrag hat die Niedersächsische Grünen-Fraktion bereits Ende Februar im Landtag vorgestellt. Darin fordert die Fraktion die Einführung einer Bagatellgrenze, durch die das Containern entkriminalisiert würde. „Wer es in den Mülleimer geworfen hat, der hat das Eigentum daran aufgegeben“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Miriam Staudte, als sie den Antrag vorstellte.

Grüne fordern Entkriminalisierung

Laut Staudte werden in Deutschland jährlich 1,8 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeschmissen. Für Niedersachsen bedeute das, dass 70.000 Hektar Land letztlich umsonst bewirtschaftet würden.

Ihre Fraktion fordert deshalb ein Verbot für den Handel, Lebensmittel, die noch zum Verzehr geeignet sind, wegzuwerfen. Stattdessen sollten die Händler*innen abgelaufene Lebensmittel an interessierte Personenkreise oder gemeinnützige Organisationen abgeben.

Als Vorbild nennt sie ein französisches Gesetz: Seit drei Jahren sind demnach Supermärkte ab einer gewissen Größe verpflichtet, Lebensmittel zu spenden, statt sie wegzuwerfen. Ansonsten droht eine Geldstrafe.

Containern zu entkriminalisieren würde es Menschen erleichtern, weggeworfene Lebensmittel zu verwerten. Wie eben auch Tobias K. und seinem Bruder, die sich aber ohnehin nicht von der unklaren Rechtslage irritieren lassen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.