Malocher und alte Kämpfer gegen das Pack

Die Besserwisserei der neuen Biogeneration ist fehl am Platz : In den Gartenkolonien kommen Menschen zusammen, die selten zusammenkommen

Bis heute pachtet vor allem das traditionelle Arbeitermilieu einen Garten, auch wenn das Bewusstsein für die „Klasse an sich“ und „für sich“ nachgelassen hat

Von Andreas Speit

Die ersten Knospen im Beet sind gesprossen, die ersten Bäume beschnitten, die ersten Sträucher gestutzt. Wenn in wenigen Tagen die Gartensaison beginnt, wird ein Thema wieder auf der Tagesordnung stehen: Junge Familien wollen eine Gartenparzelle pachten.

Im Freundes- und Bekanntenkreis ist der Schrebergarten schon seit Längeren ein Thema. Jene, die auf einer der langen Warteliste stehen, reden von ihren Gestaltungsideen, jene, die eine Pacht haben, von ihren Gestaltungsgrenzen. Viel geht da im Gespräch hin und her, und schnell wird dann auch über „die Alten“ mit ihren „ordentlichen Gärten“, den gepflegten Beeten und akkuraten Hecken geschimpft.

Altpächter gegen Neupächter, alt gegen jung, diese Schablonen sind schnell zur Hand. Streitereien um Gärten, die angeblich zu „wild“ waren, werden gern herangezogen. Doch ein Kleingartenverein ist nicht bloß in biologischer Hinsicht ein Biotop, er ist es auch in menschlicher: Hier begegnen sich Menschen, die sonst wohl nicht aufein­andertreffen. Wo sonst kommt der taz-Abonnent mit dem Bild-Leser zusammen? Muss sich über den Gartenzaum über zu weit hängende Sträucher einigen, sich bei Arbeitseinsätzen Vereins­tratsch anhören und bei Festen über einige Anzüglichkeiten und Vorurteile hinweghören?

Vielleicht dämmert einem da aber auch, dass es viele Parallelwelten gibt – in einer lebt man selbst.

Zum Beispiel die Ruhezeiten: Die Mittagspause unter der Woche und das Arbeitsverbot für laute Geräte am Sonntag führen oft zu einer Kritik am Vereinsvorstand. Wie soll man denn, wenn man unter der Woche berufstätig ist, den Garten so pflegen wie der Rentner nebenan, der nicht bloß am Samstag auf der Parzelle Hecken schneiden oder Rasen mähen kann? Wer einen Garten hat, weiß, wie nervig es sein kann, wenn der Regen endlich eine Pause macht, aber keine Maschine benutzt werden darf.

Andererseits mögen die alteingesessenen Gartenfreunde – nach einer Studie der Hamburger Behörde für Umwelt und Energie im Schnitt 55,4 Prozent männlich und 44,6 Prozent weiblich – vielleicht aber auch auf diese Ruhezeiten pochen, nicht „weil das schon immer so war“, sondern weil sie keine flexiblen Arbeitszeiten haben, schwer körperlich tätig sind, trist jobben oder im harten Schichtdienst arbeiten. Was anderen als Spießigkeit erscheint, kann auch Selbstschutz zur Erholung sein.

Der Garten ist für viele Pächter nicht bloß ein Garten. Er ist Refugium. Jede freie Minute verbringen sie auf ihrem kleinen Grundstück in der Kolonie. Diese Hingabe, die gern mit dem Spruch „Ein Garten ist viel Arbeit“ einhergeht, mag man belächeln. Die kleinen Tipps und handfesten Hilfen beim Stutzen der Sträucher, Reparieren der Regentonnen oder Sanieren der Gartenlaube werden allerdings doch gern angenommen. „Die Alten“ wissen es oft einfach besser, und sie packen gleich mit an. Ein Bier als Dankeschön wird dann gern genommen. Dass der neue Nachbar selbst Wein trinkt, daran muss man sich noch gewöhnen. Ohne diese Vereinsmitglieder, die fast immer in der Gartenkolonie sind, sich stets und ständig kümmern, würde nicht bloß das Vereinsleben darnieder liegen.

Schon bei der Suche nach einem Garten waren die Erfahrungen sehr verschieden. Der eine Vereinsvorstand wollte gleich den Personalausweis sehen, da man wohl zu wenig deutsch aussehe, der nächste führte gleich durch die Anlage und redete den Interessenten mit Du an.

Der Namensgeber der Schrebergärten, der Leipziger Orthopäde Daniel Gottlob Moritz Schreber, war weniger an wohlgeformten Kohlköpfen interessiert als an „neuen Menschen“. Sein Credo: „Gerader Rücken – gerader Geist“. Erfunden hat er die Kleingärten aber nicht, es war eher eine Bewegung hin zur Natur, in der sich rechtskonservative Motivationen ebenso fanden wie linkssoziale Utopien. Groß über Politik wird aber zwischen den Lauben nicht gesprochen. „Leben und leben lassen“ ist das Motto.

Die ersten Gärten wurden neben den frühen Fabriken angelegt. Sie sollten der Lebensmittelversorgung der Familien dienen und dafür sorgen, dass Arbeiterkinder Natur erleben konnten. Bis heute legen Regeln das Verhältnis der einzuhaltenden Nutzfläche fest. Das Anpflanzverhältnis von Gemüse oder Blumen wird aber längst nicht mehr so genau eingehalten.

Bis heute pachtet vor allem das traditionelle Arbeitermilieu einen Garten, auch wenn das Bewusstsein für die „Klasse an sich“ und „für sich“ nachgelassen hat. Eine Studie der Hamburger Umweltbehörde aus dem Jahr 2015 zeigt aber, dass 72,8 Prozent der Pächter eine Berufsausbildung und 34,5 ein abgeschlossenes Hochschulstudium vorweisen können. Der Anteil der Gartenpächter mit Abitur ist allerdings gestiegen: von 7,2 Prozent im Jahr 2003 auf 44,6 Prozent im Jahr 2015.

Reich sind die Gartenpächter jedenfalls nicht: Die Studie ergab, dass 30,6 Prozent ein Haushaltseinkommen von 1.000 bis 2.000 Euro haben, 26,4 Prozent ein Einkommen von 2.000 bis 3.000 Euro. Nur 21,5 Prozent weisen ein Einkommen von bis zu 4.000 Euro auf und 11,6 Prozent von über 4.000 Euro.

Der Garten ist so auch für viele ein Luxus. Eine Pacht mit Vereinsmitgliedschaft plus Wasser, Strom und Versicherung kann bei 300 Euro liegen. Nicht für alle eine kleine Summe. Und so erzählen beim Erntedankfest nur wenige von langen Auslandsurlauben oder kurzen Städtetrips. Die meisten verbringen den Sommerurlaub auf ihren 320 Quadratmeter Garten. Ist doch klar, dass dann alles schön sein soll.

Und zwischen einem verwilderten Garten und einer ungepflegten Parzelle besteht schon ein Unterschied. Wer zwei Jahre in Folge während der Gartensaison im Fernurlaub war, sollte sich nicht über einen Vorstand beschweren, der das Unkraut kritisiert, das zum Nachbarn rüberwuchert.

An den Holzbänken der Gartenvereine sitzen längst Menschen unterschiedlichsten Glaubens und sexueller Orientierung. Und auch wenn in einigen Gartenkolonien die Reichsfahne weht, so sitzen in anderen alte Kämpfer, die gegen das „braune Pack“ vorgegangen sind, und sagen: „Ach Junge, darüber redet man doch nicht viel.“