Gegen europäische Kleingeisterei

Was bedeutet ein „harter“ Brexit für die Wirtschaft? Manche Firmen horten englische Waren, andere fürchten Bürokratie. In der Politik erwägt man gerade wieder Aufschub

Er demons-triert in London für den Verbleib in der EU Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

„Der Brexit fühlt sich an wie eine Scheidung“

Wir hoffen, dass der harte Brexit nicht kommt. Das wäre das schlechteste Ergebnis. Das würde eine harte Grenze bedeuten und Grenzkontrollen. Den English Shop gibt es seit 26 Jahren, und wir haben auch früher, vor den offenen Grenzen, aus Großbritannien importiert. Aber das war ein kleineres Volumen. Mittlerweile importieren wir viel mehr. Und nicht nur wir: Der gesamte Warenverkehr über die Grenze ist größer, das kann man nicht vergleichen. Eine harte Grenze könnte alle Abläufe durcheinanderbringen. Wenn man jetzt Bier importiert, muss man ein Begleitschreiben dazulegen. Müssten wir das für jedes Produkt machen, auch für Schokoriegel und Chips, wäre das zwar möglich, es wäre aber mehr Arbeit. Und was uns wirklich Sorgen macht, ist die Zeit, die es dauern würde, bis die Sachen über die Grenze kommen. Unser Lkw könnte Stunden, Tage oder sogar noch länger aufgehalten werden, bis da endlich was kommt.

Auf der persönlichen Ebene macht uns Sorgen, was mit unseren britischen Mitarbeitern ist. In der EU darf jeder wohnen und arbeiten, wo sein Herz ist. Und wir haben britische Kollegen mit britischem Pass, deren Herz in Köln ist. Wir würden die gerne hierbehalten, weil sie uns natürlich auch ans Herz gewachsen sind. Viele unserer Kollegen haben jetzt die doppelte Staatsbürgerschaft beantragt, bei manchen ist es auch schon durch. Eine hat ganz stolz ihren deutschen Ausweis gezeigt und war da total erleichtert drüber. Es ist schade, dass man das in der EU überhaupt machen muss. Eigentlich sollten wir alle eine Familie sein.

Der Brexit fühlt sich an wie eine Scheidung. Wir hoffen, dass man im Guten auseinandergeht oder vielleicht gar nicht: Vielleicht können wir uns noch retten, durch ein zweites Referendum oder Neuwahlen. Man weiß ja auch nicht, was man machen soll. Niemand weiß, was kommt. Unser Lager ist voll, unsere Mitarbeiter sind sicher – mehr können wir nicht tun. Nur abwarten. Es ist eine sehr frustrierende Situation. Aber das ist die Realität, die uns eingebrockt wurde. Protokoll: Anett Selle

Anna-Maria Böhm ist Mitarbeiterin und Sprecherin des English Shop Köln.

„Europa verliert“

Es ist noch möglich, dass es zu einer Einigung kommt. Aber klar, die Gefahr eines harten Brexits ist da. Wie schwer ein ungeregelter Brexit die Wirtschaft treffen wird, ist kaum abzuschätzen. In Großbritannien hat sich die Wirtschaftsentwicklung bereits verlangsamt. Und sicherlich wird ein harter Brexit einen zusätzlichen Schock bringen. Der Handel wäre unterbrochen, die Unsicherheit dürfte noch größer werden. Verhandlungen mit der EU müssen trotzdem weitergehen. Ich befürchte gegenseitige Schuldzuweisungen. Das dürfte die Stimmung noch mehr trüben.

Deutsche Unternehmen haben sich auf einen harten Brexit zwar vorbereitet und Lager aufgebaut, um Lieferengpässe zu überbrücken. Die Frage ist allerdings: Kann man sich überhaupt ausreichend vorbereiten? Der Lageraufbau reicht für ein paar Wochen. Danach wird es schwierig.

Die Briten haben politisch versagt, die EU hat aber auch zu diesem ­Malheur beigetragen. Sie hat den gewaltigen Fehler begangen, ein Abkommen für die Übergangszeit zu schließen, aber nicht genau so über die langfristigen Beziehungen zu verhandeln. Das ist ein Grund, warum das britische Parlament dem Abkommen nicht zugestimmt hat. Das ausgehandelte Abkommen enthält keine rechtliche Sicherheit für die Zeit nach der Übergangsfrist.

Verlierer in Deutschland wird die Automobilbranche sein. Sie ist stark abhängig vom britischen Markt. Im deutschen Finanzsektor dürfte es Gewinner geben. Eine Verlagerung der Aktivitäten von London nach Frankfurt gibt es bereits. Wobei: Ein globaler Finanzmarkt wie London bringt auch kleineren Finanzmarktplätzen in der Nähe Vorteile. Frankfurt war vorher kein global führender Finanzplatz und wird es auch nicht werden. Wenn London nun an Status verliert, werden Geschäfte nach New York oder Hongkong verlagert. Europa verliert.

Ein weiteres Problem: Deutsche Banken könnten vom Brexit profitieren, deutsche Kunden aber nicht. Denn fällt die Konkurrenz weg, droht eine Monopolisierung. Finanzdienstleistungen könnten teurer werden. Gesamtgesellschaftlich ist der Brexit also auch für Deutschland kein Gewinn. Protokoll: Felix Lee

Clemens Fuest, Professor für Volkswirtschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Präsident des ifo Instituts.

„Whisky zu hamstern ist albern“

Ungefähr 60 Prozent unseres Whiskys kommen aus Schottland. Vielleicht wird es durch den Brexit höhere Zölle geben, niemand weiß es. Aber für die US-Sorten gilt das ja schon heute. Das Schlimme ist eher die Unsicherheit, die vor allem die Importeure trifft. Welche Formalität muss ich mir überlegen? Wie viel Zoll muss ich zahlen? Ich kann nicht sagen: Ich bin entspannt – aber ich warne vor Weltuntergangsstimmung. Bestimmt wird es auch für uns als Whiskygeschäft Verschiebungen geben. Etwa dass ein schottischer Whisky dann statt 50 vielleicht 60 Euro kostet. Aber warum sollte ich Whisky hamstern? Das ist albern. Unsere Kunden sind sehr individuell, da geht das gar nicht.

Sicher ist der Brexit bei manchen Kunden Gesprächsthema. Aber auch sie kommen nicht, um Vorräte anzulegen, sondern weil sie einen bestimmten Geschmack mögen oder ihnen eine spezielle Würze gefällt. Dafür werden sie auch in Zukunft zu uns kommen und Geld ausgeben. Ich denke, die schlimmeren Auswirkungen sind eher bei höherpreisigen Waren zu erwarten wie etwa Autos.

Generell sehe ich den Brexit ­weniger aus wirtschaftlicher Per­spektive. Mehr Sorgen bereitet mir der sich auf dem ganzen Kontinent ausbreitende Kleingeist. Wir sind ein Europa und haben dafür gekämpft. Dennoch wünschen sich viele längst vergangene Zeiten zurück, den Schritt weg von Europa. Ich finde, es ­mangelt uns an europäischem Stolz.

Wie es beim Brexit weitergeht? Schwer zu sagen. Ich denke, wenn die britische Politik keine Entscheidung trifft, muss erneut das Volk ­befragt werden. Protokoll: Daniel ­Godeck

Eugen Kasparek arbeitet als Master of Tasting im Berliner „Whisky & Cigars“.