Ultrakonservativer Kongress in Verona: Beten gegen „Genderideologen“

Auf dem „World Congress of Families“ plädiert Italiens Innenminister für mehr „eigene“ Kinder und weniger Migration. Zehntausende protestieren.

Frauen mit pinkem Mundschutz zünden pinke Bengalos.

Feministische Gruppen, NGOs, Gewerkschaften, Parteien: der Protest in Verona ist ein Erfolg Foto: reuters

VERONA taz | Luftballons in Blau und Rosa wehen über den Köpfen der Menschen. Kreuze ragen vereinzelt in den Himmel. Tausende Menschen haben sich am Sonntag in der norditalienischen Stadt Verona zu einem „Marsch für die Familie“ versammelt. Es ist die Abschlussveranstaltung des World Congress of Families, des größten Treffens der globalen Anti-Choice-Gemeinde, die sich gegen die Ehe für alle, gegen Rechte für LGBTI und gegen Schwangerschaftsabbrüche starkmacht.

Auf ein Plakat, das ein Mann trägt, ist ein Herz gemalt, in dem zwei goldene Eheringe ineinander verschränkt sind. „Nur eine Familie“ steht darunter. Priester und Nonnen sind dabei, doch vor allem Paare, viele mit Babys und kleinen Kindern. Sie sind gekommen, um die „natürliche“ Familie aus Mann, Frau und möglichst vielen Kindern gegen ihre „Feinde“ zu verteidigen.

Drei Tage lang propagieren die Erzkonservativen in Verona ihr Weltbild. Zu den aggressivsten Rednern zählt Ignacio Arsuaga. Der Gründer der spanischen Kampagnenorganisation „CitizenGo“, die in mehr als 50 Ländern etwa gegen die Ehe für alle und Schwangerschaftsabbrüche mobilmacht, nimmt in seinem Vortrag kein Blatt vor den Mund. „Die Feinde der Familie“, sagt er, „haben viele Gesichter.“ Es seien die radikalen Feministen, die ihre Ideologie auf „uns alle“ ausdehnen wollten. Es sei die Abtreibungsindustrie, die mehr Geld verdienen und mehr Babys umbringen wolle. Es seien die „Gender­ideologen“, die die „Hirne unserer Töchter und Söhne kontrollieren und uns zum Schweigen bringen wollen“.

Arsuaga weiß die Stimmung der TeilnehmerInnen zu steuern. Nicht nur die Feinde des „Kulturkampfes“, den er und die rund 1.500 weiteren TeilnehmerInnen des Kongresses führen, prangert er bei seiner Rede am Freitag an. Auch die Strategien, mit denen er den „Krieg“ gegen diese Feinde gewinnen will, benennt er. Netzwerken, wie hier beim Kongress, ist eine solche Strategie. Globale Kampagnen starten, wie er selbst es mit seiner Organisation CitizenGo macht, ist eine weitere. CitizenGo kooperierte in Deutschland etwa mit Hedwig von Beverfoerdes Aktionsbündnis „Demo für alle“ und unterstützte 2018 eine bundesweite Bustour gegen „Frühsexualisierung“, also gegen Sexual­aufklärung.

Neben Beten – Applaus – sei es vor allem wichtig, den Weg „an die Macht“ zu gehen, sagt Arsuaga. Dass der World Congress of Families, der in der US-amerikanischen religiösen Rechten beheimatet ist und seit Ende der 1990er Jahre in annähernd jährlichem Rhythmus stattfindet, in diesem Jahr Station in Italien macht und engste Verbindungen mit der rechten Regierungspartei Lega pflegt, dürfte Arsuagas Vorstellungen ziemlich genau entsprechen. Diese Strategie soll offenbar fortgesetzt werden. Dem Vernehmen nach könnte der Kongress 2020 in Brasilien stattfinden.

Längst reichen die Netzwerke der Erzkonservativen bis in den Vatikan, hin zu russischen Oligarchen, ins EU-Parlament. Neben Evangelikalen und KatholikInnen sind zwei Monate vor der Europawahl auch Mitglieder des Europäischen Parlaments als RednerInnen nach Verona geladen, der Franzose Nicolas Bay, Generalsekretär des Rassemblement National, und Elisabetta Gardini von der italienischen Forza Italia, zudem weitere MinisterInnen wie die ungarische Familienministerin Katalin Novák. Auch der AfD-Politiker Maximilian Krah taucht auf dem Kongress auf und lässt sich mit dem italienischen Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini ablichten.

Verona nennt sich „Stadt für das Leben“

Nach Ungarn, wo Viktor Orbáns Fidesz-Regierung 2017 als erste europäische Regierung enge gemeinsame Sache mit dem Kongress machte und seitdem eine Gebärprämie für „mehr ungarische Kinder“ einführte sowie die Gender Studies aus dem Land verbannte, ist Italien nun das erste westeuropäische Land, das die Verbindungen zum Kongress ebenso eng pflegt. Seit Juni 2018 regiert hier die populistische Koalition aus 5-Sterne-Bewegung und der rechten Lega. Einig war man sich, was den Kongress angeht, allerdings nicht: Während sich PolitikerInnen der 5-Sterne-Bewegung deutlich von der Veranstaltung distanzierten, hieß ihn die Lega mit offenen Armen willkommen. Der als christlich-fundamentalistisch geltende Familienminister Lorenzo Fontana übernahm die Schirmherrschaft. Und Innenminister Salvini posierte mit dem Vorsitzenden Brian Brown für die Kameras.

Bevor Fontana und Salvini am Samstag selbst sprechen, wird zunächst einer der Stargäste des Kongresses auf die Bühne gebeten: die deutsche Fürstin Gloria von Thurn und Taxis. Während die übrigen RednerInnen überwiegend auf Podien sprechen, ist für sie ein Zweiergespräch mit dem Vorsitzenden Brown reserviert – er im grauen Anzug mit weißem Einstecktuch, sie in einem schwarzen Dress, der einem Priestergewand ähnelt. Brown stellt die 59-Jährige als ehemalige Punkrock-Prinzessin vor – als „Prinzessin TNT“, die mehr und mehr zum Glauben gefunden habe.

Was er nicht sagt: von Thurn und Taxis ist seit Jahren in sogenannten Lebensschutz-Initiativen aktiv und unterstützt die „Demo für alle“ – die Bewegung, mit der auch die spanische Kampagnenorganisation CitizenGo kooperiert. Medienberichten zufolge ist sie mit dem ehemaligen Breitbart-Chef und Ex-Trump-Strategen Steve Bannon befreundet und will eine Sommerschule für PopulistInnen auf ihrem Schloss einrichten. Ihr Interview mit Brown dauert rund eine Viertelstunde, ihre Botschaften sind ganz im Sinne des Kongresses. „Gegen die Familie aktiv zu sein und ein völlig neues Konzept zu promoten, geht gegen die Natur“, sagt sie. Und: Man müsse die „falsche Ideologie“ bekämpfen, die die Familie zerstöre, den natürlichen Nukleus des Menschen.

Während die „german princess“ noch auf der Bühne sitzt, sammeln sich rund einen Kilometer Luftlinie entfernt mehrere Zehntausend Menschen, um gegen Positionen wie die der Prinzessin zu protestieren. Zum ersten Mal in der Geschichte des Kongresses hat er mit einer starken Gegenmobilisierung zu kämpfen – was zum einen an der Ortswahl liegen dürfte, zum anderen an der Tatsache, dass die bisherige Strategie der Pro-Choice-Gemeinde darauf zielte, der Veranstaltung nicht zu viel Aufmerksamkeit zu bescheren.

Doch in einem Italien, das mit einer populistischen Regierung zu kämpfen hat und mit Gesetzesvorhaben, die etwa Scheidungen erschweren sollen, gehen zum ersten Mal parallel zum Kongress Bilder von Menschen durch die Medien, die Schilder hochhalten, auf denen „My ass, my choice“ steht oder „Wir leben im 21. Jahrhundert und nicht im Mittelalter“.

Zu Beginn wurden die Proteste vor allem von der feministischen Gruppe Non una di meno (Nicht eine weniger) vor­angetrieben. Nach und nach schloss sich ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis aus NGOs, Gewerkschaften und Parteien an. Die Veranstalterinnen sprechen am Wochenende von rund 100.000 DemoteilnehmerInnen, die aus Italien, aus Deutschland, Kroatien oder Großbritannien nach Verona kamen. Die Polizei zählt nur 20.000. Aber für Verona, das historisch enge Verbindungen sowohl zur katholischen Kirche als auch zur Rechten und extremen Rechten pflegt, wäre auch das ein Erfolg.

Uni verweigerte dem Kongress Räume

Vor Ort sind viele Frauen und LGBTI, aber auch heterosexuelle Familien. Sechs Frauen in der ersten Reihe der Demo tragen pinke Sturmhauben mit Glitterpailetten und ein pinkes Frontbanner, auf dem „Verona, transfeministische Stadt“ steht. Zu einem Song aus der Rocky Horror Picture Show setzt sich der Zug in Bewegung, eine Gruppe Männer mit schwarzen Netzstrümpfen wird die gesamte Strecke in roten Pumps laufen. „Ich will ein freies, säkulares Land, kein extremistisches Land“, sagt eine Teilnehmerin aus Rom. „Sie sollen sehen, dass sie mit ihren Ideen nicht so einfach durchkommen“, sagt eine andere.

Bis auf rund 100 Meter kommt die Demo nach eineinhalb Stunden an den Kongresspalast heran. Als gegen 16 Uhr klar ist, dass dort gleich der Innenminister sprechen wird, werden Sprechchöre gegen Salvini laut. Frauen zünden pinke und rote Bengalos, und den über dem Palast kreisenden Helikoptern wird kollektiv der Mittelfinger entgegengestreckt. Doch die Polizei hat das Gebäude abgeriegelt, PolizistInnen stehen mit Schilden bereit, in den Straßen parken Wasserwerfer. Bis auf wenige kleinere Tumulte bleibt die Lage aber friedlich.

Drinnen beteuert Salvini derweil, am Gesetz 194, das in Italien seit 40 Jahren Abtreibung legalisiert, werde sich nichts ändern – wohl auch eine Reaktion auf die neofaschistische Forza Nuova, die ein Referendum angekündigt hat, um dieses Gesetz zu ändern oder abzuschaffen. Und, sagt Salvini: Zu Hause könne zwar jeder leben, wie er wolle. Aber im Amt werde er das Recht eines Kindes verteidigen, Vater und Mutter zu haben. Wie, macht er in einer Ankündigung deutlich: Nach dem Vorbild Ungarns sollen auch in Italien Familien per Gesetz mehr gefördert werden.

Ansonsten folgt Salvini der Politik, die er auch jenseits des Kongresses verfolgt: Die eigentliche Gefahr, sagt er, sei nicht, dass der Kongress Frauenrechte einschränken wolle. „Die eigentliche Gefahr für Frauen sind islamistische Extremisten, für die Frauen weniger als nichts wert sind und die hierher nach Italien kommen wollen.“

Keine Migration, sondern mehr eigene Kinder: Das ist die völkische Botschaft Salvinis, das ist die Botschaft des Kongresses.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.