Whistleblower Ellsberg zu Julian Assange: „Für journalistische Arbeit angeklagt“

Whistleblower Daniel Ellsberg glaubt, dass der Fall Assange in Verbindung steht mit den Eskalationen des US-Präsidenten gegen die Presse.

Zwei lachende, ältere Menschen vor einer weißen Wand

„Embassy Cat“, die Katze von Julian Assange, soll in Sicherheit sein, laut Wikileaks. Foto: dpa

taz: Die meisten Aktivisten haben sich längst von Julian Assange abgewandt. Aber Sie unterstützen ihn weiterhin. Warum?

Daniel Ellsberg: Wenn Julian in den USA vor ein Gericht käme, hätte er keine Chance auf einen fairen Prozess. Wer unter dem Spionagegesetz oder unter irgendeinem anderen Gesetz angeklagt wird, das benutzt wird, um offizielle Geheimnisse zu schützen, darf im Gerichtssaal nicht über seine Motive sprechen. Dabei spielt es keine Rolle, ob seine Enthüllungen über unrechtmäßiges Handeln eine positive Wirkung hatten, wie bei Ed Snowden, der die Überwachungsmechanismen angeprangert hat, oder bei den Pentagon Papers, die dazu beigetragen haben, den Vietnamkrieg abzukürzen. Als meine Anwälte in meinem Prozess gefragt haben, warum ich die Pentagon Papers an die Öffentlichkeit gebracht habe, erklärte der Staatsanwalt die Frage für irrelevant.

2010 waren Sie selbst an Assanges Enthüllungen beteiligt.

Er hat mich zu einer Pressekonferenz in London eingeladen, um die Irak­kriegsprotokolle vorzustellen. Es war seine dritte Veröffentlichung. Und ich habe sie definitiv unterstützt, weil sie dem öffentlichen Interesse diente. Die erste Veröffentlichung war das Video „Collateral Murder“. [Das zeigt, wie irakische Zivilisten, darunter auch Journalisten, aus einem US-Militärhubschrauber erschossen werden; d. Red.] Die zweite Veröffentlichung waren die afghanischen Kriegsprotokolle. In den Tagen nach der Pressekonferenz hatte ich mehrere Gespräche mit Julian. Obwohl später auch die unredigierten Versionen der Kriegsprotokolle an die Öffentlichkeit kamen, gibt es keine Beweise dafür, dass sie jemandem geschadet haben.

Im Gegenteil. Die Welt hat Details von Kriegsverbrechen erfahren.

Nehmen Sie den Irak. Es kam he­raus, dass die USA über die Grausamkeiten von US-Soldaten informiert waren und jeden Versuch, diese juristisch zu verfolgen, verhindert haben. Diese Enthüllung führte dazu, dass die irakische Regierung sich weigerte, einem Stationierungsabkommen zuzustimmen, das amerikanische Soldaten vor juristischer Verfolgung im Irak schützen würde. Das wiederum zwang Präsident Obama, sich an den von der Bush-Regierung vereinbarten Truppenabzug aus dem Irak zu halten. Für mich war das ein gutes Ergebnis. Aber es war zugleich eines, das nicht vor Gericht diskutiert werden konnte. Chelsea Manning hat weitere Kriegsverbrechen enthüllt. Zum Beispiel, dass Gefangene – darunter Zivilisten – an irakische Truppen übergeben wurden, obwohl bekannt war, dass sie gefoltert werden würden.

Im Vergleich zu den Whistleblowern ist Assange nur wegen einer verhältnismäßig kleinen Sache angeklagt. Statt von Spionage ist von „Hacking“ die Rede.

Das Justizministerium hat da einen falschen Eindruck vermittelt. Er ist nicht wegen Hacking angeklagt. In seiner Presseerklärung war in der Überschrift von Hacking die Rede. Aber Chelsea Manning war eine echte Whistle­blowerin. Sie hatte Zugang zu geheimen Daten, und sie wurde dafür verurteilt, dass sie diese Daten veröffentlicht hat. Julian Assange ist für Dinge angeklagt, die ganz normaler Bestandteil von journalistischer Arbeit und Recherche sind.

Der Ökonom war „Military Analyst“, bevor er 1971 die „Pentagon Papers“ veröffentlichte. Die Dokumente zeigten die Lügenkampagne der US-Regierung vor und während des Vietnamkriegs auf. Ellsberg wurde als erster Whistle­blower wegen Spionage angeklagt, ihm drohten 115 Jahre Gefängnis. Als herauskam, dass Mitarbeiter von Präsident Nixon in der Praxis seines Psychiaters eingebrochen waren, wurde das Verfahren eingestellt. 2018 erhielt er den Olof-Palme-Preis. Ellsberg (88) lebt in Kalifornien. 2017 erschien in den USA sein neuestes Buch: „The Doomsday Machine: Confessions of a Nuclear War Planner“.

Nämlich?

Die Anklage nennt Julians Bemühung, die Anonymität von Chelsea zu schützen, und sie erwähnt seine Aufforderung an Chelsea, weitere Dokumente zu besorgen. Beides ist Routine in der Arbeit von investigativen Journalisten. Die Anklage vermittelt den Eindruck, dass es Julian war, der Chelsea erlaubt hätte, Zugang zu geheimen Dokumenten zu bekommen. Aber nach ihrer eigenen Aussage hatte sie den Zugang bereits mit ihrem eigenen Usernamen. Es ging darum, ihre Anonymität mit einem Passwort zu schützen. Die Anonymität hat sie im Übrigen selbst aufgegeben, als sie mit einem Informanten sprach. Anstatt einer Anklage wegen Spionage, die sämtliche Nachrichtenorganisationen aufgebracht hätte, oder einer Anklage wegen verschlüsselter Kommunikation, die alle investigativen Journalisten aufgebracht hätte, konzentriert sich diese Anklage auf eine Passwortfrage, die enger wirkt.

Sie betrachten Assange als einen Stellvertreter. Und sagen, dass mit der Anklage gegen ihn die Medien insgesamt gemeint sind – die Leute, die der US-Präsident als „Feinde des Volkes“ bezeichnet?

Ich betrachte es als Schuss auf Journalisten und Verleger, die sich investigativem Journalismus widmen. Es ist eine Eskalation von Trumps Krieg gegen die Presse, die er in Tweets als Feind des Volkes bezeichnet.

Ein hartes Vorgehen gegen Whistleblower ist in den USA nicht neu.

US-Regierungen versuchen seit Jahren, Whistleblowing zu verhindern. Unter Obama gab es eine nie zuvor da gewesene Menge juristischer Verfolgungen von Quellen. Aber Trump geht jetzt von den Quellen zu den Überbringern über: zu den Journalisten, die die Informationen an die Öffentlichkeit bringen. Im Falle von Julian hatte Obama alle Fakten und ein starkes Interesse, ihn hinter Gitter zu bringen. Aber seine Regierung entschied, dass ihre Beweise nicht für eine Anklage reichen.

So lange Ecuador seine schützende Hand über ihn hielt, wäre es schwer gewesen, an ihn heranzukommen.

Laut New York Times hat es sowohl unter der Obama-Regierung als auch unter Trump Treffen mit Ecuador gegeben. Präsident Lenín Moreno wollte Schuldenerlass und bessere Beziehungen mit den USA. Jetzt hat er Milliarden von IWF und Weltbank, wo die USA eine starke Rolle spielen, erhalten. Laut Wall Street Journal haben die USA zwei Bedingungen gestellt, um Morenos Wunsch zu unterstützen. Die eine war, Assange aufzugeben, die andere war es, die Anklage gegen den Ölkonzern ­Chevron wegen der Ölverschmutzung des Amazonasgebiets einzustellen.

Was sagen Sie zu Assanges Unterstützung für Donald Trump?

Das war eine extrem schlechte Einschätzung. Ich kann nur vermuten, dass er in Hillary diejenige sah, die zu seiner Inhaftierung drängte. Aber der Gegner war Donald Trump. Allerdings war Julian nicht allein. Es gab viele, die gegen Hillary waren und nicht glaubten, dass Trump schlimmer war als sie. Zum Beispiel jene, die für die Grüne Kandidatin Jill Stein gestimmt haben. Darunter auch eine Menge Freunde von mir. Aber bei Julian sollte man nicht unterschätzen, dass er jahrelange in einem einzigen Raum lebte. Wenn mir das passierte, würde ich meinem eigenen Urteil nicht trauen.

Hätte Wikileaks die gehackten Dokumente aus dem Hillary-Clinton-Hauptquartier 2016 nicht veröffentlichen sollen?

Ich meine Julians politisches Urteil und die Tweets, in denen er zeigte, dass er stark gegen die Kandidatur von Hillary war. Seine Enthüllungen sollten vermutlich der Kandidatur von Hillary schaden und seine Unterstützung für Trump zeigen. Damit war ich nicht einverstanden, weil die Aussicht auf Donald Trump extrem bedrohlich war. Aber ich sage nicht, Julian hätte die Enthüllungen zurückhalten sollen. Sie wären vermutlich woanders erschienen.

Was bisher geschah: Nach 7 Jahren in der ecuado­rianischen Botschaft war ­Assange (47) am Donnerstag in London festgenommen worden. Ecuador hatte zuvor das politische Asyl für ihn aufge­hoben.

Die Vorwürfe: In den USA muss er mit einem Verfahren wegen Verschwörung rechnen. Zudem steht ein brisanter Fall in Schweden an. 2010 war er von zwei Frauen unter anderem wegen Vergewaltigung angezeigt worden. 2017 wurden diesbezügliche Ermittlungen jedoch eingestellt.

Wie geht es weiter: Britische Parlamentsabgeordnete fordern Assanges Auslie­ferung an Schweden, um das Verfahren wegen der Vergewaltigungsvorwürfe aufrollen zu können. Schweden hat bisher kein solches Gesuch gestellt. Die USA haben das getan. (taz)

Was würde passieren, wenn Assange an die USA ausgeliefert würde?

Ich glaube nicht, dass Trump und die Geheimdienstcommunity sich mit fünf Jahren zufriedengeben werden. Ich glaube, sie wollen ihn lebenslänglich hinter Gittern. In meinem Fall gab es ursprünglich auch nur drei Anklagen, was maximal 25 Jahre bedeutet hätte, aber am Ende des Jahres waren daraus 12 Anklagen geworden, was bis zu 115 Jahre in Gefängnis bedeutet hätte.

Sie glauben, dass die aktuelle Anklage nur der Anfang ist?

Ich glaube, dass diese Anklagen dazu dienten, Großbritannien dazu zu bringen, ihn auszuliefern. Und Ecuador zu ermuntern, ihn fallen zu lassen. Wenn er erst mal hier ist, kann die Anklage erweitert werden. Die US-Regierung wollte einen Angeklagten haben, um die Veröffentlichung von geheimen Daten illegal zu machen. Und sie wollte die einhellige Unterstützung durch Journalisten und die Verfassungsbedenken durch Rechtsgelehrten verhindern. Dafür wäre auch ein Blogger infrage gekommen. Über den würden manche ebenfalls sagen: „Das ist kein echter Journalist.“ Assange ist unpopulär und wird als unsympathisch porträtiert. Ich widerspreche in diesem Punkt. Denn ich kenne ihn persönlich.

Die Whistleblowerin Chelsea Manning hat sieben Jahre im Gefängnis verbracht, bevor Präsident Obama sie am Ende seiner Amtszeit vorzeitig aus der Haft entließ. Aber seit März ist sie erneut hinter Gittern. Der Grund: Sie hat es abgelehnt, vor der Grand Jury – die die Anklage gegen Julian Assange geschrieben hat – auszusagen. Was bedeutet Assanges Festnahme für Chelsea Manning?

Ich bin kein Anwalt. Aber mich erinnert das an meinen Mitangeklagten Tony Russo. Dem wurde damals auch Immunität angeboten, wenn er vor der Grand Jury aussagte. Aber er hat das aus denselben Gründen wie jetzt Chelsea Manning abgelehnt: weil es ein geheimes Verfahren war, undemokratisch und nicht verfassungskonform. Da­raufhin haben sie ihn wegen Missachtung der Justiz belangt. Nachdem er einen Monat im Gefängnis war, haben sie das fallen gelassen und ihn mit mir angeklagt.

Raten Sie jungen Leuten trotz der hohen Risiken zum Whistleblowing?

Ich ermuntere niemanden, seine Karriere wegen kleinerer Enthüllungen aufs Spiel zu setzen. Das ist es nicht wert. Aber es gibt Amtsträger, die Zugang zu Informationen haben, die einen ungerechtfertigten Krieg verhindern oder verkürzen oder die Verfassung schützen könnten. Wo das der Fall ist, sollten Leute erwägen, den hohen Preis zu zahlen. Hätte es 2002 unter den Tausenden von Leuten, die wussten, dass wir auf dem Weg zu einem Angriffskrieg im Irak waren, eine Chelsea Manning oder einen Ed Snowden gegeben, hätte der Krieg nicht stattgefunden. Das hätte Hunderttausende Menschenleben, vielleicht sogar Millionen, gerettet.

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