Kevin Kühnert in der Kritik: Die Grenzen des Sagbaren

Im politmedialen Betrieb wird ein bemerkenswertes Schauspiel aufgeführt. Grund ist die Kapitalismuskritik des Juso-Vorsitzenden.

Ein Trabant mit DDR-Flagge

Halt aus, Kevin, hier kommt die Kavallerie Foto: dpa

BERLIN taz | Glaubt man liberalkonservativen Vordenkern, drohen schon bald Verhältnisse wie in der DDR: Die SPD träume „wieder vom Sozialismus“, wettert die Bild-Zeitung. CSU-Chef Markus Söder fordert Finanzminister Olaf Scholz dazu auf, den Thesen von Juso-Chef Kevin Kühnert entgegenzutreten. Und FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann wirft Kühnert vor, nichts aus der Geschichte gelernt zu haben.

DDR? Ernsthaft? Im politmedialen Betrieb wurde am Mittwoch und Donnerstag ein bemerkenswertes Schauspiel aufgeführt. Ein Interview des Juso-Vorsitzenden, in dem er über die Überwindung des Kapitalismus nachdenkt, entfachte eine überdrehte Debatte. Dabei geriet das, was Kühnert gesagt hatte, schnell in den Hintergrund. Stattdessen war ein Lehrstück über Wahlkampf und taktische Empörung zu besichtigen.

Was war passiert? Kühnert spricht in der aktuellen Zeit ausführlich über seine Vorstellung von demokratischem Sozialismus. Auf mehrfache Nachfrage der Journalisten, was das für ein Unternehmen wie BMW bedeute, sagt er, dass er eine Kollektivierung von Unternehmen wie BMW „auf demokratischem Wege“ befürworte. „Die Verteilung der Profite muss demokratisch kontrolliert werden.“ Das schließe aus, dass es einen kapitalistischen Eigentümer des Betriebs gebe. „Ohne Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar.“

Kühnert beschreibt die bekannte Linie der SPD-Jugendorganisation, er ist in der SPD ein wahrnehmbarer, aber keinesfalls mächtiger Player. Damit hätte man es gut sein lassen können. Wenn schon der Juso-Chef nicht mehr über Wirtschaftsformen jenseits des Kapitalismus nachdenken darf, wer dann?

Weit gefehlt. Nachdem die prägnantesten Sätze über die Agenturen liefen, brach ein Sturm der Entrüstung los. FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg forderte, die SPD müsse „dringend ihr Verhältnis zum Eigentum klären“. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sagte, Kühnerts Forderung zeige das „verschrobene Retro-Weltbild eines verirrten Fantasten“. In den sozialen Netzwerken war die Hölle los.

Prompte Distanzierung

Union und FDP konnten ihr Glück kaum fassen. Sie dümpeln im Europawahlkampf bisher vor sich hin. Annegret Kramp-Karrenbauers CDU liegt in Umfragen bei 28 Prozent, Christian Lindners FDP bei 9 Prozent. Nun tat sich die Chance für eine Rote-Socken-Kampagne auf.

Wichtige Sozialdemokraten reagierten umgehend. Die Parteispitze distanzierte sich in Gestalt von Generalsekretär Lars Klingbeil von Kühnerts Einlassungen. Der Juso-Chef habe in dem Interview über eine „gesellschaftliche Utopie“ gesprochen, betonte Klingbeil. „Diese ist nicht meine und auch keine Forderung der SPD.“

Andere Sozialdemokraten äußerten sich solidarischer. SPD-Vize Ralf Stegner twitterte, Kühnert spreche ausdrücklich von „demokratischem Sozialismus“, nicht von dessen Perversion.

Überraschend harsche Reaktionen

Sebastian Hartmann, Vorsitzender der mächtigen NRW-SPD, sagte der taz: Ungleichheit sei der „Sprengstoff“ unserer Zeit. „Der Kapitalismus ist kritikwürdig, wenn seine ungezügelten Auswüchse verhindern, dass Familien mit zwei Einkommen bezahlbare Wohnungen finden“, sagte Hartmann. Der Markt allein regele gar nichts, er brauche harte Regeln.

Tatsächlich überraschen die harschen Reaktionen mancher SPDler etwas. Denn die SPD bekennt sich in ihrem Grundsatzprogramm ausdrücklich zum demokratischen Sozialismus. Jener bleibe für die SPD „die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist“, heißt es im 2007 beschlossenen Hamburger Programm. Darin grenzt sich die SPD auch vom „Staatssozialismus sowjetischer Prägung“ ab.

Kühnert bewegt sich also auf dem Boden des eigenen Programms. Außerdem liegt eine riesige Kluft zwischen seinen Gedankenspielen und dem realen Regierungshandeln. Der seriöse Scholz wäre der Letzte, von dem KonzernchefInnen und AktionärInnen Kollektivierungen fürchten müssen. Selbst Gerhard Schröder beschrieb sich in den 70ern noch als „Marxist“ – und setzte als Kanzler unter Beifall der Wirtschaftsverbände die Agenda 2010 um.

Auch die Grünen distanzierten sich von Kühnerts Ideen. In Deutschland gebe es mit VW bereits einen Autokonzern, der zu einem gewissen Anteil vom Staat besessen werde, sagte Fraktionschef Anton Hofreiter. Deshalb habe er ein „großes Fragezeichen“, ob Verstaatlichung hier Sinn mache. Statt „unüberlegte Debatten“ zu führen, solle die SPD lieber dafür sorgen, dass sich die Autokonzerne an die Gesetze hielten.

Beifall kam von der Linkspartei. Kühnert stelle die Eigentumsfrage und „das ist erfreulich“, sagte Linkspartei-Chefin Katja Kipping der taz.

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