Zum Jubiläum der Universität Hamburg: Die Kraft der Mitbestimmung

Die Uni Hamburg ist 100 Jahre alt. Seit 50 Jahren wird sie von allen Gruppen der Hochschule geführt: ein Erfolgsmodell. Ein Gastbeitrag.

Studenten in einem Hörsaal der Uni Hamburg im Jahr 1956

Durften noch nicht mitzubestimmen: Student*innen in einem Hörsaal der Uni Hamburg im Jahr 1956 Foto: dpa

HAMBURG taz | Die Universität und die Stadt Hamburg feiern die Gründung der Universität vor 100 Jahren. Denkwürdig ist allerdings auch, dass die Bürgerschaft vor 50 Jahren ein neues Universitätsgesetz beschloss, das den Übergang von der traditionellen Ordinarienuniversität zur reformierten Gruppenuniversität einleitete.

In der Ordinarienuniversität lag die Selbstverwaltung allein in den Händen der als Fachvertreter berufenen Professoren. Das Universitätsgesetz von 1969 sah dagegen eine Vertretung aller Universitätsmitglieder in den Selbstverwaltungsgremien vor. Das Rektorat sah dies als Anlass, das 50. Jubiläum nicht zu feiern, weil es die deutsche Universitätstradition und die Wissenschaftsfreiheit gefährdet sah.

Nach dem totalitären Zugriff des nationalsozialistischen Zentralstaates auf die Universitäten und dem Zusammenbruch des NS-Regimes knüpften die Universitäten beim Wiederaufbau in den Ländern an die deutsche Universitätstradition an. Die in der Weimarer Zeit geltenden Satzungen wurden wieder angewandt. Die Länder verzichteten nach den nationalsozialistischen Staatseingriffen auf staatliche Regulierungen. Ihre Behörden übernahmen zwar Verwaltungsaufgaben für die Universitäten, alle akademischen Fragen wurden aber der Selbstverwaltung überlassen.

Doch mit dem schnellen Wachstum in der Nachkriegszeit, der steigenden Zahl der Studierenden, der unkoordinierten Ausbreitung von Zulassungsbeschränkungen und der wachsenden Bedeutung von Forschung und wissenschaftlicher Ausbildung für die Gesellschaft forderten zahlreiche Gutachten, aber auch Empfehlungen des Wissenschaftsrates und der Westdeutschen Rektorenkonferenz strukturelle Änderungen.

Hessen und Hamburg, später auch andere Länder, beschlossen darum, das Hochschulrecht gesetzlich neu zu regeln. Im Vordergrund der Reform standen eine Stärkung der Hochschulleitung durch längere Amtszeiten, eine Angleichung der Rechtsstellung des zunehmend differenzierten und stark gewachsenen Lehrkörpers, eine staatliche Kontrolle von Zulassungsbeschränkungen, die Gliederung der Universitäten und die Verbindung von akademischer Selbstverwaltung und staatlicher Hochschulverwaltung. Diese Forderungen waren in den 1960er-Jahren im Grundsatz unstrittig.

Als die studentischen Unruhen Ende der 1960er-Jahre die im Wiederaufbau entwickelten Strukturen und Machtverhältnisse in Frage stellten, kam die Forderung hinzu, die Studierenden an der Selbstverwaltung zu beteiligen. Vor allem die Ablösung jährlich wechselnder Rektoren durch eine Leitung mit längerer Amtszeit erforderte eine breitere Legitimation und begründete die Erwartung körperschaftlicher Mitbestimmung aller Universitätsmitglieder.

Die Lehrenden, die Studierenden, die wissenschaftlich Mitarbeitenden und die sonstigen Bediensteten sollten durch gewählte Vertreter in den Selbstverwaltungsgremien mitwirken. Das Prinzip war weniger strittig, heftig gerungen wurde jedoch um das Zahlenverhältnis der Gruppen in den Gremien. Die Positionen reichten von der Drittelparität oder Viertelparität bis zu der von der Westdeutschen Rektorenkonferenz entwickelten „Qualitativen Repräsentation“, die den Hochschullehrern eine klare Mehrheit garantieren wollte.

Zahlreiche Beispiele aus allen Hamburger Hochschulen zeigen, dass Mitbestimmung notwendige Entscheidungen nicht blockiert

Das von der Bürgerschaft am 25. April 1969 beschlossene Universitätsgesetz löste diese Forderung so ein, dass es im Senat sieben Professoren und vier Dozenten vorsah, denen vier wissenschaftliche Assistenten und vier Studenten gegenüberstanden. Zwei von Personalräten gewählte Mitarbeiter waren nur mit beratender Stimme vertreten. Stimmrecht hatten auch der Präsident und ein Professor als Vizepräsident. Sie wurden vom Konzil gewählt, dem 39 Professoren, 20 Dozenten, 20 wissenschaftliche Assistenten, 38 Studenten und zwei Vorsitzende des Asta angehörten.

Auch zehn von Personalräten gewählte sonstige Mitarbeiter waren im Konzil wegen seiner nicht wissenschaftsbezogenen Kompetenzen stimmberechtigt. Das Gesetz sah die Leitung der Universität durch einen Präsidenten mit einer Amtszeit von sechs bis neun Jahren vor, eine von ihm geleitete Einheitsverwaltung sowie die Gliederung in Fachbereiche.

Die Vertretung der Mitglieder der Universität in den Selbstverwaltungsgremien wurde später auch in allen anderen Bundesländern eingeführt. Eine Grundgesetzänderung gab dem Bund das Recht, durch ein Rahmengesetz Grundsätze des Hochschulrechts zu regeln. Erbitterte Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung der Gruppenvertretung entschied schließlich ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973, das die Mitbestimmung aller Gruppen in den Gremien als mit der Garantie der Wissenschaftsfreiheit vereinbar ansah, für wissenschaftsbezogene Entscheidungen aber eine Mehrheit der Professoren forderte. Diese Grundsätze wurden durch ein Hochschulrahmengesetz konkretisiert, dem der Bundesrat 1976 nach einem langen Vermittlungsverfahren zustimmte.

In Verbindung mit dem Erfordernis einer Hochschullehrermehrheit war die Gruppenuniversität nun das gemeinsame Merkmal einer reformierten Hochschulstruktur. Nachdem das Bundesverfassungsgericht 1977 die im Hamburgischen Universitätsgesetz von 1969 gebildete Gruppe der Dozenten als nicht hinreichend homogen angesehen und damit nur teilweise der Gesamtheit der Hochschullehrer zugerechnet hatte, garantierte auch das Hamburgische Hochschulgesetz vom 22. April 1978 eine Professorenmehrheit.

Sinnvolles Prinzip

Als nach einer Föderalismusreform die Rahmenkompetenz des Bundes abgeschafft wurde, blieb in allen Ländern das Prinzip der Gruppenrepräsentation unangetastet. Auch heute noch sind alle staatlichen Hochschulen in Deutschland Gruppenuniversitäten.

Blickt man auf die Entwicklung in den folgenden 50 Jahren, erweist sich dieses Prinzip durchaus als sinnvoll. Trotz aller Kassandrarufe, die Mitbestimmung mache die Selbstverwaltung entscheidungsunfähig und schwerfällig, sei ineffizient und wissenschaftsfeindlich, haben die Hochschulen in Hamburg das Gegenteil bewiesen. In kaum einem anderen Land weisen die von den Gremien gewählten Leitungen vergleichbar lange Amtszeiten auf.

Der einzige Fall eines erzwungenen Rücktritts nach nur dreijähriger Amtszeit ist auf ein Wahlverfahren zurückzuführen, in dem der Wissenschaftssenator im evidenten Widerspruch zu der gesetzlichen Regelung einen Personalberater eingeschaltet und in Kollaboration mit einem überwiegend extern besetzten Hochschulrat der Universität eine Leitung vermittelt hat, die sich als so kooperations- und kommunikationsunfähig erwies, dass nahezu alle Professoren und Dekane nach kurzer Amtszeit die Zusammenarbeit verweigerten.

Ruhig auch in unruhigen Zeiten

In allen anderen Fällen führte die breite Legitimation der Hochschulleitung dazu, dass diese die volle Amtszeit wahrnahmen und auch schwierige Entscheidungen treffen und umsetzen konnte. Sogar in der Zeit heftigster Studentenunruhen galt die Universität Hamburg als eine eher ruhige und arbeitsame Universität, die international große Anerkennung genoss, der Studienreform innovative Impulse gab und in der Forschung neue Wege ging.

Als die Universität zwischen 1995 und 2006 insgesamt ein Viertel ihrer Stellen und Mittel einsparen und damit zehn Jahre lang jede zweite frei werdende Stelle streichen musste, waren ihre Kollegialgremien in der Lage, die erforderlichen Prioritätsentscheidungen autonom zu treffen und umzusetzen. In diesem Zeitraum gehörte die Universität Hamburg zu den erfolgreichsten Hochschulen bei der Einwerbung neuer Sonderforschungsbereiche, Forschergruppen, Graduiertenkollegs und International Max Planck Research Schools.

Im Verbund Norddeutscher Universitäten entwickelte sie ein wegweisendes Verfahren vergleichender Evaluation von Studiengängen und mit Unterstützung der Volkswagen-Stiftung führte sie das größte Projekt systemischer Universitätsentwicklung in Deutschland durch.

Hilfreiche Mitbestimmung

Zahlreiche Beispiele aus allen Hamburger Hochschulen zeigen, dass Mitbestimmung notwendige Entscheidungen nicht blockiert, sondern ihre oft schwierige Umsetzung häufig erst möglich macht. Das gute Funktionieren einer Gruppenuniversität ist keine Hamburger Besonderheit. Ein Vergleich aller deutschen Universitäten in der Zeit der Ordinarienuniversität bis Ende der 1960er-Jahre bis heute zeigt eine beeindruckende Effizienz- und Leistungssteigerung. Die Ausstattung der Hochschulen mit Geld, Gebäuden, Geräten und Personal wurde nur in den 1970er-Jahren in etwa parallel zum Wachstum der Studierendenzahl erhöht. Seit den 1980er-Jahren verschlechterte sie sich stetig im Widerspruch zu wachsenden Anforderungen.

Bildeten die Hochschulen zu Beginn der 1970er-Jahre etwa zehn Prozent eines Jahrgangs wissenschaftlich aus, erwirbt heute mehr als die Hälfte aller jungen Menschen ihre berufliche Qualifikation nicht mehr in der betrieblichen oder dualen Ausbildung, sondern an den Hochschulen. Den Fachkräftebedarf decken weiter zunehmend die Hochschulen, ohne dass sie entsprechend ausgestattet werden.

Universitätsgeschichte gestaltet

Studierten an den Ordinarienuniversitäten bis 1970 maximal 400.000 Studierende, sind es an den Gruppenuniversitäten fast heute zwei Millionen. Die Zahl der ersten Studien­abschlüsse pro Jahr ist in dieser Zeit von maximal 50.000 auf fast 300.000 gestiegen, die der Promotionen von etwa 10.000 auf knapp 30.000, während die Zahl der Professuren nur von 20.000 auf 25.000 stieg, die des sonstigen wissenschaftlichen Personals nur von etwa 70.000 auf 100.000.

Viele weitere Indikatoren belegen diese Entwicklung. Warb die Ordinarienuniversität etwa zehn Prozent ihrer Forschungsmittel als Drittmittel ein, sind es heute an den Gruppenuniversitäten mindestens 30, häufig 50 Prozent. Somit ist die Gruppenuniversität besser als ihre Kritiker befürchteten. Nicht nur mit der Universitätsgründung vor 100 Jahren, sondern auch mit der Reform der Ordinarienuniversität vor 50 Jahren hat die Hamburgische Bürgerschaft Universitätsgeschichte gestaltet.

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77, ist Jurist und war von 1991 bis 2006 Präsident der Universität Hamburg. Zuvor war er von 1973 bis 1991 Kanzler der neu gegründeten Universität Oldenburg. Sein Buch „Die Universität als Republik“ erscheint in der Reihe „Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte“ im Reimer-Verlag.

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