Ausstellung zum Islam in Leipzig: Aufklärer der Vorzeit

In der Halle 14 wird die Blütezeit der islamischen Kunst und Wissenschaft als Vorbedingung der europäischen Aufklärung beleuchtet.

Nachstellung des Mordes am iranischen Politiker zund Poet Mirzadeh Eshghi

Azadeh Akhlaghi: „Tehran – Mirzadeh Eshghi, 3 July 1924“, 2012, Digitalprint auf Fotopapier (Ausschnitt) Foto: Halle 14 Leipzig

Der Junge legt seine Hand über die Augen, dann über den Mund. Nichts sehen, nicht schreien. Seine Bewegungen sind fahrig, der Blick flackert. Er reißt die Augen auf, sein Kopf klappt nach vorn, er deutet zuerst auf seinen Hinterkopf, dann auf die Stirn.

Es müssen viele Kugeln gewesen sein, mit denen der „Islamische Staat“ die Familie des kurdischen Jungen aus Kobanê ermordet hat. Wie der taubstumme 13-Jährige mit den ihm gebliebenen Mitteln versucht, den Horror auszudrücken, ist erschütternd.

Das Video des kurdischen Künstlers Erkan Özgen ist Teil der Ausstellung „Vergessene Aufklärungen – unbekannte Geschichten über den Islam in der zeitgenössischen Kunst“, die derzeit in der Leipziger Baumwollspinnerei zu sehen ist.

Genauer: in der Halle 14, die schon immer den Anspruch hatte, über den Tellerrand hinauszublicken. Im Fall der aktuellen Ausstellung geht der Blick sehr weit hinaus, nach Pakistan, nach Indonesien, und, noch weiter zurück, in die Renaissance, ins Mittelalter.

Wer sich der Ausstellung nähert, bleibt natürlich an diesem Reizbegriff hängen: Aufklärung. Der christliche Westen habe sie und sei deshalb dem islamischen Osten geistig-kulturell überlegen, so lautet die gängige Sprachregelung in den Populismus-gesättigten Kommentarräumen unserer Zeit.

Obsession Islam

Das Kuratorenduo Michael Arzt und Elham Khattab will dieser Deutung etwas entgegensetzen. „Knapp auf den Punkt gebracht, zeigt die Ausstellung, dass es die europäische Renaissance und Aufklärung so nicht geben würde ohne den Islam“, sagt Michael Arzt, künstlerischer Direktor der Halle 14. „Das wusste ich so im Vorfeld auch nicht, das habe ich so nicht in der Schule gelernt.“

Die tatsächlich extrem vielfältigen Einflüsse der Arbeiten früherer islamischer Gelehrter – übrigens auch von gelehrten Frauen wie der Astronomin Mariam al-Asturlabi aus dem 10. Jahrhundert – sind nicht das Kernthema der Ausstellung. Wichtiger ist es ihr, dem Publikum neue Sichtweisen zu eröffnen.

Durchaus witzig und provokant sind etwa die Arbeiten von Sukaina Joual, 1990 in Marokko geboren: Durch ihr Werk zieht sich das Thema Fleisch – in Verpackungen, auf Schlachtmessern, auf Leuchtreklamen. Das wirkt obsessiv – und zeigt zugleich unsere eigene Obsession mit dem Islam. Nur hierzulande diskutieren Stammtische über muslimische Essvorschriften, nur hierzulande spricht man über die typischen „Halal“-Schilder an den Restaurants.

Auch das Kopftuch ist so ein Symbol für unsere nicht immer auf Wissen gründende Besessenheit mit dem Islam. Die Künstlerin Feriel Bendjama beschreibt in der Porträtfotoserie „We, they and I“ verschiedene Sichtweisen auf dieses Kleidungsstück und damit auf die muslimische Frau.

Dresden und die Busse

Religiös oder rauchend, mit Schnuller oder Schnurrbart: Bendjama verwandelt die gezeigte Frau, übrigens sie selbst, in das, was sie aus westlicher Perspektive viel zu häufig noch ist – eine Projektionsfläche eigener Erwartungen und Ansichten.

„Vergessene Aufklärungen – unbekannte Geschichten über den Islam in der zeitgenössischen Kunst“, noch bis 4. August 2019, Halle 14, Zentrum für zeitgenössische Kunst auf der Leipziger Baumwollspinnerei, Spinnereistraße 7

Am 11. Mai zeigt der Klangkünstler Abdellah M. Hassak eine Performance (19 Uhr und 21.30 Uhr), ab 20 Uhr führt Kurator Michael Arzt durch die Ausstellung.

Feriel Bendjama wurde 1980 bei Dresden geboren, ist aber in Algerien aufgewachsen. Bei ­Manaf Halbouni ist es andersherum: Geboren in Syrien, lebt er seit gut zehn Jahren in ­Dresden. In der Ausstellung zeigt er die oft als ästhetisch gerühmte arabische Kalligrafie, gegossen in brutalen, auf die Zerstörung syrischer Städte verweisenden Stahlbeton.

Halbouni ist keiner, der die Auseinandersetzung scheut: Seine Installation „Monument“, drei hochkant gestellte Busse in Erinnerung an den syrischen Bürgerkrieg, interpretierten Pegidisten und Identitäre als Verharmlosung der Dresdner Opfer während des Zweiten Weltkriegs und Verherrlichung des Terrorismus. Genau das Gegenteil sei der Fall, antworte Halbouni.

Dresden, Leipzig, Sachsen: Wo der Ort ins Spiel kommt, wird auch eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst politisch. Das ist dem Kuratoren-Duo natürlich bewusst. Als Elham Khattab, Direktorin der Kairoer Kunstinitiative Out of the Circle, vor einigen Jahren an der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst arbeitete, lief sie direkt in eine Demonstration von Legida, dem örtlichen Pegida-Ableger.

„Diese Leute haben sehr deutlich gesagt, dass Araber und Muslime hier nicht willkommen sind“, sagt Khattab. „Und deswegen fand ich es so spannend, als mich später Michael Arzt kontaktiert hat mit der Idee, den Leuten mehr Wissen über die Muslime und den Islam zu vermitteln.“

Die meisten gezeigten Werke sind nicht neu, doch die themen- und formatübergreifende Zusammenstellung macht die Schau sehr sehenswert. Vielleicht sind manche Äußerungen aus dem Programmtext etwas zu hoch gegriffen – der Bezug zum Thema Aufklärung, das über der Ausstellung schwebt, ist nicht immer ganz klar.

Es sei denn, man ist bereit für einen gedanklichen Schritt zur Seite: So wichtig die islamische Blütezeit für die europäische Aufklärung war, so sehr stecken die Hochphasen ganz verschiedener Kulturen allesamt schon in jedem von uns. Wir beeinflussen uns gegenseitig, und das nicht erst seit der Globalisierung. Dies anzuerkennen wäre wichtig, erfordert aber, genau: aufklärerisches Denken.

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