Hongkongs Autonomie auf dem Prüfstand: Schlagabtausch um Auslieferung

In Hongkongs Parlament führt der erbitterte Streit über ein Gesetz, das Auslieferungen an China ermöglichen soll, zu einer chaotischen Schlägerei.

Mann mit geballter Faust wird von zwei anderen zurückgehalten

Ein entzürnter Abgeordneter mit geballter Faust wird von zwei Saaldienern zurückgehalten Foto: dpa

BERLIN taz | Ein Abgeordneter brach zusammen und musste aus dem Sitzungssaal getragen werden. Eine Volksvertreterin musste bandagiert werden. Eine andere klagte über Schwindel nach Schlägen: Am Samstag ist der Streit unter Abgeordneten des Legco genannten Hongkonger Parlaments über ein neues Auslieferungsgesetz handgreiflich geworden. Da etliche Kameras anwesend waren, gibt es viele Aufnahmen von dem Schlagabtausch, bei dem vier Abgeordnete verletzt wurden.

Das Chaos brach aus, nachdem der chinakritische Sitzungsleiter eines Ausschusses vom prochinesischen Lager durch einen eigenen Vorsitzenden ersetzt worden war. Beide Seiten pochten auf die Rechtmäßigkeit ihrer Position und beriefen im selben Raum zeitgleich eine Sitzung unter ihrem jeweiligen Vorsitz ein. So begann der Kampf um das Mikrofon.

Kern des Streits ist die Frage, ob Hongkong seine Bewohner auf das chinesische Festland ausliefern darf. Bisher hatte Hongkongs Justiz das stets abgelehnt, denn die Justiz der Volksrepublik China arbeitet nicht nach rechtsstaatlichen Prinzipien und Verurteilten droht möglicherweise die Todesstrafe. Doch jetzt drängt Peking auf ein entsprechendes Auslieferungsgesetz.

Seit die frühere britische Kronkolonie Hongkong 1997 chinesisch wurde, genießt sie nach dem Motto „ein Land, zwei Systeme“ für fünfzig Jahre eine vertraglich zugesagte Autonomie. Doch über deren Ausgestaltung gibt es in Hongkong immer wieder Streit. Die dortige Demokratiebewegung, deren Vertreter im Legco in der Minderheit sind, hat das Gefühl, dass Peking die Finanzmetropole immer stärker kontrolliert.

Es geht um Hongkongs Autonomie

Für die Kritiker des Auslieferungsgesetzes geht es um die Weiterexistenz der Autonomie der Stadt und damit um Hongkongs „Markenkern“. Auch Unternehmer und Juristen fürchten, dass Hongkong seine Position als internationales Finanzzentrum riskiert, falls Bewohner eine Auslieferung an Chinas Behörden fürchten müssen. Gerade die Rechtsstaatlichkeit und weitgehende Korruptionsfreiheit in Hongkong sind wichtige Gründe für Firmen, dort und nicht direkt in China zu investieren.

Die Stadt beherbergt zudem viele Menschen, die vor politischer Verfolgung aus China geflohen waren oder die scharfe Kritiker der Kommunistischen Partei Chinas sind. Sie fürchten, künftig an Chinas Behörden ausgeliefert werden zu können.

Bereits am 28. April demonstrierten deshalb mehrere zehntausend Menschen gegen den Entwurf des Auslieferungsgesetzes. Die Polizei zählte 22.800 Demonstranten, die Veranstalter 130.000. Für beide war es die größte Demonstration seit der Regenschirmbewegung 2014.

Kurz vor der Demo gegen das Auslieferungsgesetz waren vier Führer der Regenschirmbewegung zu Haftstrafen von bis zu 16 Monaten verurteilt worden. Die Regenschirmbewegung hatte vergeblich versucht durchzusetzen, dass Hongkongs Bevölkerung ihren Regierungschef oder ihre Regierungschef direkt wählen kann und nicht nur die Auswahl aus von Peking vorgegebenen Kandidaten hat.

Hätte die Bewegung damals mit ihrem Anliegen Erfolg gehabt, wären Auslieferungen auf Festland überhaupt heute kein Thema.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.