Die verschwundene Doku

Nach der Beschwerde eines Priesters musste Arte einen Film über sexuelle Gewalt an Nonnen sperren. Mittlerweile ist die Dokumentation für einen Preis nominiert – und der Geistliche klagt weiter

Szene aus „Gottes missbrauchte Dienerinnen“ – zurzeit nicht abrufbar, jedenfalls nicht bei Arte Foto: Arte France

Von René Martens

In kirchlichen Kreisen war die Aufmerksamkeit groß, als das Bayerische Fernsehen im Februar die Dokumentation „Eine ehemalige Ordensfrau klagt an“ ausstrahlte. Der Film besteht zum Großteil aus einem Gespräch zwischen Buchautorin Doris Wagner, die einst von einem Priester vergewaltigt wurde, und dem Kardinal Christoph Schönborn. Denn dass hochrangige Vertreter der Kirche zu einem öffentlichen Gespräch über die Verbrechen ihrer Organisation bereit sind, kommt selten vor.

Es gibt im Umgang mit dem Thema aber auch andere Strategien. Das haben die französischen Filmemacher Eric Quintin und Marie-Pierre Raimbault erfahren, die in der Arte-Dokumentation „Gottes missbrauchte Dienerinnen“ über Vergewaltigung von Nonnen berichten. Die Pressekammer des Landgerichts Hamburg hat den Anfang ausgestrahlten März mit einer einstweiligen Verfügung belegt. Arte kann den Film derzeit nicht in der Mediathek zur Verfügung stellen – zumindest nicht im „deutschen Hoheitsgebiet“, wie es ein Gerichtssprecher formuliert.

Im Zentrum des Films stehen Berichte von ehemaligen Nonnen aus Frankreich, sie erheben unter anderem Vorwürfe gegen den 2006 verstorbenen Dominikaner Marie-Dominique Philippe, der die Frauengemeinschaft „Congregation Saint-Jean“ gründet hatte.

Darüber hinaus wird unter der Kapitelüberschrift „Sexsklavinnen“ eine Spielart der Prostitution in Westafrika beschrieben. Hierbei bezahlen Priester Oberinnen Geld dafür, dass diese ihnen Nonnen „liefern“.

Die Sperrung des Beitrags erwirkt hat ein Geistlicher aus Österreich, der in der Dokumentation erwähnt wird, er ist Mitglied einer vom Vatikan anerkannten Ordensgemeinschaft. Der Priester und sein Orden wenden sich gegen Äußerungen von Buchautorin Wagner, die auch im Arte-Beitrag zu Wort kommt. Ein Ordenssprecher sagt, einzelne Behauptungen Wagners seien „nachweislich“ falsch. Auch ­gegen die FAZ und das Deutschlandradio geht der österreichische Priester derzeit gerichtlich vor, offenbar aufgrund ähnlicher Äußerungen wie im Film. Gegen das Deutschlandradio hat er, gemeinsam mit einem weiteren Geistlichen, eine einstweilige Verfügung erwirkt. Außerdem läuft ein Verfahren gegen die FAZ. Eine FAZ-Sprecherin erwähnte lediglich, dass es um keine Rezension des Arte-Films gehe.

Besonders interessant: Der Österreicher wandte sich an die Pressekammer in Hamburg, obwohl für den Beitrag eigentlich Arte France verantwortlich ist. Das geht, weil in Deutschland im Zivilrecht der „fliegende Gerichtsstand gilt“. Man kann überall dort klagen, wo eine sogenannte Verletzungshandlung geschehen ist. Das ist hier der Fall, da der Film in Deutschland (also auch in Hamburg) ausgestrahlt wurde. Wäre der Kläger hingegen in Frankreich gegen den Arte-Film vorgegangen, dann hätte er lange warten müssen, sagt der Stuttgarter Medienrechtsanwalt Markus Köhler. Denn dort gebe es wie in anderen europäischen Ländern wesentlich längere Fristen für einstweilige Verfügungen.

Sollte die Jury den Film preiswürdig finden, wäre das eine Pointe

Eine weitere Kuriosität beinhaltet das Verfahren gegen das Deutschlandradio. In dem inkriminierten Beitrag werden „Vorwürfe gegen die beiden Personen erhoben, ohne dass sie namentlich genannt werden“, sagt Sprecher Tobias Franke-Polz. Es geht um einen am 28. Januar ausgestrahlten Beitrag in „Tag für Tag“, dem werktäglichen Religionsmagazin des Deutschlandfunks. Franke-Polz sagt, man wolle gegen die Unterlassungsverfügung Widerspruch einlegen. Das plant Arte auch. Der Sender äußerte sich darüber hinaus allerdings nicht, ebenso wenig wie die Buchautorin Wagner und die FAZ.

Ironischerweise ist der Arte-Film mittlerweile für einen Preis nominiert – beim Festival du Cinéma Positif, das in diesem Jahr zum vierten Mal im Rahmen der am Dienstag beginnenden Filmfestspiele in Cannes stattfindet. Der Preis wird am 23. Mai verliehen. Sollte die zuständige Jury einen Film preiswürdig finden, den die Hamburger Presserichter sperren ließen, dann wäre das eine zusätzliche Pointe.

Der von der katholischen Kirche finanzierte Fachdienst Medienkorrespondenz schreibt übrigens über eine im Film erwähnte Doktorarbeit zum Thema „Sexueller Missbrauch von Priestern an Nonnen in Westafrika“, die gerade an der Päpstlichen Universität Gregoriana entsteht: „Man darf gespannt sein, ob diese Arbeit irgendwann auch veröffentlicht wird. Und ob endlich Konsequenzen nicht nur aus ihren Erkenntnissen gezogen werden, sondern aus den vielen anderen Dokumenten“, die der Vatikan „sorgsam unter Verschluss“ halte. Wahrscheinlich müssten „am Ende wieder die Medien die notwendige Aufklärungsarbeit leisten“. Wenn es denn so einfach wäre!